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16.10.04 / Vollkommene Verzauberung / 50 Jahre Sprechplatten bei der Deutschen Grammophon

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Oktober 2004


Vollkommene Verzauberung
50 Jahre Sprechplatten bei der Deutschen Grammophon

Eine brillante Lesung", "eine faszinierende Erfahrung", "das Wunder der vollkommenen Verzauberung", "ein akustisches Dokument ersten Ranges" - die Presse war begeistert, als vor 50 Jahren die erste Sprechplatte in Deutschland erschien. Und Gustaf Gründgens (1899-1963) kommentierte: "Etwas ganz Neues, auf das wir uns als Schauspieler auch erst einstellen müssen. Aber bestimmt etwas mit Zukunft ..." Der große Regisseur und Schauspieler mußte es wissen, schließlich war die Aufnahme mit seiner Düsseldorfer Inszenierung von Goethes "Faust" 1954 die erste in einer langen Reihe von Sprechplatten aus der Produktion der Deutschen Grammophon, der ältesten Schallplattenmarke der Welt. Ein Augenzeuge von damals berichtete über die "Premiere": "Gustaf Gründgens, der den ,Mephisto' spielt, erläutert dem Darsteller des ,Faust', Paul Hartmann, die letzten Einzelheiten der Kerkerszene: ,Nicht zu nahe ans Mikrofon, und bitte genau den Zeitrhythmus einhalten!' Käthe Gold, Darstellerin des Gretchens, läßt sich von Elisabeth Flickenschild noch eine starken Kaffee nachschütten. ,Die Kerkerszene verlangt die stärkste Konzentration. Immerhin proben wir bereits fünf Stunden', erklärt sie etwas abgespannt ..."

Die Produktionskosten beliefen sich damals auf rund 40.000 DM. Acht Monate brauchte man, um den noch jungen Tonträger, die Vinyl-Langspielplatte, herzustellen. Und das Ergebnis konnte sich sehen, oder besser hören lassen. Eine Kassette mit drei Sprechplatten kostete im Verkauf zunächst 69 DM, dann 75 DM. 50.000 Kassetten waren bald verkauft, und das bei einem monatlichen Durchschnittslohn von 350 DM. Bis heute sind weit über 250.000 Tonträger dieser Aufnahme verkauft worden.

Sogar der gestrenge Kritiker Friedrich Luft war damals begeistert: "Die Deutsche Grammophon sollte auf dem eingeschlagenen Wege fortfahren. Für die Freunde der Musik stehen die Regale der Schallplattenläden proppevoll. Für die Freunde des Wortes wäre dies ein erster Anfang zu einem pulsenden Schallarchiv, einem Thesaurus großer dramatischer Dichtung. Das ließe sich schönstens erweitern. Man habe den Mut dazu, wie man den brillanten Einfall hatte, eine unserer größten Wortdichtungen glücklich in den neuen Aggregatzustand auf der Schellack-Ritze zu fixieren, den ,Faust' auf die Rille zu bannen."

Heute verbindet man den Namen Gustaf Gründgens meist mit seiner Darstellung des "Mephisto". Doch der Schauspieler, Regisseur und Intendant von Bühnen in Berlin, Düsseldorf und Hamburg, verkörperte auch "Torquato Tasso" in dem gleichnamigen Stück von Goethe, war der "Lukull" in "Kirschen für Rom" von Hömberg, war "Sir Henry St. John" in "Das Glas Wasser" von Scribe. Die vielen Facetten dieses Ausnahmekünstlers kann man jetzt anhand einer wenn auch sehr umfangreichen (über 1.000 Minuten), so doch einmaligen Einspielung auf 20 CDs kennenlernen. Die "Audiothek" hat im Programm der Deutschen Grammophon Literatur Das komplette Schallarchiv (149 Euro) mit sämtlichen noch erhaltenen Originalaufnahmen von Gründgens herausgegeben. Neben "Faust I" und "Faust II" ist "Torquato Tasso" aus dem Jahr 1950, "Kirschen für Rom" (1953), "Das Glas Wasser" (1960) zu hören; Titel wie "Hans Sonnenstößers Höllenfahrt" von Paul Apel (1937), "Das Konzert" von Hermann Bahr (1962), "Die Cocktailparty" von TS Eliot (1951), "Das Herrenhaus" von Thomas Wolfe (1954), "Der Prozeß" von Franz Kafka (1951) zeigen die bunte Vielfalt der Aufnahmen.

Eine CD mit klassischen Monologen und Szenen gibt einen Überblick über Gründgens' junge Jahre und frühe Rollen; das Bild wird vervollständigt durch einige seiner programmatischen Reden über das Theater. Nicht zu vergessen die Chansons, die er in Filmen und Operetten sang. Unvergessen der Streifen "Der Tanz auf dem Vulkan" (1938), in dem Gründgens süffisant lächelnd behauptete "Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da".

Zwei CDs fallen schließlich aus dem Rahmen, enthalten sie doch die vollständig erhaltene Pressekonferenz aus dem Jahr 1951, durch die Gründgens seine Intendanz in Düsseldorf aus der Kontrolle der städtischen Verwaltung befreite. Ein großer Triumph für den Theatermann, von dem der damalige Hamburger Kultursenator Hans H. Biermann-Ratjen 1963 sagte: "Sein Intellekt, sein Kunstverstand waren außerordentlich. Von verschwommenen Gefühlen, unklaren Eingebungen hielt er nichts ... Der Text allein war ihm ausschlaggebend, er nannte das ,Partitur lesen'."

Ohne den 1851 in Hannover geborenen Emil Berliner, seinen Erfindungsgeist und sein unternehmerisches Engagement wären solche Aufnahmen überhaupt nicht möglich gewesen. Er erfand 1887 das Grammophon und die Schallplatte, ein Zinkblech, auf das Rillen geätzt wurden. Gemeinsam mit seinem Bruder Jacob gründete er zwei Jahre später in Hannover die Deutsche Grammophon, wo im gleichen Jahr die erste Schellackplatte der Welt vom Band lief. Bis zur Massenproduktion war's dann nicht mehr weit. 1900 wurde die Deutsche Grammophon Aktiengesellschaft und ihr Warenzeichen "His Master's Voice" in aller Welt bekannt. 1980 dann entwickelte die Firma gemeinsam mit Fachleuten von Sony und Philips die erste "Compact disc" (CD); zwei Jahre später begann in Hannover als erstem Werk der Welt die CD-Massenfertigung. Emil Berliner hat diese rasante Entwicklung nicht mehr miterleben können; er starb vor 75 Jahren (3. August 1929) in Washington, DC.

Wie nannte Friedrich Luft doch das Engagement der Deutschen Grammophon mit der Aufnahme des "Faust" 1954 - einen ersten Anfang zu einem pulsenden Schallarchiv, das sich schönstens erweitern ließe. Nun, die Deutsche Grammophon hat sich dies zweifellos zu Herzen genommen und legt jetzt zum Thema 50 Jahre Hörbuch 50 Sternstunden aus ihrem Archiv auf 25 CDs (Gesamtlaufzeit über 30 Stunden, 120 Euro; jede CD ist auch einzeln erhältlich, 5 Euro) vor: Das gesprochene Wort - 50 Aufnahmen aus 50 Jahren.

In dem vergangenen halben Jahrhundert entstanden über 1.500 Literaturaufnahmen; eine Auswahl wird nicht leicht gefallen sein, und doch ist für jeden Geschmack etwas dabei. Autorenlesungen sind ebenso zu finden wie Schauspielerporträts. Berühmte Mimen lesen dar-über hinaus Werke bedeutender Dichter. Max Frisch etwa, der Schweizer Schriftsteller, liest aus seinem 1964 erschienenen Roman "Mein Name sei Gantenbein", der damals großes Aufsehen erregte und die Entwicklung des deutschsprachigen Romans der Nachkriegsliteratur nachhaltig beeinflußte. Günter Grass ist mit Auszügen aus seinem Roman "Die Blechtrommel" vertreten, Thomas Mann liest "Das Eisenbahnunglück" und "Das Wunderkind". Siegfried Lenz ist mit Auszügen aus gleich zwei Romanen: "Deutschstunde" und "So zärtlich war Suleyken" zu hören, ebenso Walter Kempowski: "Tadellöser und Wolff", "Uns geht ja noch gold".

Unter dem Titel "Schauspielerporträts" findet man Einspielungen mit Ernst Deutsch, Will Quadflieg, Charles Regnier oder Paula Wessely, die jeweils ihre Paraderollen sprechen, von Goethe und Schiller bis Schnitzler und Hoffmannsthal. Helmut Lohner, Karlheinz Böhm, Mathias Wiemann, Hannes Messemer, Michael Degen, Klaus Kinski und natürlich Will Quadflieg, der seit 1955 mit der deutschen Grammophon zusammenarbeitete, interpretieren Hesse oder Hölderlin, Wilhelm Busch oder Franz Kafka. Selbst Eugen Roth hatte es sich 1958 nicht nehmen lassen, seine Gedichte "Ein Mensch ..." vorzutragen.

Eine bunte Sammlung, die das Herz eines jeden Literaturfreundes höher schlagen lassen dürfte. Die langen, dunklen Abende können kommen - für erbauliche Unterhaltung ist gesorgt. Silke Osman


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