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Preußische Allgemeine Zeitung / 06. November 2004
Die barbarischen Vorgänge um den 9. November 1938, denen der Berliner Volksmund den Namen "Reichskristallnacht" gab, belasten immer noch die deutsch-jüdischen, nicht zuletzt die christlich-jüdischen Beziehungen. Im Gegensatz zur eigentlichen Judenvernichtung, die sich hinter dem Vorhang strengster Geheimhaltung vollzog, war damals nahezu jedermann Zeuge dessen, was der Propagandaminister Joseph Goebbels als "Ausdruck spontaner Volkswut" ausgab. Die Nationalsozialisten hatten keinen Zweifel daran gelassen, daß sie gewillt waren, Deutschland "judenrein" zu machen. Am 1. April 1933 kam es zum Boykott jüdischer Geschäfte. Bald danach emigrierten rund 37.000 Juden. Doch da die Regierung um die innere Stabilisierung der Macht bemüht war, flaute die Verfolgungswelle vorläufig ab. Die Mehrzahl der in Deutschland verbliebenen Juden gab sich der Hoffnung hin, es werde zu einem Modus vivendi zwischen ihnen und den neuen Machthabern kommen. Das Organ des "Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" schrieb am 4. Februar 1934, es anerkenne "den Anspruch der deutschen Nation, gemeinsam mit uns und allen jüdischen Organisationen in Deutschland ... über Ausmaß und Grenzen unseres Tätigkeitsbereichs sowie über Form und Inhalt unserer Zusammenarbeit zu entscheiden". Ähnlich positiv äußerte sich der Vorsitzende des Bundes jüdischer Frontkämpfer im Schild vom 12. April 1934. So kam es zwischen 1934 und 1937 im Durchschnitt nur zu 20.000 bis 25.000 Auswanderungen pro Jahr und lediglich 27.000 Emigranten machten von den 130.000 Genehmigungen Gebrauch, in die USA auszuwandern. So stellten die Machthaber nach fünf Jahren fest, daß ihre Einschüchterungsmaßnahmen nicht zu einem "judenreinen" Reich geführt hatten. Bis 1938 wurden Juden als Individuen verfolgt, ab März 1938 wandte sich ein Gesetz erstmals gegen ihre Kultstätten, denen der staatliche Schutz als Körperschaft des öffentlichen Rechts entzogen wurde. Hiergegen gab es seitens des Auslandes keinerlei Protest. US-Präsident Roosevelt ließ 1938 eine internationale Konferenz zur Lösung der Flüchtlingsfrage ins französische Evian einberufen, da die Schweiz sich geweigert hatte, eine Konferenz auf ihrem Territorium stattfinden zu lassen. Die Konferenz gelangte zu trauriger Berühmtheit. Die Sowjetunion und die Tschechoslowakei waren nicht vertreten, Italien lehnte die Einladung ab, Rumänien und Polen schickten lediglich Beobachter, die darum baten, sie von den Juden im eigenen Land zu "befreien". Die Reichsregierung gestattete einer Delegation jüdischer Gemeinden die Teilnahme. Die Vertreter von 32 Staaten begrüßten emphatisch die Initiative Roosevelts, den Opfern der Verfolgung ihre Sympathie auszudrücken, teilten aber gleichzeitig mit, die wirtschaftliche und soziale Lage ihrer Länder gestatte keine Aufnahme von Juden. Dem Jüdischen Weltkongreß, der für sieben Millionen Juden sprach, wurden ebenso wie der Vereinigung für hilfsbedürftige Wissenschaftler im Ausland, jeweils ganze fünf Minuten Audienz gewährt. Die Delegation der deutschen Juden durfte lediglich eine Denkschrift überreichen. Auf Anregung der südamerikanischen Delegation wurde jegliche polemische Äußerung gegen das Dritte Reich gestrichen. Die New York Times vom 8. Juli 1938 gab den allgemeinen Eindruck wieder, daß sich niemand der 650.000 verfolgten Juden in Deutschland annehmen wolle. Goebbels fragte in einem Artikel vom selben Tag ironisch "Was fangen wir mit den Juden an?" Der Reichswart schrieb am 14. Juli: "Juden preiswert abzugeben - wer will sie? Niemand?" Die Nationalsozialisten wußten nun, daß dem Ausland trotz empörter Proteste gegen ihre Judenpolitik das Schicksal der deutschen Juden im Grund gleichgültig war. Die Schweiz drang wie England bei der Reichsregierung darauf, dem Strom jüdischer Einwanderer auf ihr Territorium vorzubeugen. Im September 1938 kam der Chef der eidgenössischen Polizei, Dr. Heinrich Rothmund, nach Berlin, um ein entsprechendes Abkommen zu unterzeichnen. Er schlug gleichzeitig vor, Juden durch einen entsprechenden Vermerk im Paß kenntlich zu machen. Hierauf erhielten die Juden ein drei Zentimeter großes "J" in ihren Paß. Die lateinamerikanischen Staaten schränkten ab September 1938 die Einwanderung jüdischer Einwanderer drastisch ein. Eine Denkschrift der französischen Regierung vom Oktober 1938 betonte, kein Staat "streite der deutschen Regierung das uneingeschränkte Recht ab, gegen bestimmte Staatsangehörige Maßnahmen zu ergreifen, die allein unter die Ausübung ihrer Souveränität fallen". Deutlicher konnte man den Nationalsozialisten nicht zeigen, daß man ihnen das Recht zubillige, die Juden nach ihrem Belieben zu behandeln. Zur ersten Massendeportation von Juden trug wesentlich die polnische Regierung von 1938 bei. Um zu verhindern, daß zu den 3,5 Millionen in ihrem Land noch die etwa 50.000 in Deutschland lebenden polnischen Juden hinzukommen, bestimmten sie, daß der Paß eines jeden seit mindestens fünf Jahren im Ausland lebenden Polen ohne das Sondervisum eines zuständigen Konsulats seine Gültigkeit verliere. Am 26. Oktober 1938 wurde der polnischen Regierung mitgeteilt, daß das Reich die polnischen Juden sofort ausweisen werde, wenn sich die polnische Regierung nicht verpflichte, sie wieder nach Polen zurückkehren zu lassen. Da sich Polen weigerte, erhielt die Gestapo den Befehl, die polnischen Juden sofort nach "jenseits der grünen Grenze" abzuschieben. Dies erfolgte in der Nacht vom 28. auf den 29. Oktober. Die polnischen Grenzbeamten empfingen ihre Landsleute mit aufgepflanztem Bajonett. Unter diesen befand sich auch Sendel Siegmund Grynszpan. Sein jüngster Sohn Herschel lieferte den tragischen Vorwand für den Novemberpogrom. Am 7. November 1938 ging er in die deutsche Botschaft, wo er von Legationssekretär Ernst vom Rath empfangen wurde. Er habe ihm ein wichtiges Dokument zu übergeben. Mit den Worten: "Sie sind ein sale [schmutziger] boche, hier ist das Dokument, im Namen der 12.000 verfolgten Juden" schoß er fünfmal auf den Diplomaten, der zwei Tage später seinen schweren Verletzungen erlag. Am 8. November schrieb die L'Humanité, der Mordanschlag Grynszpans habe den Nationalsozialisten den idealen Vorwand für die Judenverfolgung geliefert. Heute haben wir die traurige Gewißheit, daß die französische Zeitung Recht behalten sollte. Einen Tag später zerbarsten in Deutschland die Fensterscheiben. |