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Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Oktober 2004
General Erich v. Falkenhayn, Nachfolger des nach dem "Wunder an der Marne"
(vergleiche Folge 36) abgelösten Generalstabschefs Helmuth v. Moltke, versuchte,
nach der von seinem Vorgänger abgebrochenen Schlacht an der Marne und vor Paris
wieder die Offensive zu ergreifen. Nur im Bewegungskrieg, so lautete die Devise,
läge noch Aussicht auf Erfolg im selben Herbst. Der Plan der Obersten
Heeresleitung (OHL) lautete, den rechten Flügel der Front zurückzuziehen und so
weit zu verlängern, bis man den Gegner in der Flanke packen konnte. Der noch von
Moltke befohlene Rückzug in die Linie Compiègne - Reims - nördlich Verdun hatte
Kräfte freigemacht, die in die Lücke zwischen der 1. und 2. Armee eingeschoben
wurden. Dann wurde die gesamte bayrische 6. Armee in Lothringen aus ihrer Front
gelöst und in Richtung Artois verlegt. Sie gewann zwar den Raum Lille, schaffte
aber nicht die Umfassung der Franzosen. Auch die Franzosen unter General Joffre
wollten den Gegner vom Westen her umfassen. Hierzu löste der französische
General Kräfte, darunter die 9. Armee von General Foch, aus der Front und
verschob sie nach Norden. Außerdem wurde die britische Expeditionsarmee unter
General John French, die an der Marne eine bescheidene Rolle gespielt hatte, an
die belgische Kanalküste verlegt. Beide Gegner versuchten, sich gegenseitig in
die Flanke zu fallen, um nicht selbst umfaßt zu werden, und schließlich
verlagerten sich die Kämpfe nach Flandern. Hier also, auf den Weiden und Feldern
Flanderns, durchzogen von Bächen und Kanälen, sollte die Entscheidung des
Feldzuges 1914 fallen.
In dieser Situation spielte die Heeresleitung noch einen Trumpf aus, nämlich
sechs Reservekorps, die ab Mitte August aufgestellt wurden, von denen vier für
Flandern vorgesehen waren, um die 60 Kilometer breite Lücke zwischen Lille und
der Küste zu schließen. Diese Reservekorps bestanden zumeist aus Freiwilligen
aller Altersstufen, darunter vielen Studenten, die durch ältere Reservisten
ergänzt wurden. Hier begann bereits das Dilemma: Die Neulinge konnten kaum
ausgebildet werden, da Unterführer, Waffen und Munition fehlten; sie übten weder
im Verband noch im Zusammenwirken mit der Artillerie; sie erfuhren nichts von
der Infanterietaktik und vom Pionierdienst, wußten nicht, wie man sich durch
Hindernisse vorarbeitet und Gräben aushebt. Die Artillerie hatte kaum im
scharfen Schuß üben können, es fehlte an Kenntnissen im indirekten
Schießverfahren. Dafür herrschte durchwegs eine patriotische Begeisterung.
Als das XXII., XXIII., XXVI. und XXVII. Reservekorps samt der 6. bayrischen
Division ab dem 10. Oktober nach Flandern transportiert wurden, waren zwar die
meisten Soldaten kampfesmutig und hochgestimmt, doch sie hatten nicht die
geringste Ahnung, was ihnen bevorstand. Der Befehlshaber der neugebildeten 4.
Armee, Großherzog Albrecht v. Württemberg, hatte zwar vorgeschlagen, zwei der
neuen Korps durch zwei kriegserfahrene Korps zu ersetzen, doch v. Falkenhayn
meinte, angesichts der vermeintlichen Schwäche des Gegners darauf verzichten zu
können. Sträflicherweise hatte man die Aufklärung unterlassen und wußte nicht,
daß die britische Armee, die aus Berufssoldaten bestand, mit der französischen
9. Armee bereits Stellung bezogen hatte. Dazu kamen noch die Belgier im
Nordteil, denen der Ausbruch aus der Festung Antwerpen geglückt war. Die
Alliierten bildeten eine Front, die von Nieuport über Dixmuiden, Langemarck,
Beselaere bis nach Wytschaete verlief. Es sollte der Durchbruch der Deutschen
auf die Häfen Dünkirchen und Calais verhindert werden. Sonst wären diese in der
Lage gewesen, die Alliierten von Norden her aufzurollen.
Ab dem 18. Oktober wurden die vier Korps entlang der Strecke Brüssel - Brügge
ausgeladen und marschierten in ihre Einsatzräume, als ginge es ins Manöver. Am
äußersten rechten Flügel sollte das III. Reservekorps Nieuport erobern. Man
meinte, das, was der Truppe an Ausbildung und Kampferfahrung fehlte, durch
Angriffsgeist zu ersetzen. Briten, Franzosen und Belgier lagen in gut
ausgebauten, mit Stacheldraht gesicherten Stellungen, mit einer starken
Artillerie als Rückgrat. Als sich die beiden mittleren Korps am 21. Oktober in
Richtung Bixschoote-Langemarck in vier Angriffskolonnen entwickelten, schlug
ihnen schon auf große Entfernung Artilleriefeuer entgegen. Da die eigene
Artillerie zurückhing, mußte die Infanterie allein angreifen. Die Sturmreihen
formierten sich wie auf dem Übungsplatz und gingen mit "Hurra" schwungvoll vor.
Doch ihnen schlug auf der Ebene vor und südlich von Langemarck heftiges
Maschinengewehr- und Schützenfeuer entgegen; die Reihen lichteten sich, sie
gewannen den Ortsrand von Langemarck, blieben liegen, konnten die Drahtverhaue
nicht überwinden und erlitten furchtbare Verluste. So verlor allein das
Reserve-Infanterieregiment 235 vor Langemarck an die 2.000 Mann, das heißt drei
Viertel seines Bestandes; den übrigen Regimentern des XXVI. Korps erging es
nicht viel besser.
Auch die beiden Divisionen des XXIII. Reservekorps, die den Ort Bixschoote
einnehmen sollten, wurden mehrmals unter schweren Verlusten zurückgeschlagen.
Auf dem rechten Flügel griff das XXII. Reservekorps die Stadt Dixmuiden an.
Nachdem der erste Sturmlauf am 21. Oktober abgewiesen worden war, befahl das
Armeekommando weitere Angriffe, da es den Gegner noch immer unterschätzte. Die
Angriffe arteten in blutige Gemetzel aus. Manche Regimenter gingen tapfer
mehrmals vor, wurden aber derart aufgerieben, daß ihnen nur mehr ein Drittel
ihres Solls blieb. Die letzte Reserve, ein Bataillon, drang in Dixmude ein, aber
kein einziger Soldat kehrte zurück. An manchen Stellen brach Panik aus; im
Hinterland trieben Freischärler ihr Unwesen. Erst am 26. Oktober erkannte die
Armeespitze, daß sie Fehler begangen hatte, daß die Truppe von unfähigen
Offizieren geführt wurde, daß die Artillerie zum Großteil versagt hatte.
Die höheren Stäbe schickten Offiziere an die Front, um sich ein ungeschminktes
Bild zu machen, und sie erfuhren Grausiges: Die Truppe hatte zwar durchwegs
opfervoll gekämpft, aber es herrschten schwere Mängel: keine kriegserfahrene
Kader, keine Orientierung im Gelände, keine Aufklärung, klägliche
Artillerieunterstützung, Verwirrung und tagelang keine Verpflegung! Die
Artillerie entschuldigte sich damit, daß sie fast keine Schießunterlagen und
wenig Munition besaß; sie mußte daher höchst riskant im direkten Schuß feuern.
Die Soldaten konnten den Stacheldraht des Gegners nicht überwinden, da sie keine
Drahtscheren hatten; Pioniere, die ihnen Sturmgassen hätten öffnen sollen,
fehlten. Sie wollten sich eingraben, besaßen aber weder Spaten noch schweres
Schanzzeug. Die Verwundeten lagen hilflos vor der Stellung und konnten nicht
geborgen werden, da der Sanitätsdienst nicht funktionierte.
Gleichlautende Meldungen trafen im Kommando des südlich von Langemarck
angreifenden XXVII. Reservekorps ein, das am 20. Oktober bei Beselaere eine
furchtbare Feuertaufe erhielt. Bereits die Ausgangsstellungen wurden von der
britischen Artillerie mit einem Feuerhagel überschüttet. Als die Truppe endlich
Beselaere nahm, geriet sie in einen Feuerüberfall von der britischen
Hauptstellung aus. Ein Nachbarregiment, das zur Hilfe eilte, wurde in der
Verwirrung von den eigenen Kameraden beschossen. Als man nach einigen Tagen den
Angriff schließlich einstellte, hatte allein die 53. Reservedivision 8.700 Mann
verloren; wenn auch die Hälfte davon auf Verwundete entfiel, so hatte die
Division doch 58 Prozent ihrer Iststärke eingebüßt.
Armeespitze und Korpskommanden reagierten endlich. Der Truppe wurden erfahrene
Offiziere zugewiesen, sie erhielt regelmäßig Verpflegung; die Soldaten lernten,
Gräben und Unterstände anzulegen und mit der Drahtschere umzugehen; sie wurden
im Vorposten- und Aufklärungsdienst unterwiesen, während sich die Artillerie um
Feuerunterstützung bemühte. Aber auch der Gegner erkannte, daß die Deutschen
noch einen Großangriff vorbereiteten. Nach harten Verhandlungen ließen die
Belgier zu, daß die Meeresschleusen bei Nieuport geöffnet und somit die
Niederungen der Yser unter Wasser gesetzt wurden. Die Schleusen blieben
geschlossen, um ein Rückfluten bei Ebbe zu verhindern; somit gewannen die
Verteidiger im Nordteil der Front ein mächtiges Vorfeld. Die Deutschen bemerkten
die Flutung am 1. November und konzentrierten hierauf ihre Kräfte in der
Frontmitte.
Als nun die 4. Armee am 10. November diesmal gut vorbereitet angriff, konnte man
zwar Dixmuide und Bixschoote unter schweren Verlusten erobern; doch die Angriffe
der 6. Armee von Süden her in Richtung Ypern mit dem Ziel, den halbkreisförmigen
Frontbogen der Briten zu umfassen, brachen zusammen. Die meisten Verluste hatte
die 6. bayrische Division zu tragen, die am nächsten an Ypern herankam. Damit
war der Versuch, die Engländer abzuschneiden und dann bis zur Küste vorzustoßen,
gescheitert. Als die Angriffe eingestellt wurden, zählte die 4. Armee seit
Beginn der Schlacht am 21. Oktober 40.000 Mann an Gesamtverlusten. Ähnlich
erschreckend sah es bei der 6. Armee aus. Erst am 22. April 1915 wurde
Langemarck im Rahmen eines Großangriffs gegen den Ypern-Bogen durch die 51.
Reservedivision unter Einsatz von Giftgas genommen, doch Ypern blieb in
britischer Hand.
Der Mythos Langemarck
Im nachhinein entstand aus der Schlacht um Langemarck und Dixmuide ein
großartiges Heldenlied vom Mut und Opfergang der deutschen Jugend. Die
sogenannten "jungen Regimenter" sollen mit dem Deutschlandlied auf den Lippen in
den Tod gestürmt sein. Großen Anteil hieran hatte der Heeresbericht vom 11.
November 1914, in dem es hieß, daß westlich Langemarck junge Regimenter unter
dem Gesang "Deutschland, Deutschland über alles ..." die erste Feindstellung
überrannt hätten. Vieles spricht dafür, daß das Deutschlandlied erstmals in der
Nacht zum 23. Oktober vor Bixschoote von Versprengten angestimmt wurde, um sich
Mut zu machen sowie Feind und Freund zu unterscheiden. Auch an anderen Stellen
erklang später dieses Lied gemeinsam mit der populären "Wacht am Rhein", was von
vielen Berichten bestätigt wurde. Die jungen Freiwilligen hatten schwere Opfer
gebracht - der jüngste Gefallene war ein 15jähriger; aber der Anteil der
Jugendlichen lag meist unter einem Viertel des Iststandes der Truppe. Jedenfalls
hatten auch viele gediente Landwehrsoldaten tapfer ihr Leben hingegeben. Man
kann aber mit Recht fragen, ob nicht der Mut und die Opferbereitschaft der
Soldaten einen behutsameren Einsatz durch eine bessere, tüchtigere Führung
verdient gehabt hätten. H. M. |