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09.10.04 / Für Honecker kochen dürfen / Zehn Bedienstete der Mitglieder des SED-Politbüros berichten über ihre Arbeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Oktober 2004


Für Honecker kochen dürfen
Zehn Bedienstete der Mitglieder des SED-Politbüros berichten über ihre Arbeit

Den größten Hirsch, der je in der Schorfheide erlegt wurde, schoß Erich Honecker im August 1989. Je mehr die Fundamente der SED-Diktatur wankten und bröckelten, desto öfter pirschte der greise Mauerkönig durch die sandige, nahe Bernau gelegene Kiefernwildnis.

Isoliert und abgeschottet, fern der Realität, lebten die Mitglieder des Politbüros der SED in der "Waldsiedlung" Wandlitz. Zwar entsprachen die Miet-Datschen der SED-Oberen nur der Qualität westdeutscher Reihenhäuser. Dennoch lag das Wohlstandsniveau des Regimes weit höher als der Durchschnitt seiner meist darbenden Untertanen. Außerhalb von Wandlitz lagen mehrere Jagd- und Freizeithäuser der Machthaber, beispielsweise in Drewitz, wo Honecker oft die Sommermonate verbrachte. So ergatterte die SED-Prominenz, die 1960 von Berlin-Pankow in die Schorfheide verzogen war, jederzeit Westartikel.

Wandlitz ähnelte deutschen Duodez-Höfen des 18. Jahrhunderts; dazu gehörte nicht nur die feudale Jagd, der bereits Ulbricht frönte. Rührige Dienstboten- Butler, Leibköche, Gärtner, Hausangestellte, umschwärmten die Regenten und versüßten ihnen das Alltagsleben. Zehn solcher Höflinge schildern die private Innenseite einer Diktatur. Dieser "Blick von unten" enthüllt ebenso interessante wie drollige Tatsachen.

"Niemand ist ein Held vor seinem Kammerdiener", heißt es im Sprichwort. "Für jedes Zipperlein" der hohen Herrschaften mixten die Köche spezielle Diätkost. Kein Butler durfte gegen seinen Chef harmlose Glücksspiele gewinnen, weil die Gefahr bestand, daß er in Ungnade fiel, ebenso bei der geringsten Unbotmäßigkeit. Stasi-Terrorist Mielke nannte Hausangestellte nach ostelbischer Gutsherrenart "mein Junge". Als schwierig und launisch im Umgang galten besonders Mielke und Stoph, der seine Leibwächter regelmäßig zur Apfelernte abkommandierte. In einem guten Ruf standen Grotewohl, Schürer und Kleiber. Auch Honecker habe das Personal korrekt behandelt, wie dankbare Staatslaufburschen erzählen.

Importierte russische Elche steigerten das Jagdvergnügen. Ulbricht nutzte eine private Eislaufbahn, und Gewerkschaftschef Warnke züchtete Raubvögel, darunter erlesene Zwergbussarde. Für Mielke wurde ein Haus gebaut, das nur Jagdtrophäen des Stasi-Tyrannen beherbergen sollte.

Am besten entlarvt Thomas Grimms Buch "Das Politbüro Privat. Ulbricht, Honecker, Mielke und Co. aus der Sicht ihrer Angestellten" jedoch die Mentalität der Dienerschaft. Mielke hatte die Order erlassen, wonach das Personal "durch qualifiziertes, einfühlsames Verhalten und gefühlvolles Handeln das subjektive Wohlbefinden der führenden Repräsentanten ständig zu gewährleisten" habe. Eigentlich bedurfte es keinen derartigen Befehls. Noch heute, 15 Jahre nach dem Mauerfall, verkünden alle Ex-Angestellten freudig, daß sie der DDR-Obrigkeit jahrelang dienten! Unisono wird das Verschwinden der Politokraten bedauert.

Entrüstet weist Kammerdiener Heine die Behauptung zurück, daß Wandlitz ein schwer bewachtes "Ghetto" gewesen sei. "Wir haben uns ein Bein ausgerissen, um unsere Aufgaben zu erfüllen". Ulrike Hainke, Hausangestellte und "überzeugte Kommunistin", findet ihre damalige Tätigkeit völlig in Ordnung. Die Putzfrau Waltraut Oecknick schreibt: "Ich bereue nichts. Das war nun mal mein Land". Mitunter liest man groteske Byzantinismen. Fuhren Margot und Erich Honecker Rad, empfand der Leibwächter Bernd Brückner "erhebende Gefühle", wenn er die "hochrangige Radgruppe" begleitete. Es war "toll" und ehrenvoll, für Honecker kochen zu dürfen, meint Jürgen Krause. Niemand stellt die selbstkritische Frage, ob er Staatsgangstern schmierige Lakaiendienste leistete oder erinnert daran, daß bereits Wilhelm II. und Hermann Göring in der Schorfheide gejagt hatten.

"Distanz und Diensterfüllung war oberstes Gebot, egal, welche Politik die machten. Das sollte heute jeder versuchen zu verstehen", lautet das Resümee eines Hofpagen. Wer erfahren möchte, warum jede Diktatur willige Befehlsempfänger mobilisiert, der findet in diesem Buch manche Antworten. Mangelndes Reflexionsvermögen, politisch-moralische Abgestumpftheit, unterwürfige Charaktere, Ehrgeiz, der unverhohlene Stolz, den Mächtigen nahe zu sein, alles das fällt ins Gewicht. Knechtsgesinnung ist eben keine Frage des politischen Systems, geschweige der Ideologie. Rolf Helfert

Thomas Grimm: "Das Politbüro Privat. Ulbricht, Honecker, Mielke und Co. aus der Sicht ihrer Angestellten", Aufbau-Verlag, Berlin 2004, 263 Seiten, 17,90 Euro


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