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04.12.04 / Stalinismus à la Korea im Reich der Kims / Wie der Vater die Dynastie begründete und etablierte und wie der Sohn das Erbe fortführt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Dezember 2004


Stalinismus à la Korea im Reich der Kims
Wie der Vater die Dynastie begründete und etablierte und wie der Sohn das Erbe fortführt
von A. Rothacher

Als personalisierte Despotie ist das Regime der Kims - ähnlich wie der Stalinismus, der Maoismus und die Hitlerei - ohne die Biographie der beiden Hauptakteure unverständlich. Kim Song-il war im September 1945 als Hauptmann der Roten Armee in das von den Japanern nach der Kapitulation geräumte Pjöngjang eingerückt und von den Sowjets mit der Leitung der einheimischen Verwaltung und der wenige hundert Mitglieder zählenden Kommunistischen Partei im Norden betraut worden. Kim entstammte einer ins mandschurische Exil geflüchteten Lehrerfamilie. Früh verwaist schloß er sich nach nur minimaler Schulbildung als Jugendlicher dem kommunistischen Untergrund an. Wie bei Mao war das Fehlen formaler Bildungsabschlüsse in einer konfuzianischen Gesellschaft ein lebenslanges Stigma, daß sich bei beiden in nachhaltigen Ressentiments und einem blutig ausgetragenen Verfolgungswahn gegenüber Intellektuellen jeder Art austoben sollte. Systematisch wurde später seine Arbeiterpartei von besser ausgebildeten Kadern und unabhängigen Geistern gesäubert.

Kim verbrachte seine prägenden Jahre in einem kleinen Trupp kommunistischer Partisanen in der menschenarmen Einöde der Nordostmandschurei. Die jahrelange Existenz in einer meist flüchtenden Räuberbande lehrte Selbstgenügsamkeit, Leben als Kampf, stete Bereitschaft zur mörderischen Gewalttätigkeit und ein tiefes Mißtrauen gegenüber Außenseitern. Im Gegensatz zu späteren Propagandalegenden traute sich Kims Truppe nie über die Grenze nach Korea und beschränkte sich auf kleinere Überfälle aus dem Hinterhalt in entlegenen Waldgebieten, bis er sich 1941 auf der Flucht endgültig in die sichere Sowjetunion absetzte. Keine der normalerweise sehr detaillierten japanischen Kriegschroniken fand die Heldentaten seiner Bande auch nur der Erwähnung wert.

In der Sowjetunion erlernte Kim die stalinistischen Techniken der Massenmobilisierung, die er bis zum Ende seines langen Lebens (1994) als einzige Entwicklungsstrategie praktizieren sollte. Die Sowjets sahen in dem 33jährigen Hauptmann einen disziplinierten stalinistischen Kader ohne Charisma, ohne geistige Interessen und ohne eine einheimische Machtbasis - damit als idealen Kandidaten für ein abhängiges Kollaborateursregime. Damals waren alle wichtigen Kader in den US-amerikanischen besetzten Süden gegangen, um dort - ohne Erfolg - einen kommunistischen Aufstand vorzubereiten.

Als Herrscher des stärker industrialisierten und urbanisierten Nordens fühlte sich Kim im Juni 1950 stark genug, den agrarisch geprägten Süden anzugreifen. Drei Jahre später war das ganze Land verwüstet und eine Million Koreaner gefallen (darunter 700.000 aus dem Norden). Kims Regime wurde nur durch eine Million chinesischer "Freiwillige" gerettet, von denen 400.000 Mann fielen, darunter Maos Sohn.

Kim nutzte den Waffenstillstand von 1953, um seine innerparteilichen Gegner - einheimische Kommunisten und solche, die im chinesischen Exil waren - des Verrats und der Verantwortung für die Niederlage zu bezichtigen und nach jahrelangen Schauprozessen hinzurichten. 1958 errangen er und seine Fraktion der mandschurischen Ex-Guerillas die totale Kontrolle der Arbeiterpartei, des Militärs und des Staatsapparats. Der Beginn des Personenkults wurde von der Primitivideologie der Juche, einer nationalkommunistischen Autarkiedoktrin begleitet, die später auch das Karpatengenie Nicolae Ceaucescu (und das aktuelle NPD-Wirtschaftsprogramm) erleuchten sollte. Sie rechtfertigte eine zentralistische, leninistische Diktatur, stalinistische Massenmobilisierungen für eine rücksichtslos betriebene Schwerindustrialisierung und Kollektivierung sowie die spätere (nach Kim Jong-ils Machtantritt erfolgte) konsequente Militarisierung der Gesellschaft bis hin zur Streichung aller Referenzen zum Marxismus aus dem Parteiprogramm und der Staatsverfassung. Der Kult um Kim war der eines allwissenden Helden und Vaters des Volkes, der auf steten Inspektionsreisen über das Land unfehlbare Befehle und wundersame Hilfen verteilte. Dabei nahm die öffentlich angeordnete Verehrung, die ständig neu gesteigert werden mußte, immer skurrilere Züge an.

Von parteiischer Selbstbeweihräucherung betört, immunisierte sich die Führung daher völlig von jeglichem unabhängigen Expertenwissen, zumal die Partei-, Militär- und Staatsführung regelmäßig weiter blutig gesäubert wurde, auch von alten mandschurischen Genossen. Die Spezialität von Kim Junior waren dabei nicht Schauprozesse, sondern tödliche Lkw-Unfälle - die in ihrer Häufigkeit um so auffälliger waren, als so wenige Lkws auf nordkoreanischen Straßen unterwegs sind.

Der gewalttätigen Tradition des Bandenkampfes entstammend, sahen die Kims weiter den bewaffneten Kampf als Seinsgrund aller Geschichte. Deshalb schufen sie eine spartanische Helotengesellschaft, deren militärische Bedürfnisse ein Viertel bis die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes (BIP) absorbieren. Wie China unternahm das nie entstalinisierte Regime ab den 60er Jahren eine aggressive Außenpolitik, die durch Terrorangriffe und Bombenanschläge (Angriff auf das Blaue Haus des südkoreanischen Präsidenten und Kapern des US-"Spionage"-Schiffs "Pueblo" 1968, Axtmorde an der Demilitarisierten Zone (DMZ) zwischen Nord- und Südkorea 1976, Bombenanschlag auf das südkoreanische Kabinett in Rangun 1983, Explosion eines Korea-Air-Line-Flugs 1987) noch bis in die späten 80er Jahre den Abzug der US-Truppen erzwingen sollte. Dies würde nach Kimscher Überzeugung den sofortigen Zusammenbruch des südlichen "Marionettenregimes" bewirken. Das Nichtbedienen seiner Auslandsschulden, der Schmuggel von Drogen, Waffen und Falschgeld sowie der systematische Mißbrauch diplomatischer Privilegien folgen der gleichen revolutionären Tradition, die für internationales Recht nur Verachtung übrig hat. Auch in der Bewegung der Blockfreien, der es sich 1975 anschloß, isolierte sich Nordkorea durch seinen hemmungslosen Egoismus, seine Drohgebärden und seine rabiate Rhetorik schnell, nahm aber seine internationale Isolation ebenso wie den meteorartigen wirtschaftlichen und internationalen Aufstieg Japans und Südkoreas nicht zur Kenntnis.

Schon vor Kim Il-sungs Tod waren alle Widerstände gegen die dynastische Thronfolge blutig beseitigt worden. Fatalerweise stützt sich Kim Jong-il seit 1994 hauptsächlich auf die Militärkaste. Die gealterte Generalität hatte im Koreakrieg noch als junge Offiziere gekämpft. Sie ist von der Wirtschaftskrise am weitesten isoliert und hat von echten Wirtschaftsreformen und einer friedlichen Wiedervereinigung nichts zu erwarten. Kim Jong-il hat im letzten Jahrzehnt das Erbe seines Vaters getreulich fortgesetzt. Dazu zählen, unbeeindruckt von der Hungersnot, sinnlose Prestigeprojekte wie leere Autobahnen, der Juche-Turm, Triumphbögen in allen Provinzhauptstädten, leere Sportgroßstadien und das unvollendete größte Hotel der Welt in Pjöngjang (das in seinem Charme an Prora auf Rügen erinnert, das größte Hotel der 40er Jahre). Spekulationen, daß Kim Junior insgeheim pragmatischer oder weniger gewalttätig sei als sein Vater, haben sich ebensowenig bewahrheitet wie Ferndiagnosen des Wahnsinns und anderer Psychosen. Innerhalb der Machtlogik des militanten Stalinismus handelt Kim durchaus rationell und taktisch durchtrieben, wenn auch bislang unfähig, den strategischen Niedergang seines Landes zu erfassen. Madelaine Albright fand ihn gefährlich, aber nicht wahnsinnig, isoliert, aber (dank des Internets) nicht uninformiert, dazu ruchlos, scharfsinnig, kalkulierend, energiegeladen und machtbewußt. EU-Außenkommissar Chris Patten erlebte ihn frei sprechend, ohne Sprechzettel - für einen kommunistischen Führer ungewöhnlich. Während des Gipfels mit Kim Dae-jung gab er sich witzig, charmant und intelligent - und hielt später kein einziges seiner Versprechen ein. In Nordkorea gilt er als gefürchtet, aber nicht respektiert. Seinen Untertanen erscheint er als intelligenter Einzelgänger, als erratisch und despotisch, impulsiv, gewalttätig und arrogant. Ohne je Militärdienst geleistet zu haben, ernannte sich Kim zum Feldmarschall und Oberkommandierenden. Sein Führungsstil ist bekannt. Wie Caligula besteht Kim auf absoluter Geheimnistuerei. Während des US-Angriffs auf den Irak verschwand er im Frühjahr 2003 wochenlang von der Bildfläche, vermutlich hauste er in den Führungsbunkern im Baekdu-Gebirge, nahe der chinesischen Grenze. Befehle erteilt er in nächtlichen Telefonaten und bei Überraschungsinspektionen. Bei formalen Sitzungen, wie jenen des Parlaments, glänzt er durch Abwesenheit. Bekannt sind seine Flugangst, die Vorliebe für schnelle Autos, seine große Sammlung an drittklassigen Actionfilmen, sein Hang zu Hennessy Cognacs und französischen Rotweinen, zu attraktiven Frauen und zur hemmungslosen Gewalttätigkeit. Mit diesen Neigungen hält er seine gesamte Umgebung in Angst und Schrecken sowie in vollständiger Abhängigkeit. Wegen der ständigen willfährigen Lobhudeleien gibt es keine Realitätskontrollen in seiner alkoholisierten Welt von Gewalt- und Allmachtsphantasien. Deshalb strafte er alle goldenen Brücken, die ihm Kim Dae-jungs Sonnenscheinpolitik und die Clinton-Administration von 1994 bis 2000 bauten, mit Verachtung und mißinterpretierte sie als Zeichen von Schwäche, die es weiter vertragsbrüchig auszunutzen gälte.

Möglicherweise ist aber eines Tages die Vision eines sicheren Exils in einer Luxusvilla im Süden Chinas mit einem unbegrenzten Nachschub an Alkohol, Hummer, Prostituierten und Pornofilmen für den alternden Despoten attraktiver, als wie im letzten Jahrzehnt in ständiger Angst vor Vergiftungen, Palastputschen und sogenannten Präventivschlägen der USA nächtens von Bunker zu Bunker zu rasen. Für die koreanische Nation wäre ein solcher Gesinnungswandel ein Segen.

Gibt es angesichts der universellen totalitären Repression eine organisierte Opposition in Nordkorea? Im Januar 1996 soll das im Nordosten stationierte 6. Armeekorps rebelliert haben. Was auch immer damals passierte, der Aufstand wurde niedergeschlagen, die Einheit aufgelöst und alle greifbaren Offiziere erschossen. Die Zahl der christlichen Hauskirchen im Untergrund wird auf 50 geschätzt. Vor allem von der zwei Millionen Menschen umfassenden koreanischen Minderheit in der Mandschurei geht eine Missionierungs- und Flüchtlingshilfearbeit aus, die jedoch in zunehmendem Maße von der chinesischen Geheim- und Grenzpolizei behindert wird, da die chinesische Führung kein Interesse an einem Regimewechsel hat. (Siehe auch den Beitrag zur aktuellen Situation auf Seite 3.)

 

Kim Song-il: Der Despot gehört zu den wenigen Figuren der Weltgeschichte, die in einer Volksrepublik eine Dynastie begründet haben. Foto: Archiv

 

Klassenkampf auf nordkoreanisch

Mit dem Ziel, die Bourgeoisie zu eliminieren und die "rote Klasse" zu stärken, ließ Kim Il-sung 1967 bis 1970 die ganze Bevölkerung in drei Hauptklassen und 51 Unterkasten einteilen. Dazu wurden ähnlich wie zu Zeiten des Ariernachweises die letzten drei Generationen auf Klassenzugehörigkeit und politische Korrektheit untersucht. Alle zehn Jahre wird seither die gesamte Bevölkerung auf politische Linientreue erneut überprüft. Die drei Klassen sind:

a) Kernklasse: Arbeiter, Kolchosbauern, kleine Angestellte, Mitglieder der Koreanischen Arbeiterpartei (KAP), verdiente Veteranen, Nachkommen von Revolutionären oder von im Koreakrieg gefallenen Soldaten des Nordens.

b) Unzuverlässige Klasse: ehemalige Bürgerliche, Händler, Industrielle, unter japanischer Besatzung ausgebildete Intellektuelle, aus China oder Japan Repatriierte.

c) Feindliche Klasse: Christen, ehemalige Großgrundbesitzer, Kollaborateure mit den Japanern und US-Amerikanern, politische Gegner der Kims, Angehörige verurteilter Staatsfeinde.

Zur Kernklasse zählten 1970 vier Millionen (2000: sechs Millionen), zur Unzuverlässigen Klasse: 3,5 Millionen (2000: 9,6 Millionen) und zur Feindlichen Klasse acht Millionen (2000: 5,8 Millionen). Da ein Klassen-"Aufstieg" nur in raren Ausnahmefällen gewährt wird, dokumentiert die Zahlenentwicklung erschreckend den gesellschaftspolitischen Effekt von gezielter Unterversorgung an Nahrungsmitteln und Gesundheitsdiensten für die vermeintlichen, in abgelegene Bergdörfer verbannte Klassenfeinde mit ihrer massiv erhöhten Sterblichkeit. Nur die Kernklasse hat Zugang zu höheren Staats- und Armeestellen und zur Mitgliedschaft in der Koreanischen Arbeiterpartei (KAP - vier Millionen Mitglieder). Nur sie kann Hochschulen besuchen, hat Wohnrecht in der Hauptstadt, Zugang zu besser bezahlten Berufen, besseren Wohnungen sowie besserer Versorgung mit medizinischen Diensten und Nahrung. Für die feindliche Klasse gibt es nur harte, gefährliche Arbeit und miserablen Wohnraum. Um Nahrung und Gesundheitsdienste muß sie sich selbst kümmern. Der unzuverlässigen Klasse geht es ähnlich. Ihre beruflichen Möglichkeiten enden bestenfalls als technische Spezialisten. Am schlimmsten ist die Lage in den Strafarbeitslagern mit ihren 210.000 Insassen. Manche der fünf großen GULags bieten nach Jahren der bis zu 18 Stunden täglich dauernden Sklavenarbeit die Chance auf Freiheit als ortsgebundener Angehöriger der Feindlichen Klasse. Andere sind Todeslager, in denen sich die Insassen bei gefährlicher Bergwerksarbeit unterernährt bis an ihr Lebensende zu Tode arbeiten. 400.000 Menschen sind im nordkoreanischen GULag seit Ende der 60er Jahre bisher umgekommen. Aus Satellitenaufnahmen und Flüchtlingsaussagen - auch von geflohenem Wachpersonal - sind die schrecklichen Realitäten der Lager mittlerweile gut bekannt. A. R.


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