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11.12.04 / Europa im Umbruch / Anmerkungen zu einer Ausstellung mit Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in Stuttgart

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. Dezember 2004


Europa im Umbruch
Anmerkungen zu einer Ausstellung mit Kunst des frühen 20. Jahrhunderts in Stuttgart

Nach Eröffnung der Neuen Staatsgalerie rückte das Stuttgarter Museum vom ungünstigen Platz 56 in der deutschen Besucherstatistik auf den zweiten Platz der Jahresbilanz vor. Das verpflichtet natürlich, mit ausgesuchten Bildpräsentationen die Rangfolge weiterhin einzuhalten. Die Ausstellung "Europa im Umbruch" zeigt nun mit Zeichnungen und Druckgraphik die Avantgardekunst des frühen 20. Jahrhunderts (bis 23. Januar 2005; Katalog, 336 Seiten mit 197 Abb., 24 Euro). Die Ausstellungsmacher nahmen die aktuelle EU-Osterweiterung zum Anlaß, um in einer Gegenüberstellung von deutschen und ungarischen Künstlergruppen den beiderseitigen Beitrag zur Moderne zu verdeutlichen.

Der Beginn des komplexen Zeitabschnittes von 1900 bis 1930 fällt zusammen mit einem Höhepunkt des wilhelminischen Zeitalters und das Ende mit dem Zerfall der Weimarer Republik. Für Kaiser Wilhelm II. hatte die Kunst eine patriotische Pflicht zu erfüllen, sonst war sie für ihn nicht vorhanden. Aber man war tolerant und ließ auch die vielfältigen Ismen der Avantgarde gelten. Die revolutionären Umwandlungen der scheinbar festgefügten Monarchien, die völlige Umkrempelung feudaler Gesellschaftssysteme fanden ihren Ausdruck in einer mahnend-anklagenden Weise, wie sie die Königsbergerin Käthe Kollwitz in ihren Zeichnungen verwirklichte. Eine andere Gruppe sah ihr Ziel in einer anarchistischen Zerstörung der überkommenen Kunstformen. Diese dadaistischen und gegenstandslosen Revolutionäre der Malerei hatten das Ende der "bürgerlich-kapitalistischen" Kunst auf ihre Fahne geschrieben.

Von den 86 Künstlern mit ihren über 200 ausgestellten Objekten nennen wir zuerst die gegenständlichen mit ihrem Suchen nach neuen Formen und expressiven Farben. Der Münchner Franz Marc lernte mit 23 Jahren in Paris den Impressionismus kennen. Beeindruckt von van Gogh, gründete er zusammen mit Kandinsky die Gruppe "Der Blaue Reiter". Seine Tierbilder in ungewöhnlichen, sich gegenseitig durchdringenden Farben, können als Dokumente des Naturschutzes gewertet werden. Begeistert zog Marc in den Ersten Weltkrieg und mußte so früh, 1916 vor Verdun, sein Leben lassen.

In Paris schlossen sich die Förderer der künstlerischen Graphik zusammen, organisierten Ausstellungen und gaben Graphikmappen heraus. Vor allem Toulouse-Lautrec trug dazu bei, daß die Farblithographie in den Pariser Salons Aufnahme fand. Mit wenigen charakteristischen Strichen schuf er Werke, die mit leuchtend dekorierenden Farben aufwarten. Zehn der Farblithos (Leihgaben aus Budapest) zeigt die Ausstellung "Europa im Umbruch". Der im Kanton Bern geborene Ferdinand Hodler (1853-1918) hat in Deutschland überraschend schnell Ruhm erlangt. Sein "Frauenkopf en face" gefällt durch klare Umrißlinien und Symmetrie der Bildfläche. Hodlers berühmtestes Gemälde, "Auszug der Jenaer Studenten", befindet sich übrigens in der Aula der Universität Jena. Mit seiner wuchtigen Kunst leitet Hodler schon zum Expressionismus über.

Die Strömung, die immer im Gegensatz zum Expressionismus stand, ist der Konstruktivismus, der erst spät in Deutschland Anerkennung gefunden hat. Die Grundidee der konstruktiven Bildnerei ist es, die Kunst mit der Technik zu verbinden. Einfache geometrische, mathematisch berechenbare Formen werden wieder neu kombiniert, variiert und zur komplexen künstlerischen Wirkung gebracht. Der Konstruktivismus ist keine "entartete Kunst", sondern entspricht einer Gegenwartsgraphik. Unbestritten ist, daß die moderne Architektur den Konstruktivisten wertvolle Anregungen verdankt. Die Stuttgarter Ausstellung kann hier aus eigenen Beständen schöpfen und zeigt Werke der Russen Malewitsch, Lissitzky sowie des Ungarn Moholy-Nagy.

Ähnlich wie der Bauhaus-Gründer Walter Gropius konnte auch der Frontoffizier Laszlo Moholy-Nagy nicht mehr an die bürgerliche Selbstgefälligkeit der Zeit vor 1914 anknüpfen. Den Umbruch der gesellschaftlichen Normen wünschend, führte sein Weg nach Berlin, das damals alle Facetten des avantgardistischen Kunstschaffens widerspiegelte. Auf den Gebieten Typographie, Lichtmodulation und Industriedesign tätig, gab er die Kestner-Mappe mit sechs zum Teil farbigen Lithos heraus. Seinem außerordentlichen Einfallsreichtum verdankte er die Berufung an das Staatliche Bauhaus in Weimar, wo ihm Gropius die Leitung der Metallwerkstatt anvertraute.

Mit Oskar Schlemmer und Feininger sind zwei weitere Bauhaus-Meister in der Ausstellung vertreten. Erfreulicherweise ist von Schlemmer die Vorzeichnung im Wandbildformat "Zwei Jünglinge in Kreisform" zu sehen, angefertigt für die Wandgestaltung der Rotunde im Essener Folkwang-Museum Ende der 20er Jahre. Oskar Schlemmer strebte nach der Deformierung des Menschenbildes im Expressionismus zu einer harmonisch-ganzheitlichen Menschendarstellung zurück. R. Ruhnau

Franz Marc: Blaues Pferd (Aquarell) Foto: Museum


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