Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
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Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004
Es war einer dieser typischen Wintertage. Der Himmel war von einer Farbe, wie
sie nur diese Jahreszeit hervorbringen kann: blaßblau, mit einem silbrigen
Schimmer. Jannick saß am Fenster. Seine Augen waren nach oben gerichtet, und
angestrengt blickte er in dieses blaßblaue Etwas. Fast wollte er sich den Hals
verrenken, so als hätte er etwas ganz Besonderes entdeckt. Und wahrhaftig: so
etwas erlebte man nicht alle Tage, vor allem dann nicht, wenn man noch nicht mal
zur Schule ging. Da, auf der einen Seite schien die Sonne, wenn auch eben
winterschwach, und auf der anderen Seite des Himmels war der Mond zu sehen! Wie
das? Wenn der eine wach ist, muß der andere schlafen, hatte die Mama gesagt. Und
nun sah er beide.
Jannick kniff die Augen zusammen, riß sie wieder auf, kniff sie nochmals
zusammen, ganz fest diesmal, und riß sie weit auf. Doch kein Zweifel: Sonne und
Mond waren beide am Himmel zu sehen.
Der Mond hing als eine ganz spitze Sichel da oben. Autsch! Das müßte aber weh
tun, an diese Spitze zu stoßen. Aber wer würde schon da oben dagegen stoßen? Ein
Astronaut vielleicht, ein Flugzeug bestimmt nicht. Jannick wußte das,
schließlich war er schon einmal geflogen, nach Portugal in die Ferien.
Aber Spaß mußte es machen, da oben auf der Spitze des Mondes zu sitzen und mit
den Beinen zu baumeln. Da könnte man alles herrlich überblicken. Noch viel
besser als von dem Balkon ihrer neuen Wohnung. Das war zwar auch sehr hoch, aber
der Mond, der war doch viel viel höher.
Jannick fühlte, wie ihm ein wenig schwindlig wurde. Er hatte zu lange nach oben
gestarrt. Er schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete, riß er seinen Mund
auf. Booh! Was war das? Wo war er? Sein Zimmer war verschwunden. Es war dunkel
um ihn und unendlich weit. Die Sterne waren auf einmal ganz nah. Keine
glitzernden Punkte, nein, wie riesige Bälle sahen sie aus. Er schaute an sich
herunter und staunte noch mehr. Er saß auf der Spitze des Mondes und baumelte
mit den Beinen.
Ein wenig aufpassen mußte er schon, damit er nicht hinunterfiel. Aber die
Aussicht! Toll!
Was war das da hinten? Diese blaue Kugel mit den Wolken auf der einen Seite? So
etwas hatte er schon einmal auf einem Foto in der Zeitung gesehen. Das sei die
Erde, hatte die Mama gesagt. Ob das auch die Erde war, da unten? Wen sollte er
fragen? Es war ja keiner außer ihm da auf dem Mond.
Wieder kniff er die Augen zusammen und schaute angestrengt auf die blaue Kugel.
Wenn er sich große Mühe gab, dann konnte er da unten große Städte erkennen und
Meere und Flüsse. Und das, was aussah wie Ameisen, die wild durcheinander
liefen, das mußten die Menschen sein. Wie aufgeregt die waren!
Ach ja, es war ja bald Weihnachten. Da waren die Erwachsenen immer ein wenig aus
dem Häuschen, Geschenke besorgen, dem Weih-nachtsmann helfen. Klar, die Kinder
waren auch aufgeregt. Jannick dachte an das Gedicht, das er auswendig gelernt
hatte. Au weh, er hatte schon wieder den Anfang vergessen, aber Mama würde schon
helfen. Wo die wohl war? Ob er sie sehen konnte von hier oben?
Jannick hatte sich wohl zu weit nach vorn gebeugt, denn plötzlich gab’s einen
Ruck und er landete unsanft auf dem Boden. Er blickte sich um, sah viele
Menschen, die an ihm vorüber hasteten. Autos hupten wie wild. Die Häuser ragten
bis in den Himmel. Und eine Sprache drang an seine Ohren, die er noch nie gehört
hatte. Die Menschen sahen auch ganz anders aus als die zu Hause. Schlitzaugen
hatten sie und ein bißchen gelb sahen die Gesichter aus. Und von Weihnachten
keine Spur!
Jannick fing an zu zittern. Er hatte nun doch ein wenig Angst. Wenn er die Mama
nicht wieder sehen würde, was dann?
Da fühlte er sich wie von einer großen Hand gepackt und durch die Luft
gewirbelt. Ganz plötzlich landete er wieder auf dem Boden. Und wieder waren
fremde Menschen um ihn. Es war heiß und feucht. Die Menschen hatten schwarze
Gesichter, das hatte er schon einmal zu Hause gesehen. Auch sie beachteten ihn
nicht. Die großen Menschen hasteten durch die Straßen ihrer Stadt, einige Kinder
aber standen verloren da und hielten die Hand auf und baten um ein wenig Geld
oder etwas zu essen.
Jannick war traurig. Er hatte doch nichts, was er ihnen geben konnte. Außerdem
war es hier viel zu heiß, daß er sich hätte wohlfühlen können. Er dachte an die
Mama, die war schon mal in Afrika gewesen, denn Afrika, da war er sicher, das
war das Land, wo die Hand ihn abgesetzt hatte. Hier gab es keinen Schnee, auch
nicht zu Weihnachten. Die armen Kinder, dachte Jannick, ich würde ihnen gerne
was abgeben, wenn ich nur wieder zu Hause wäre.
Wieder packte ihn die große, kräftige Hand und ließ ihn durch die Lüfte sausen.
Aber nicht zu Hause landete er, sondern in einem Land, in dem es auch sehr heiß
war und laut. In der Ferne konnte man gar Schüsse hören.
Jannick hatte Angst. Wo war er nun hingeraten? Er blickte sich um, sah Männer
mit dunklen Haaren und ernsten Augen. Sie trugen Uniformen und manche auch
Gewehre. Die Frauen trugen lange Gewänder und huschten ganz schnell an ihm
vorbei, so als hätten sie auch Angst.
Aber da hinten, da war doch ein Kind. Jannick kniff wieder einmal die Augen
zusammen. Klar, ein Junge war’s, in seinem Alter etwa. Der würde ihm helfen. Er
lief schnell auf die andere Straßenseite. Es war gefährlich, denn die Autos
sausten an ihm vorüber, als wäre der Teufel hinter ihnen her.
Der Junge blickte ihn an und lächelte. „Hallo Jannick!“
„Du kennst mich? Und wieso kann ich deine Sprache verstehen? Ich bin doch nicht
in ...“
„Du bist in Bethlehem. Hier bin ich geboren ...“
„Du bist ...?“ Jannick schüttelte voller Staunen den Kopf. „Aber ...“
Da gab’s einen lauten Rums. Jannick öffnete seine Augen und schüttelte benommen
seinen Kopf. Er war doch tatsächlich von der Fensterbank gefallen, auf die er
sich gesetzt hatte, als er den Mond beobachtete.
Er blickte in den blaßblauen Himmel. Der Mond war nicht mehr zu sehen. Die
Mutter kam in sein Zimmer, aufgeschreckt von dem Lärm, den ihr Sohn da machte.
„Jannick, was ist mit dir? Was hast du angestellt?“
„Mama, stell dir vor, ich war in einem Land, wo die Menschen Schlitzaugen haben,
und dann war ich in Afrika und beim Jesuskind war ich auch. Das ist aber so alt
wie ich ...“
Jannick war ganz aufgeregt und hatte rote Wangen bekommen. Die Mutter aber
staunte nur über die Phantasie ihres Kindes. Beim Jesuskind? Na ja, das lag wohl
an Weih-nachten.
„Na, Sohnemann, kannst du dein Gedicht nun?“ fragte sie. „Der Weihnachtsmann und
auch das Jesuskind möchten es ganz bestimmt gern hören heute abend bei der
Bescherung.“
Jannick runzelte die Stirn. Das verflixte Gedicht. Wie war nur der Anfang. Ach
ja:
Denkt euch –
ich habe das Christkind gesehn!
Es kam aus dem Walde,
das Mützchen voll Schnee,
mit gefrorenem Näschen.
Die kleinen Hände taten ihm weh,
denn es trug einen Sack,
der war gar schwer,
schleppte und polterte
hinter ihm her –
was drin war, möchtet ihr wissen?
Ihr Naseweise,
ihr Schelmenpack –
meint ihr, er wäre offen,
der Sack?
Zugebunden bis oben hin!
Doch war gewiß
was Schönes drin:
Es roch nach Äpfeln und Nüssen!
Nun gut, jetzt konnte der Weihnachtsmann kommen ...
Wenn Träume wahr werden: Kleiner Mann auf dem Mond
Tuschzeichnung: Constanze Schacht |