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16.10.04 / Auf wen wartest du?

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Oktober 2004


Auf wen wartest du?
von Gabriele Lins

Die beiden schweren Koffer standen schon vor der Haustür. Er nahm den Mantel. Seine Frau stand am Herd und rührte in irgendeiner Suppe. "Ich gehe jetzt", sagte er leise. Sie nickte. Warum nickte sie nur? Hatte sie ihn nicht verstanden? - "Also - ich gehe, für immer, du weißt ja ..."

"Ja", sagte sie, sonst nichts.

Er nahm seine Mütze und ging. Die Tür fiel zu. Er blieb stehen. Mit allem hatte er gerechnet, mit Tränen, mit Schimpfen, mit Bitten, einfach mit allem, nur nicht mit diesem lapidaren Ja.

Er setzte seine Koffer noch einmal ab und stellte sich außen ans Küchenfenster, sah, wie seine Frau den Tisch deckte. Die bestickte Decke? Die legte sie sonst nur am Sonntag auf. Und das gute Eßgeschirr wurde auch nur an Sonn- und Feiertagen benutzt. Ihm wurde heiß. Hatte

sie etwa einen Freund, und er hatte es gar nicht bemerkt? Wie lange ging das schon so? Dann war sie also gar nicht traurig, daß er sie verließ! Deshalb dieses einfache Nicken! Jetzt ging ihm ein Licht auf: Sie war froh, daß er ging! Ja, erleichtert war sie!

Wut stieg in ihm auf, ließ sein Gesicht rot anlaufen, machte ihm das Herz eng. Er konnte nicht mehr durchatmen. Tatsächlich, da standen zwei Suppenteller auf dem Tisch und zwei Schalen für den Nachtisch.

Ich Blödmann, dachte er.

Er riss sich zusammen. Wer wollte denn für immer gehen, er oder seine Frau? - Plötzlich wußte er, wie es war, verlassen zu werden.

Er bückte sich und nahm seine Koffer hoch, stellte sie wieder ab und sah noch einmal durch das Fenster. Seine Frau stellte gerade eine Vase auf den Tisch. Der Blumenstrauß war frisch gepflückt, frisch aus seinem Garten, den er angelegt und mit ihr zusammen gepflegt hatte. Sie hatten vieles zusammen getan, vieles erlebt. Eigentlich waren all die Jahre schön gewesen ...

Gerade drehte sie sich um. Er sah ihr noch jugendliches Gesicht und auch, wie sie sich das graue Haar zurückstrich. Diese Gebärde hatte er immer an ihr geliebt. War sie nicht oft heiter gewesen? Und liebevoll und verständnisvoll, wenn er mal ein Glas zu viel getrunken hatte? Warum also wollte er von ihr fort?

Na ja, sie war so schnell beleidigt, wenn er sie kritisierte. Und die Küchenschürze mit den geometrischen Strichen, die sie immer beim Kochen anzog, fürchterlich. Doch wenn er ehrlich war: Hatte er nicht auch seine Fehler und Macken?

Aber er wollte doch allein leben, frei sein, nicht immer Rücksicht nehmen müssen, wollte sich nicht mehr ihr ewiges Gerede über die Enkel anhören, und auch nicht ihre immer wiederkehrenden Bitten, endlich mal mit ihr ins Kino zu gehen. Er wollte seine Ruhe haben, verflixt noch mal! - Aber warum denn eigentlich?

Seine Frau setzte sich jetzt an den Tisch und stützte den Kopf in die Hand. Sie wartete. Wartete sie auf den anderen? Er überlegte. Sollte er noch einmal mit ihr sprechen?

Hastig angelte er nach dem Hausschlüssel, der noch in seiner

Jackentasche lag, schloß die Tür auf, stürmte in die Küche, blieb in der Tür stehen, fragte mit harter Stimme: "Für wen hast du denn so festlich gedeckt? Auf wen wartest du?"

Sie sah ihn ruhig an. Plötzlich wußte er, daß er sie noch liebte. Ja, er liebte sie sogar in dieser schreck-lichen Kittelschürze!

Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln, das Lächeln, das er kannte, das ihm jedes Mal gesagt hatte: Reg dich nicht auf, ich verstehe dich ja!

Sie griff nach der Suppenkelle und begann den ersten Teller voll zu schöpfen. Er roch sie, seine Lieblingsspeise: Erbsensuppe. Keiner kochte sie köstlicher als seine Frau.

"Weißt du wirklich nicht, auf wen ich gewartet habe?" fragte sie ruhig. "Ich wußte gleich, daß du es nicht übers Herz bringst einfach wegzugehen. Ich kenne dich eben viel zu genau."

Traute Zweisamkeit: Oft zerstört eine unbedachte Handlung diese Idylle. Foto: Archiv


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