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04.12.04 / Das geschönte Bild der 68er / Mythos und Wirklichkeit der studentischen Revolution

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Dezember 2004


Das geschönte Bild der 68er
Mythos und Wirklichkeit der studentischen Revolution
von George Turner

Für viele ist es ein Mythos. Was nicht alles den sogenannten 68ern zu verdanken sei. Beteiligte bekommen leuchtende Augen, wenn sie sich an eigene oder fremde "Heldentaten" erinnern. Betroffene sehen das weniger begeistert. Für manche sind die 68er an allem schuld. Wie aber sieht eine nüchterne Bilanz aus?

Als 68er bezeichnet man Personen, die sich mit den Zielen und Vorgehensweisen der vor allem im Jahr 1968 aktiven Studenten identifizieren oder selbst dazu gehörten. In den 60er Jahren entwickelte sich eine Außerparlamentarische Opposition, kurz APO genannt. Dies war im Grunde eine antiparlamentarische Bewegung, die ihre maßgeblichen Kräfte im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) besaß, von dem sich die SPD bereits 1961 getrennt hatte.

Den Höhepunkt erreichte die Bewegung im Jahr 1968. Man versuchte, die Universitäten zu Ausgangsstätten für die erstrebte Revolution "umzufunktionieren". Wegen der aktuellen Probleme, die zunächst ins Visier genommen wurden, kam es zu Solidarisierungen von einer großen Zahl Studierender. Es ging dabei zunächst um die Verbesserung der Studienbedingungen. Dies fand den Beifall vieler Studenten. Sie beteiligten sich an Protestveranstaltungen mannigfacher Art.

Die Situation steigerte sich zu Meinungsterror und Bedrohung wissenschaftlicher Freiheit. Vorlesungsstörungen, die Androhung und auch die Verwirklichung von Gewalt gegen Sachen und Personen waren keine Einzelerscheinungen. Das Bild von den Studenten änderte sich radikal. Veränderte Lebensgewohnheiten (demonstrative Geringschätzung konventioneller Formen, Wohngemeinschaften in Form von Kommunen, Rücksichtslosigkeit gegenüber Vertragspartnern wie zum Beispiel Vermietern, Vernachlässigung von Äußerlichkeiten wie Kleidung und Frisur) machten den "linken" Studenten für weite Bevölkerungskreise zu einem Bürgerschreck.

Die andersartigen Formen des Auftretens und Verhaltens haben zwei-felsohne insofern andauernde Wirkungen entfaltet, als manche bis dahin gültigen Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens fortan unbeachtet blieben. Dabei sind gewiß auch manche "alten Zöpfe" abgeschnitten worden. Daneben aber gab es eine andere Erscheinung: Eindeutig kriminell waren "Aktionen" wie Besetzungen von Hörsälen, Verwüstung von Bibliotheken bis hin zu Bombenanschlägen auf politisch mißliebige Professoren. So konnten einige Professoren ohne Gefahr für Leib und Leben die Universität nicht mehr betreten, Vorlesungen fielen wochenlang aus, weil sie "bestreikt" wurden, ein Begriff, der die ganze Anmaßung der damaligen Rädelsführer deutlich macht, aber auch das (allerdings vergebliche) Bestreben, Solidarität unter den Arbeitern zu erreichen. Es handelte sich dabei um einen Vorlesungsboykott, fälschlicherweise auch als Vorlesungsstreik bezeichnet. Mit dem teilweise oder geschlossenen Fernbleiben der Studenten von Vorlesungen, aber auch anderen Lehrveranstaltungen sollten Forderungen gegenüber der Hochschulleitung oder der Wissenschaftsverwaltung durchgesetzt und / oder ein allgemeiner Protest bekundet werden.

Ein großes Problem stellte das Sympathisantentum mit dem Terrorismus dar. Darunter verstand man das vornehmlich aus Intellektuellen bestehende Umfeld vielfach von den Hochschulen kommender Terroristen, das deren Aktionen duldete oder sie sogar aktiv unterstützte. Es gab Verfechter der Idee, daß es bei der Gewaltanwendung auf die Motive ankomme. Wer eine "normale" Straftat begehe, sei schuldig, wer dies aus politischen Beweggründen tue, verdiene eine andere Beurteilung.

Die Grundsätze zur Beschäftigung von verfassungsfeindlichen Personen im öffentlichen Dienst, niedergelegt im sogenannten Extremisten-Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern aus dem Jahre 1972, trafen linke wie rechte Terroristen in gleicher Weise. Aktuell wurde die Frage jedoch nur in Bezug auf Exponenten der Linken. Dies hing damit zusammen, daß die APO und ihre Nachfolgegruppierungen, insbesondere die K-Gruppen, das Ziel verfolgten, einen "Marsch durch die Institutionen" anzutreten.

"K-Gruppen" war ein Sammelbegriff für die zahlreichen linksradikalen Gruppierungen, die sich im Gefolge der Studentenbewegung der späten 60er Jahre gebildet hatten und deren Name meist mit einem "K" (für kommunistisch) begann. Sie bekannten sich überwiegend zum Marxismus-Leninismus in maoistischer Ausprägung und wandten sich nicht nur gegen die bürgerliche Gesellschaft, sondern auch gegen das damals in der UdSSR verwirklichte Herrschaftsmodell.

Zu ihnen zählten etwa der KBW (Kommunistischer Bund Westdeutschlands), die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands), die KPD / (KPD / Marxisten-Leninisten), die MLD (Marxisten-Leninisten Deutschlands) oder der KABD (Kommunistischer Arbeiterbund Deutschlands). Schon in den 70er Jahren waren einige der K-Gruppen von Spaltungs- und Auflösungserscheinungen betroffen. Das Scheitern des Kommunismus in den osteuropäischen Ländern und der DDR hat den Einfluß und die Bedeutung weiter zurückgedrängt.

Bewerber um Positionen im öffentlichen Dienst, die einschlägige Biographien aufwiesen, wurden durch die Anwendung des sogenannten Radikalen-Erlasses daran gehindert, eine Unterwanderung des Systems zu erreichen. In Überzeichnung und Verdrehung der Situation sprach man in diesen Fällen von "Berufsverboten". Tatsächlich fehlte es an einer Voraussetzung für die Anstellung, nämlich der Verfassungstreue.

Wenn der Eindruck erweckt wird, die 68er-Bewegung hätte eine positiv zu bewertende Reform an den Universitäten in Gang gesetzt, bedarf das der deutlichen Korrektur. Es ist falsch, wenn behauptet wird, erst der Studentenprotest habe auf die Mängel des deutschen Hochschulsystems aufmerksam gemacht und damit die Reformpolitik eingeleitet.

Tatsächlich sind zum Beispiel die Arbeiten des 1957 von Bund und Ländern für die Hochschulen eingerichteten Wissenschaftsrats mit den Empfehlungen zur Reform der Hochschulen fünf bis zehn Jahre älter als der Höhepunkt des Studentenprotestes im Jahre 1968. Auch Pichts Warnruf (s. PAZ 45, 6. November 2004) war seit 1964 zu hören und hatte Wirkung gezeigt. Die längst fällige Reform war allerdings so überfällig geworden, daß sie in Revolution ausartete. Manche meinen, es habe dieses Umwegs bedurft, weil sonst die verkrusteten Strukturen nicht hätten aufgebrochen werden können. Das trifft zum Teil zu. Ebenso richtig ist, daß es Exzesse gab und dauerhafte Beschädigungen gibt.

Verkrustete Strukturen aufbrechen: Die Studenten der 68er schoßen allerdings über ihr Ziel hinaus. Foto: Ullstein


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