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09.10.04 / "Geschenk des Moments" / Das zeichnerische Werk von Ernst Barlach in Neu-Ulm ausgestellt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Oktober 2004


"Geschenk des Moments"
Das zeichnerische Werk von Ernst Barlach in Neu-Ulm ausgestellt

Das Edwin Scharff Museum am Petrusplatz in Neu-Ulm stellt derzeit das zeichnerische Werk Ernst Barlachs (1870-1938) aus. Es ist das erste Mal, daß eine solch umfangreiche Ausstellung zum zeichnerischen Œuvre des norddeutschen Künstlers auch in Süddeutschland gezeigt wird. Über 100 Leihgaben aus dem Hamburger Ernst Barlach Haus sind bis zum 21. November in der Ausstellung "Ernst Barlach: Von Beginn an. Zeichnerisches Werk und Skulptur" zu sehen (dienstags bis sonn-abends 13-17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr, sonntags 10- 18 Uhr; Katalog 34 Euro). Ergänzt wird der Überblick über die Zeichnungen durch einige wenige ausgewählte Skulpturen, "Unikate oder sehr frühe Bronzen, die zu Lebzeiten Barlachs ausgeführt wurden und daher von außerordentlicher Qualität sind", wie Sebastian Giesen, Leiter des Ernst Barlach Hauses, betonte.

Barlach ist heute vielfach als Bildhauer bekannt, und so überrascht der Facettenreichtum seines zeichnerischen Œuvres. Akkurate Federzeichnungen aus seiner Studienzeit sind ebenso zu sehen wie virtuose Skizzen, Karikaturen und Schöpfungen aus der Phantasie, geprägt vom Jugendstil. Barlach, dem ein Lehrer nachsagte, er könne gar nicht zeichnen, übte diese Technik später für sein Leben gern aus, waren doch Zeichnungen, dieses "Geschenk des Moments", auch wichtige Grundlagen für sein Schaffen als Bildhauer. "Ich zeichne nach dem Leben und sammle die Art Arbeiten in einem Buche", schrieb er 1889 an einen Freund. "Im Wirtshaus, im Zuge, beim Spazierengehen, beim Besuche der Kunsthalle, des Theaters usw. zeichne ich, nicht die Schauspieler oder Bilder, sondern die Menschen, die Passagiere, Zuschauer ... Zuerst gebe ich in wenigen Strichen die Stellung des Körpers an und zeichne dann hinter einer Zeitung, einem Glase Bier oder einem Gefährten halbwegs versteckt ... Alle ... sind die Beute meines Stiftes."

Während seiner Studien in Paris (1895/96/97) und seiner Reise nach Rußland (1906), die einen Wendepunkt in seinem Schaffen bedeutete, war es sein Bleistift, der "in der Hand vor Ungeduld zu tanzen begann". Während in Paris, sicherlich inspiriert von Toulouse-Lautrec und Theophile Alexandre Steinlen, Skizzen voller Lebensfrische entstanden, waren es in Rußland die armen Menschen, die Verzweifelten, aber auch die Ausgelassenen, die den Künstler zu seinem Schaffen anregten.

Ab dem Jahr 1910 nehmen die "Geschenke des Moments" allmählich ab; Barlach zeichnet nicht mehr nur noch seine Umgebung, sondern beginnt in großen Formen Ausdrucks-gestalten zu skizzieren, allerdings nicht mehr unmittelbar, sondern als Tageseindruck am Abend aus der Erinnerung gezeichnet. Dabei wird jedes erzählerische Detail ausgelassen, individuelle Züge vermieden. Vieles entsteht gerade im Hinblick auf die spätere plastische Gestaltung.

Bald beginnt Barlach, sich in seinen Zeichnungen auf das Wesentliche zu konzentrieren. "... ich wußte schließlich alle die Dinge auswendig. Da sah ich, als ich in Fried-richsroda einen Jäger zeichnete, plötzlich die einfache Form. Wo ich früher zehn Linien gebraucht hatte, brauchte ich plötzlich nur drei. Es war wie ein Ruck", schreibt er 1920.

Seine frühen Blätter jedoch sind ihm auch später noch wichtiger Formenvorrat für sein bildhauerisches Schaffen. "Später, oft nach Jahren erst, kam dann die Lust, davon für Plastik, Holzschnitt oder Litho zu nehmen, zu ordnen, zu ändern, zu organisieren. Eine Zeichnung, die noch nach Jahren wert schien, so oder so verwandt zu werden, war es dann wohl auch", schreibt er 1935. Das Spätwerk Barlachs ist schließlich geprägt von seinen "in sich ruhenden, monumental wirkenden Einzelgestalten von überzeitlicher Ausstrahlung".

Am Museumssonntag, 7. November, findet neben einer Führung von Helga Gutbrod, Leiterin der Städtischen Sammlungen Neu-Ulm, durch die Ausstellung (14.30 Uhr) auch eine Lesung aus dem literarischen Werk Ernst Barlachs statt. Nicola Fritzen vom Ulmer Theater liest aus "Ein selbsterzähltes Leben" (15.30 Uhr). Weitere

Informationen unter (07 31) 9 72 63 18 oder im Internet unter www.edwinscharffmuseum.de . Os

Ernst Barlach: Der Flötenbläser (Zeichnung, 1919/1920) Foto: Katalog


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