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18.12.04 / Glücklicher Irrtum

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Dezember 2004


Glücklicher Irrtum
von Robert Jung

Blutrot war an diesem Dezembertag die Sonne im Winterdunst untergegangen. Durch das Donautal fegte ein eisiger Wind, daß die Basteien der Wiener Vorstadt zu erbeben schienen, und die Nadel des "Steffl" leicht zu schwingen anhob. - An diesem Morgen verabschiedete sich eine Hauswirtin in der Mölker-Bastei von ihrem fast tauben Mieter, der vor dem Piano eilig Notenblätter beschrieb. Am liebsten wäre es ihm gewesen, die Wirtin auch heute nicht in seiner Nähe zu sehen. Sie machte sich in letzter Zeit verdächtig viel um ihn zu schaffen. Ein wenig gekränkt wandte sich die Wirtin zum Gehen, ohne diesem Herrn van Beethoven nicht noch zuvor eine Flasche mit Punsch auf den Tisch zu stellen.

Klirrend rüttelte der Wind an den beschlagenen Scheiben der fast ärmlich zu nennenden Behausung. Seufzend erhob sich Beethoven vom Piano, die letzten Notenblätter beiseite schiebend. War es nur die Einsamkeit, die ihn so schwer belastete oder die zunehmende Taubheit? Als er ans Fenster trat und der scharfe Ostwind gegen die Scheiben drückte, ging ein befreiendes Lächeln über seine Züge. Es war wohl nur die Enge des Raumes, die ihn gefangen hielt und bedrückte. Kurz entschlossen griff er zu Hut und Mantel und eilte auf die Bastei hinaus. Aus den eng aneinander geschmiegten alten Fachwerkhäusern leuchteten die ersten Christbaumkerzen, dabei meinte er, den Jubel der Kinder durch die Hauswände zu vernehmen. Er, der fast Taube! Übertönen möchte er in diesem Augenblick das Rasen des Sturmes, diesen gewaltigen Chorus der Natur, der mit ihm von Sehnsucht und Erfüllung, von eisigen Firnen und Tod zu singen schien und in unerreichbaren Berghöhen - für ihn, den einsamen Wanderer.

Weit vornüber gebeugt, den zerbeulten, schneebedeckten Hut in der Hand, brummend und musizierend, war er in eine Parkallee gekommen. Hinter kahlen Baumriesen ragte schwer und düster die Schattenmasse eines Schlosses auf, das hinter blinden Fenstern und verschlossenen Türen schlief. War es nicht an diesem Ort passiert, wo man zuallererst seine "Waldstein-Sonate", der Gräfin Waldstein gewidmet, aufführte? Wie ein Blitz schoß es auf ihn zu: Sommerzeit war es gewesen, der Park der gräflichen Familie bunt illuminiert. Eine Reihe bezaubernder Frauen der Wiener Gesellschaft promenierten, diese alles überstrahlt von einem bestirnten Himmel. Dazwischen hochmütige Lakaien, die immer so unverschämt lächelten, wenn er, ein wenig linkisch, sich zwischen den ordengeschmückten Männern in Frack und den Damen in glänzender Gesellschaftstoilette bewegte. Es war nicht sein Leben, oder doch? Indes führte man, von hochbegabten Wiener Musikern intoniert, seine "Waldstein-Sonate" in diesem erlauchten Kreis auf, zu dem neben dem gräflichen Geschlecht auch der ebenso seine Musik fördernde Graf Kinsky gehörte. Man rief nach ihm, applaudierte herzlich, aber nur wenige der "Erlauchten" reichten ihm die Hand, diese einflußreichen Männer des österreichischen Hochadels. Bis auf die Gräfin Waldstein ... Sie allein verstand ihn wohl in seiner Sehnsucht nach Größerem und in seinen einsamen Tagen und Nächten. Immer kam ihm in diesen Kreisen, die wohl sein Talent förderten, das Bittere seines Lebens, das ihn mit Einsamkeit umschloß, zum Bewußtsein. Er atmete schwer. Die Gräfin Waldstein weilte schon seit langem nicht mehr unter den Lebenden, das Schloß völlig verwaist, die Dienerschaft in alle Winde verweht ...

Auf dem Heimweg verlor der Sturm in dieser Christnacht allmählich an Gewalt. Vor sich her brummend und musizierend stapfte er verschmutzt in den Pfützen dahin, den Hut tief in die Stirn gezogen. Seinem Ohr verschlossen, hoben die Glocken von Wien und der "Steffl" zu läuten an, läuteten weithin die Heilige Nacht ein. - In der späten Abendstunde der heiligen Nacht schob ein Gendarm vom Kommissariat St. Margarethen einen Passanten vor sich her, der ohne Ausweis war. In der Wachstube angekommen, gönnte sich der Kommissär ein Glas Punsch, hob ein weiteres dem Aufgegriffenen zu. "Sollst auch leben, alter Bursche!" sprach er ihm zu. Willig ließ sich der "Neue" in die mit etwas Tannengrün geschmückte Zelle einweisen. Dort griff er zu seinem Notenbuch, in Wachsleder gebunden, war es trocken geblieben. Nachher schrieb er einen Zettel für den Wachhabenden: "Ich heiße Ludwig van Beethoven, Musiker, wohnhaft in der Mölker-Bastei. Bitte, reichen Sie den Schrieb weiter an den Grafen Kinsky."

Als am Morgen Freunde des Grafen Beethoven in die Arme schlossen, deutete er auf sein engbekritzeltes Notenbüchlein, darin von allen Anwesenden gelesen und bestaunt: "Schlußchor der Neunten Symphonie - Seid umschlungen Millionen." Der Kommissär von St. Margarethen verzeichnete in seinem Protokollbuch lakonisch: "Irrtümlich eingespierter Beethoven wieder auf freien Fuß gesetzt ..."

 Wien im Winter: Blick auf die Staatsoper Foto: WTV / MAXUM


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