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25.09.04 / Die Nacht hat unendlich viele Stunden

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. September 2004


Die Nacht hat unendlich viele Stunden
von Siegfried Walden

Sie waren zu Bett gegangen. "Gute Nacht, schlafe auch du gut, Elisabeth." Und so ganz nebenher fragte sie ihn: "Betest du auch immer?" Bei seinem "Ja, ja," hegte sie stets ein wenig Zweifel. Dann geschah etwas Furchtbares. Karl schrie plötzlich auf: "Elisabeth, bist du noch wach? Ich habe furchtbare Leibschmerzen." Sie schaltete die Nachttischlampe ein und rief. "Karl, Wie siehst du aus, ganz bleich! Mein Gott, was mache ich jetzt bloß?" Karl stöhnte und griff sich an den Leib. Ins Telefon rief sie: "Kommen Sie schnell, ich brauche einen Notarzt, mein Mann windet sich unter Schmerzen." Im Krankenhaus erklärte ihr der Arzt, es sei eine Sofortoperation erforderlich und es sei seine Pflicht, sie darauf hinzuweisen, daß sie bei dem schwierigen Eingriff auch mit schlimmen Folgen rechnen müsse. Elisabeth weinte bittere Tränen. Sie setzte sich auf die Bank im Flur, wartete und wartete. Eine Schwester trat zu ihr und bat sie, nach Hause zu gehen, der Eingriff könne noch einige Zeit dauern. "Nein", antwortete sie, "mein Karl ist das Liebste, das ich auf der Welt habe, ich bleibe bei ihm im Krankenhaus und wenn es noch Stunden sein sollten."

Und Stunden vergingen auch. Irgendwann fragte sie die Schwester: "Darf ich vielleicht in der Krankenhauskapelle weiter warten? - Sie zünden mir eine Kerze an und legen für alle Fälle noch zwei dazu." Die Schwester überlegte und stimmte schließlich zu. "Danke", sagte Elisabeth, "und grüßen Sie meinen Mann. Sagen Sie ihm, daß ich hier im Krankenhaus bei ihm bin."

Da saß sie nun bei flackerndem Kerzenlicht in der Kapelle des Krankenhauses, kniete nieder, betete, weinte, legte sich wieder auf die Bank, saß wieder, kniete nieder und weinte und betete. Und so ging es weiter. Sie fand keine Ruhe. Manchmal dachte sie, die Uhrzeiger ständen still und die Zeit trete auf der Stelle, aber sie wußte, daß es für sie die Nacht der vielen Stunden werden würde. Und Stunden waren dann auch vergangen, als die Tür der Kapelle geöffnet wurde und die Schwester in den halb finsteren Raum rief: "Frau Böing?" - "Ja, hier", antwortete Elisabeth, "hier in der dritten Bank, Oh, Gott, ist etwas Schlimmes mit meinem Mann passiert?" - "Nein, nein, ganz ruhig, Frau Böing." Und die Worte der Schwester, die durch die Kapelle schallten, bis zum Altar drangen und dann wieder zu Elisabeth, waren für diese wie die Auferstehung eines Menschen aus der Tiefe dieses Lebens: "Es ist noch einmal gut gegangen. Danken Sie Gott, liebe Frau." Elisabeth kniete nieder, faltete die Hände und rief weinend zum Altar. "Lieber großer Gott, ich danke dir so sehr, ich ..." Dann versagte ihre Stimme. Nur ganz leise noch sprach sie: "Verzeih' mir bitte, ich kann nicht mehr."

Ihre Tränen sah die Schwester nicht, aber sie hörte ihr Kurzgebet und ihr Weinen. Und Elisabeth sah mit nassen Augen den Altar nicht mehr, sie sah nur noch das schwache Flackern der fast abgebrannten Kerze und dachte, daß Gott es so gefügt hatte, denn eine neue Kerze lag da nicht mehr.

Der Morgen graute. Gestützt auf den Arm der Schwester begab sich Elisabeth zum Krankenzimmer, in das sie durch die leicht geöffnete Tür einen Blick auf Karl werfen durfte. Bevor die Schwester die Tür schloß, rief sie ihrem Mann leise zu: "Karlchen, jetzt weiß ich mit Sicherheit, daß du von nun an abends immer beten wirst." Und ganz kurz öffnete Karl einmal seine Augen und ihr war, als riefe er ihr zu: Danke, bis bald, mein Liebes!


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