Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 23. Oktober 2004
Langsam wurde es still um uns, bis auf den ewig knurrenden Magen und den das
Leben verkündenden Vogelgesang vor den Gittern am Abend und am Morgen."
Den "Vogelsang vor den Gittern" als Zeichen der Hoffnung wählte der heute
78jährige Walter Jürß als Titel für den Bericht über sein Leben. Er erzählt den
Weg vom wohlbehüteten Steppke einer gutbürgerlichen Rostocker Familie über
Krieg, Gefangenschaft, Leben in der sowjetischen Besatzungszone, Verurteilung
wegen antisowjetischer Propaganda durch ein sowjetisches Militärgericht, Haft im
"Gelben Elend" in Bautzen, auch in Torgau und Waldheim bis zur Übersiedlung in
den Westen und zum Aufbau einer neuen Existenz.
Jürß ist einer von vielen Deutschen, die im Herbst ihres Lebens ohne
literarischen Ehrgeiz, aber voller Ehrlichkeit aufgezeichnet haben, wie sie die
Zeit erlebten, die heute, wie Jürß schreibt, so häufig entstellt geschildert
wird. So erzählt er frei von der Leber weg, wie vor etwa 70 Jahren in Rostock
Großeltern, Mutter und Kinder - der Vater war früh verstorben - gemeinsam lebten
und sparsam, aber zielstrebig sozial aufstiegen. In den Ferien ging's nach
Graal-Müritz. Um sich etwas leisten zu können, suchte schon der Schüler kleine
Verdienstmöglichkeiten, so als Bote für die Handwerkskammer, gegen die er einen
einsamen Kampf focht, als er sich bei der Bezahlung ungerecht behandelt fühlte -
übrigens mit Erfolg. So konnte er sich stolz für 75 Reichsmark ein Fahrrad
kaufen und 1939 an einer Österreich-Tour der Hitlerjugend teilnehmen. 1942
erlebte er den vernichtenden britischen Luftangriff auf die historische
Innenstadt Rostocks. Nach der Arbeitsdienstzeit trat er in das
Traditionsregiment der Danziger Leibhusaren, das Kavallerie-Regiment Nr. 5 in
Stolp, ein. Allerdings war die Ausbildungszeit nicht ungetrübt, denn gerade in
einem solchen Regiment spielten die Standesunterschiede noch eine erstaunliche
Rolle. Über die Ausbildung in Frankreich und Einsätze in Rußland landete seine
Einheit in Ostpreußen. Jürß erwähnt Bestialitäten der Roten Armee, die er im
Raum Stallupönen, Ebenrode, Trakehnen erlebt hat, weigert sich aber heute noch,
sie zu schildern.
Aus der Gefangenschaft ließ er sich als angeblicher Landwirt vorzeitig entlassen
und arbeitete auf einem Hof im Holsteinischen, bis er Anfang 1946 in seine
Heimat Rostock zurückkehrte. Da er als Expedient bei der Deutsch-Russischen
Transport-AG Einblick hatte in die Beutegüter, die die Sowjets aus Deutschland
abtransportierten, konnte er im Kreise von Studenten, die ihm, wie er schreibt,
ein politisches Bewußtsein vermittelten, Material darüber mit Hilfe der
Liberal-Demokratischen Partei, dem Ostbüro der FDP, an westliche Zeitungen
gelangen lassen, die dann entsprechende Berichte veröffentlichten. Sehr schnell
kam der Urheber heraus. Von einem sowjetischen Militärgericht wurde er zu 25
Jahren Zwangsarbeit verurteilt, von denen er sieben Jahre in der SBZ, später
DDR, absitzen mußte. Dabei erlebte er auch die Hungerrevolten im Gefängnis
Bautzen mit.
Nach der vorzeitigen Entlassung floh er in den Westen und baute sich als
Kaufmann und freier Handelsvertreter eine Existenz auf, betätigte sich in der
Kommunalpolitik und setzte sich nach der Wiedervereinigung energisch für die
Rechte von in der DDR politisch Verfolgten ein.
Jürß liefert den ungeschminkten Lebensbericht eines Deutschen, der mit Zähigkeit
und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn die unruhigen Zeiten durchlebt hat und
mitgewirkt hat, Deutschland wieder aufzubauen. Jochen Arp
Walter Jürß: "Vogelsang vor den Gittern - Von den Leibhusaren ins ‚Gelbe Elend'
nach Bautzen", Verlag books on demand, Norderstedt 2004, 172 Seiten, 26. Abb.,
Paperback, 10,80 Euro |