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Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004
In totalitären Systemen gibt es keine Meinungsfreiheit – so lautet eine
Grundthese unserer Gesellschaftsordnung. Daß der „Meinungsbildungsprozeß“, als
dessen Produkt die „öffentliche Meinung“ zustande kommt, auch in der „freien
Welt“ nicht unbedingt ein natürlicher Prozeß ist, wird dabei gerne übersehen.
Wie sehr er gesteuert ist, läßt sich just dann am ehesten erahnen, wenn
besonders viel von Freiheit und Demokratie geredet wird.
Die Unterschiede zwischen den Systemen sind also nicht prinzipieller, sondern
gradueller Art – mit Schwerpunkt dort in sichtbarer Unterdrückung, da in
ausgeklügelter Manipulation. Und mit gleitenden Übergängen, denn selbst die
„freie Welt“ praktiziert Zensur mittels einseitiger Verbote oder
wirtschaftlicher Diskriminierung. Die Manipulation im eigentlichen Sinn nützt
bewährte Rezepte der Dialektik: Man schiebt Themen vor, um von anderen
abzulenken, und man benützt Argumente, die vielleicht Wahrheit enthalten, aber
an der Sache vorbeigehen. Und man manipuliert die Sprache selbst, damit
unliebsame Gedanken gar nicht erst reifen können.
Die folgenden Ausführungen befassen sich speziell mit der Manipulation am
Wortschatz: Man verkehrt Begriffe nicht einfach ins Gegenteil, wie das Orwell in
seinem Roman „1984“ beschreibt. Man verwendet vielmehr neutrale Bezeichnungen,
wo wertende angebracht wären – und umgekehrt. Man verwendet richtige Ausdrücke
in falschem Zusammenhang. Man erfindet „neue“ Wörter. Und man nützt sogar die
unterschwellig wirkenden grammatikalischen Eigenschaften des Wortmaterials.
Wörter wirken dann wie Viren. Sie unterwandern das sprachliche Immunsystem, das
dank „fortschrittlicher“ Bildungspolitik ohnehin verkümmert ist. In Diskussionen
zeigt sich nicht selten, wie schwer es ist, durchaus legitime Anliegen
„rüberzubringen“. Denn auch wer sich nicht der „politischen Korrektheit“
unterwerfen will, ist von der fremdbestimmten Terminologie infiziert. Und oft
gilt: „Es fehlen die Worte.“
Beginnen wir mit Einwanderung und Asyl: Selbst Politiker, die gegen Mißbräuche
auftreten, reden munter von „Migranten“. Reingefallen! Denn „Migrant“ wurde
erfunden, damit wir es für den neutralen Oberbegriff von „Emigrant“ und
„Immigrant“ halten. „Migrant“ soll harmlos klingen wie die „Lehr- und
Wanderjahre“ und verschleiern, daß wir es ausschließlich mit Immigranten zu tun
haben, mit Einwanderern. Und das gilt auch für Asylbewerber: Sie alle kommen, um
zu bleiben.
Dabei heißt lateinisch „migrare“ gar nicht „wandern“, sondern „auswandern“.
„Migration“ in richtungsneutralem Sinn ist eine im Französischen und Englischen
erfolgte Umdeutung und ein Fachbegriff der Biologie. In welcher Ecke wird man
wohl die „Migrant-Innen“ ersonnen haben? Da man „Migranten“ nicht gut als
„Wanderer“ übersetzen kann und „Einwanderer“ zu eindeutig wäre, hilft man sich
neuerdings mit „Zuwanderern“, die zufällig zugeflogen klingen, obwohl sie – wie
die Tauben am Futterplatz – klare Absichten haben. Doch seltsam: Wenn bloß
Zuwanderer und Migranten kommen, warum will man so eifrig beweisen, Deutschland
sei ein „Einwanderungsland“?
Die Sprachwissenschaft vertrat lange die These, die Beziehung zwischen dem Wort
(dem „Bezeichnenden“) und seiner Bedeutung (dem „Bezeichneten“) sei willkürlich
und könne beliebig geändert werden. Heute weiß man, daß das Gehirn assoziativ
arbeitet: „Unterbewußt“ verbindet es jedes Wort mit allen verwandten, aber auch
mit allen ähnlich lautenden Wörtern sowie mit den jeweiligen Bedeutungen der
ganzen Sippe. Wortspiele und Versprecher sind bester Beweis dafür. Auch jede
neue Ableitung schleppt die Familiengeschichte mit sich, und deshalb setzt man
lieber ein Fremdwort ein, wenn etwas neu – oder harmlos erscheinen soll.
Damit kommen wir zu einem anderen mißbrauchten Wort, zum griechischstämmigen
„Asyl“. Es bezeichnet eine Praxis, die sich schon im alten Ägypten nachweisen
läßt. Asyl erhielt ein Rechtsbrecher, wenn er es schaffte, an einen bestimmten
Ort, meist einen Tempel, zu gelangen. Damit war er der Verfolgung entzogen. Aber
die Schuld war nicht getilgt, und im Asyl mußte er sich den dortigen Regeln
unterwerfen. „Asylmißbrauch“ ist also doppeldeutig – und meist eindeutig, weil
doppelt zutreffend! Warum das Wort „Asylant“ von manchen so heftig abgelehnt
wird? Nicht weil es ein griechisch-lateinischer Wortbastard ist, sondern weil
„-ant“ eine Aktiv-Endung ist: Wir sollen nicht merken, daß hier kein Bittsteller
anklopft, sondern daß jemand Rechte einfordert – meist zu Unrecht.
Immigranten und Asylbewerber können natürlich Flüchtlinge gewesen sein. Nach
Deutschland geflüchtet ist in jüngster Zeit aber keiner. Wer mit dem Flugzeug
seine Heimat verlassen darf und bei der Landung „Asyl“ sagt, ist kein
Flüchtling. Bei „Landflucht“, „Steuerflucht“ oder „Wirtschaftsflüchtling“ haben
wir es mit Metaphern zu tun. Metaphern sind legitim, und es ist auch legitim,
mit einem Ortswechsel Vorteile anzustreben. Aber ebenso legitim ist es für die
Leute am Zielort, Unerwünschte abzuweisen, wenn deren „Flucht“ nur Metapher ist.
„Metapher“ ist die Übertragung eines Wortes in einen fremden Anwendungsbereich.
Sie dient bloß zur Veranschaulichung und begründet keine Rechtsansprüche. Genau
die aber versucht man zu unterstellen durch mißbräuchliche Verwendung von
„Flüchtling“ oder „Asyl“! Mit gleicher „Berechtigung“ könnte man behaupten, daß
das Kamel, das „Schiff der Wüste“, nach dem Seerecht zu behandeln sei.
Der Unterschied zwischen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen mag materiell
gering sein, sprachlich ist er es nicht: Das eine klingt aktiv, das andere
passiv, und so erklärt sich, warum die von Einwanderern vertriebenen
Palästinenser keine Heimat- vertriebenen, sondern „Flüchtlinge“ sind. Denn
Sieger haben kein Wort für „Heimatvertriebene“, sonst würden sie ja die
Vertreibungen anerkennen. Heimatvertriebene nennt man gerne auch „Umsiedler“
oder „Aussiedler“, weil die Aktiv-Endung deren freien Willen signalisieren soll.
Allerdings, wer in die von Aussiedlern gesäuberten Gebiete einrückt, ist dann
kein „Einsiedler“, sondern nur ein harmloser „Siedler“, siehe Palästina.
Wenn Menschen in Frachträumen ersticken oder bei der Überfahrt nach Europa
ertrinken, sind das gewiß Tragödien. Aber wer Geld für Schlepper zahlt, ist kein
Flüchtling. Hier von „Flüchtlingstragödien“ zu reden ist nicht nur Irreführung,
sondern Verharmlosung aller wirklichen Flüchtlingstragödien! Beispielsweise die
der „Wilhelm Gustloff“, die von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Was
sich jahrzehntelang durch Totschweigen verharmlosen ließ, wird heute
„euphemistisch“ (durch „Wohlreden“) abgehandelt: Man spricht von „Untergang“
oder „Unglück“. Doch ein vorsätzlich herbeigeführter Untergang bleibt eine
„Versenkung“, egal wer die Täter und wer die Opfer waren.
Beim einseitigen Aufarbeiten oder Bewältigen von Gewalt ist die Vergewaltigung
der Sprache besonders beliebt. „Vergewaltigung“ ist hier eine Metapher,
„Aufarbeiten“ und „Bewältigen“ hingegen sind nicht bloß Euphemismen, sondern
geradezu „Orwell’sche“ Sinnverdrehungen, geht es doch exakt um die Verewigung
dessen, was angeblich aufgearbeitet oder bewältigt werden soll. Wieso etwa ist
man im KZ „ermordet worden“ und im GULag bloß „umgekommen“? Die meisten starben
doch an Hunger und Krankheit als Folge menschenunwürdiger Verhältnisse. Was zwar
nicht jene entschuldigt, die solches herbeiführten. Nur warum wird bei Boykotten
und Blockaden, die ebenso grausige Folgen haben, nie von Mord gesprochen? Und
wieso werden Europäer in Übersee kaum je „ermordet“, sondern einfach „getötet“ –
falls sie nicht überhaupt nur „ums Leben kommen“?
Wenn es Terror ist, Städte zu bombardieren, war dann nicht – um ein neutrales
Beispiel zu wählen – der alliierte Angriff auf Belgrad 1944 weit ärgerer Terror
als der deutsche 1941? Wenn es Terror ist, unschuldige Zivilisten in die Luft zu
sprengen, muß dann nicht auch der Friedensnobelpreisträger Menachem Begin ein
Terrorist gewesen sein, der 1946 persönlich das King David Hotel in die Luft
jagte? Und warum sind die Gefangenen im „Krieg gegen den Terror“ keine
Kriegsgefangenen? Dazu paßt wohl, daß bei „Terroranschlägen“ jeweils „Opfer zu
beklagen sind“, während es bei „Vergeltungsschlägen“ höchstens Tote und bei
Militäraktionen sogar nur „Kollateralschäden“ gibt.
Präventivkriege dienen bekanntlich dem Frieden, und das führt uns zum
„Friedensprozeß“ („peace process“): Wenn der so gemeint wäre, wie er dargestellt
wird, müßte er „Befriedungsprozeß“ („pacification process“) heißen. Zugegeben,
„Befriedung“ hat einen üblen Beige- schmack, weil Kolonialmächte die
Niederschlagung von Aufständen so zu nennen pflegten. Aber mit dem
Zustandsbegriff „Frieden“ kaschiert man, daß es ein bloßer Zeitgewinnungsprozeß
ist, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Wie sehr man sich mittlerweile auf die
Dummheit des Publikums verläßt, beweist die „road map“, von Erfüllungsgehilfen
als „Fahrplan“ übersetzt: In Straßenkarten stehen doch nur Orte und Distanzen,
nicht aber, wer sich wann wohin bewegen soll!
Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Aber können wir uns denn gegen
Manipulation wehren? Ja, wir können und müssen uns wehren! Es wird sich aber nur
etwas ändern, wenn wir das Geschehen und seine Darstellung aufmerksam verfolgen.
Zuweilen fallen sogar Schlüsselwörter, die uns hellhörig machen sollten: Etwa
die „Überzeugungsarbeit“ oder die „Aufklärungsarbeit“, die man noch „leisten“
müsse – oder die man in anderen Fällen „versäumt“ habe. Wir müssen unser
Immunsystem stärken, indem wir unsere Wissensbasis erweitern und an unserem
Sprachbewußtsein arbeiten. Und wir müssen unseren Mitmenschen helfen, indem wir
Widersprüche und Mißbräuche aufzeigen. In der „Informationsgesellschaft“ kann
jeder dazu beitragen – mit Leserbriefen, Anrufen oder im Internet. Auch wenn die
Einzelaktion scheinbar unbeachtet bleibt, in der Masse gleichgerichteter
Aktionen trägt sie dennoch dazu bei, etwas zu bewegen. Denn Manipulatoren (wie
Diktatoren) mögen zwar kein Gewissen haben, Ängste aber haben sie schon! |