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06.11.04 / Die Phantasie ist unterwegs / Lotte Betke-Ponnier und ihr reiches Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 06. November 2004


Die Phantasie ist unterwegs
Lotte Betke-Ponnier und ihr reiches Leben
von Susanne Deuter

Auch ihr Großvater aus Schleswig-Holstein sei mit 94 noch auf den Acker gegangen. "Das sind wohl die Gene", meint Lotte Betke über ihre Energie und Strahlkraft auch im hohen Alter. "Innen bin ich jung." Von der Großmutter hat sie die poetische Ader. "Sie kraulte mir auf dem Kopf rum und erzählte." Ihr, der Osche, hat sie als erfolgreiche Schriftstellerin immer wieder kleine Denkmäler gesetzt. Sie selber empfindet sich nicht als Autorin oder gar Dichterin, sondern "als Frau aus dem Dorf, die Geschichten erzählt". 1986 wurde sie mit dem Marlen-Haushofer-Preis ausgezeichnet.

Neuerdings fängt Lotte Betke an, sich wie als Schulmädchen wieder mit Französisch zu beschäftigen. Da die Augen nicht mehr so wollen und das Notenlesen schwerfällt, spielt sie auf dem Klavier auswendig Liedchen wie "Sur le pont" und ihren geliebten Bach - zum Kräftetanken. "Aus meiner Jugend tauchen Dinge auf, da merke ich, daß der Kreis sich schließt. Ich hab' einen Garten mitbekommen und den hab' ich, glaube ich, schön bestellt", sagt sie im Rückblick auf 99 gelebte Jahre. Sechs davon "als eine Art Exotin" in einem Altenheim in Siegburg bei Köln. Farbenfroh gekleidet, das weiße Haar mit einem bunten Band zusammengehalten, zieht es sie hinaus in die üppige Natur vor der Haustür. "Ich snack platt, du ok?" ist eine wichtige Frage im Leben der echten Hamburger Deern. Die norddeutsche Sprache und das "Tuuut" der Elbschiffe begleiten sie.

Während ihrer Kindheit im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel war sie oft recht einsam. Das änderte sich mit der Geburt des Bruders und als sie zur Schule kam. Hat sie vielleicht gerade deshalb über 30 Kinder- und Jugendbücher geschrieben, um etwas nachzuholen? Der Gedanke sei gar nicht so abwegig. Bevor Lotte Betke ein Buch nach dem anderen schrieb ("Die Phantasie ist immer unterwegs") legte sie jedoch erst einmal beachtliche Erfolge als Schauspielerin vor. Verliebt in das Gretchen trat sie mit der Kerkerszene aus dem "Faust" zur Aufnahmeprüfung für die Hamburger Schauspielschule an. Welche Kühnheit, sie nahm sich ganze fünf Minuten, um sich zu sammeln: "Das war mir wurscht, ich wollte erst im Kerker sein und mich versenken." Das mache sie heute noch vor ihren Lesungen. Kühnheit siegt, sie wurde angenommen.

1931 kam Lotte Betke nach ersten Engagements am Hamburger Thalia Theater und in Bielefeld ans Staatstheater Berlin zu Gustaf Gründgens und Jürgen Fehling. Auch hier ging es mit dem Gretchen weiter und mit glücklicher Ensemblearbeit. Lotte spielte unter anderem in "Minna von Barnhelm" mit Hermine Körner, im Lustspiel "Donna Diana" mit Werner Krauß und die Lady Anna in "Richard III."

Das Leben außerhalb des Theaters wurde immer gespenstischer. Der jungen Schauspielerin wurden für immer die Augen geöffnet, nicht zuletzt durch die Beziehung zu ihrem jüdischen Freund, der ins Exil gehen mußte. Auch die Angst um ihren schizophrenen Bruder, der in einer Anstalt lebte, war allgegenwärtig. Ihr 1993 erschienener Schlüsselroman "Feuermoor oder Sieh dich nicht um" (Alkyon Verlag, Weissach i. T., 183 Seiten, 9,90 Euro) erzählt von den Jahren unter den braunen Machthabern.

Da Lotte Betke als Schriftstellerin gern hinter ihrem Stoff verschwindet, hat sie auch hier eine künstlerische Form gewählt, die sie nicht zur Ich-Erzählerin oder allein zur Tatsachen-Autorin macht. Aus "Feuermoor" vorzulesen, zu erleben, wie das Buch ankommt, war und ist ihr ein besonderes Anliegen. Im April 2001 saß sie als gefragte Zeitzeugin inmitten einer Schülergruppe eines Hamburger Gymnasiums, das einmal ihre alte Schule war.

Lotte Betke hat wie so viele ihrer Generation in Berlin alles verloren. Inzwischen verheiratet mit dem Musiker Ulrich Ponnier, floh sie 1944 - schwanger mit Tochter Katharina - nach Stuttgart. "Hier in Schwaben kriegen wir unsere Kinder satt" war ihr fester Glaube. Sohn Matthias Ponnier, geboren 1940, ist ein bekannter Schauspieler geworden.

"Lieschen", erschienen 1941, heißt Lotte Betkes erstes von über 30 Kinder- und Jugendbüchern. Es handelt von einem verschlossenen Mädchen mit einer starken inneren Kraft. Ähnlichkeiten mit dem Kind Lotte sind unverkennbar. Ein bekannter Buchtitel aus dem Jahr 1950 lautet "Tinka und Matten". Ausgestattet mit einer gut funktionierenden Antenne für die Kinder- und Jugendsprache, hatte Lotte Betke ihr neues Wirkungsfeld gefunden. Die Ideen flossen stets in Schulhefte, mit einem breiten Rand für Verbesserungen.

Ob in ihren frühen Veröffentlichungen oder in späteren Jugendbüchern wie "Lied der Sumpfgänger" oder "Lampen am Kanal", die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, ihre Geschichten machen auf die Not anderer aufmerksam, möchten das Wir-Gefühl wecken und Vorurteile abbauen. Von 1962 bis 1977 arbeitete Lotte Betke, deren Ehemann 1976 starb, halbtags als Lektorin für den Kinder- und Jugendfunk am Südfunk Stuttgart. Sie schrieb auch zahlreiche Hörspiele und Gedichte. "Liegt eine Feder auf deinem Weg / Geh nicht vorbei / Vielleicht daß der Häher sie verlor / Oder ein Engel/ Geh nicht vorbei / Heb sie auf." - Zeilen aus dem Band "Inmitten der Steine" (Alkyon Verlag, 77 Seiten, 8,90 Euro), in dem sie mit abschließenden plattdeutschen Gedichten ihr Hamburger Herz sprechen läßt.

Was sie vermißt, ist nicht nur die Sprache, den Wind, es ist "am Meer entlang zu laufen und das Wasser kommt über meine Füße, die ich in den Schlick kralle, das ist eines der sinnlichsten Gefühle, die ich kenne." Und wer schon Weihnachtsgefühle hat, kann sich mit Lotte Betkes Erzählungen in "Die Fahrt nach Jeversand" (Alkyon Verlag, 124 Seiten, 9,40 Euro) auf das große Fest einstimmen.

Ein Leben zwischen Bühnen- und Schreibkunst. "Wenn es in die Kunstgefilde geht, dann bin ich wach." Im April dieses Jahres kehrte Lotte Betke zur 100-Jahr-Feier des Bielefelder Stadttheaters an den Ort erster Erfolge zurück, rezitierte Schillers "An die Freude", erinnert sie sich dankbar. Ein Glücksmoment im hohen Alter.

Zum 99. Geburtstag an diesem Freitag hätte ihr eine Andenkapelle bannig viel Spaß gemacht. "Die Inkas haben es mir angetan. Soweit ich mich bewegen kann, tanze ich nach ihrer Musik", schrieb sie unlängst aus Siegburg. "Bewegen - wie gut, daß unsere Gedanken beweglicher sind als alles in der Welt. So kann ich im Nu in Hamburg sein."

 Lotte Betke-Ponnier: Blickt zurück auf ein reiches Leben zwischen Bühne und Schriftstellerei Foto: Deuter

Beliebtes Jugendbuch: Von Lotte Betke stammen über 30 Titel.


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