28.03.2024

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02.10.04 / Seine letzte Fahrt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Oktober 2004


Seine letzte Fahrt
von Hannelore Patzelt-Hennig

Abseits vom Dorf, inmitten saftiger grüner Wiesen, dort, wo der Strom die letzte scharfe Biegung vor der Mündung macht, lag das Anwesen des Fährmanns Grigoleit. Hof und Strom standen aus der Sicht des Alten in so starker Verbindung zueinander, daß für ihn eins ohne das andere undenkbar war. Er war hier geboren worden wie sein Vater und sein Großvater. Schon dem Urgroßvater hatte dieses Anwesen gehört. Doch wie es schien, sollte er der letzte sein, der hier übersetzte und herüberholte.

Noch waren sie da, er und sein Kahn. Noch blieb kein Ruf unbeachtet. Aber es kam nur noch selten vor, daß hier jemand über den Strom wollte. Trotzdem stand der alte Grigoleit mit seiner kleinen Personenfähre nach wie vor bereit. Er überholte sie regelmäßig in jedem Frühjahr und hielt sie auch sonst immer akkurat und sauber, so, als ob es da etwas Wichtiges geben könnte, für das die kleine Fähre allzeit gerüstet sein müßte.

Im allgemeinen wurde zur Überquerung des Stromes schon seit mehreren Jahren die Brücke stromaufwärts benutzt. Früher hatte es in bestimmten Zeiten bei den Grigoleits Tag und Nacht keine Ruhe gegeben. Zur Zeit der Ernte hatte es gegolten, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf dem Posten zu sein. Oft genug auch noch darüber hinaus. Fuder um Fuder und Fuhre um Fuhre mußten dann je nach Jahreszeit übergesetzt werden. Selbst in den kurzen Nächten hatten den Fährmann oft noch die Rufe Wartender ereilt. "Hol över! Hol över!" Der Ruf gehörte schon früh zu seinem Leben.

Hin und wieder gab es auch Überfahrten zu feierlichen Anlässen. Es hatte Hochzeiten gegeben, zu denen die Leute über den Strom zur Kirche kamen, wie auch Taufgesellschaften, die er überzusetzen hatte. Zu solchen Anlässen hatte Grigoleit es

nie versäumt, seine Fähre zu schmücken, wenn er davon wußte. Ja, und manchmal hatte man ihn auch gerufen, wenn jemand zur letzten Ruhe geleitet wurde, für dessen letzte Fahrt über den heimischen Strom. Auch Gruppen des Heeres hatten sich vereinzelt übersetzen lassen. Und manchmal nutzten selbst Jagdgesellschaften seine Fähre zum Überqueren des Stromes.

Es war ein buntes Bild, das dem alten Fährmann aus der Vergangenheit herüberleuchtete. Sein Leben war erfüllt und ausgefüllt mit allerlei Arbeit und Pflichten gewesen. Und es war, so fand er, trotz aller Mühen und Plagen, ein schönes Leben gewesen. Jetzt dagegen war vieles anders. Seine Fähre und er zählten kaum noch, und auf dem Hof war es der Enkel, der den Ton angab. Es war nur gut, daß wenigstens noch dann und wann der Ruf "Hol över!, Hol över!" zu hören war. Das bedeutete dem alten Fährmann viel.

Dann kam ein Herbst über das Land, der besonders schön war, ungewöhnlich sonnig und warm. Das gab dem alten Fährmann Anlaß zu einem ungewöhnlichen Entschluß. Er zog die Fähre an Land und brachte sie in einen Schuppen. Dort besserte er sorgfältig alle teerfreien Stellen aus, setzte da und dort ein Stück ein und brachte die Fähre auf Hochglanz. Diese Arbeiten hatte er sonst immer im Frühjahr vollzogen. Es war das erste Mal, daß er es im Herbst tat. Als der Holzteer trocken war, ließ er den Kahn wieder zu Wasser. Er deckte ihn sorgfältig ab und freute sich, die Arbeiten für das nächste Frühjahr vorgeholt zu haben. Bald danach, im Dämmerlicht eines Herbstmorgens, kam es dem alten Fährmann so vor, als habe er rufen gehört: "Hol över!"

Rasch stieg er aus dem Bett, kleidete sich eilig an und ging zum Kahn. Totenstill war es hier draußen, kein Laut war zu hören und kein Lüftchen regte sich. Langsam glitt die kleine Fähre durch die aufsteigenden Morgennebel über den breiten Fluß. Es war des alten Grigoleits letzte Fahrt über den Strom. Bei Tagesanbruch fand man ihn. Vornübergebeugt saß der Alte in der kleinen Fähre, die am jenseitigen Ufer aufgelaufen war. Mit Pferd und Wagen holte man ihn ab. Er überquerte den Strom nun zum ersten Mal über die Brücke, über jenen schwebenden Bogen, den sein Fuß nicht ein einziges Mal betreten hatte.

An der Memel: Still und träge fließt der mächtige Strom dahin; doch er kann auch ein ganz anderes Gesicht zeigen. Dann peitscht der Sturm die glasklare Fläche des Wassers ... Foto: Archiv

 

Und ich lausche ...
von Grete Fischer

Wenn ich deine Stimme höre

dann ist's

als lauscht' ich einem Märchen

das ich fast vergessen hatte

und ich lausche ... lausche

auf diese Melodien

wie auf Engelschöre -

Wenn ich deine Stimme höre

dann ist's

als käm' zu mir

der alten Ströme Rauschen

das ich fast vergessen hatte

und ich lausche ... lausche

denn ich weiß,

daß ich tausend Stimmen höre -

Wenn ich deine Stimme höre

dann ist's

als gäb' es keine Einsamkeit

in dieser Welt

doch jenes Vertraute wieder

das ich fast vergessen hatte

und ich lausche ... lausche

weil ich weiß

wer Vergangenes für mich

in seinen Worten sicher hält ...

und ich lausche ... lausche -


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