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Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004
Unvergessen ihr Gesicht und ihre darstellerische Kraft. Da muß ein echtes
Naturtalent gewirkt haben, am Theater, in zahlreichen Filmen und
TV-Produktionen. Kein Wunder, daß kein Geringerer als Otto Falckenberg sie 1927
in das Ensemble der Münchner Kammerspiele holte, fleißig spielen und sich
ausprobieren ließ. Der Name Edith Schultze-Westrum begann in der
Schauspielerriege zu glänzen, frühe Kritiken beweisen es. „Ich habe Glück, einen
so herrlichen Beruf zu haben und noch arbeiten zu können“, schrieb sie
Jahrzehnte später aus ihrem bayerischen Wohnort Pullach. Dort bewohnte die
Gartenfreundin seit Mitte der 50er Jahre die Mansarde ihres Hauses.
Vor 100 Jahren, am 30. Dezember 1904, wurde Edith Schultze-Westrum als jüngstes
von drei
Geschwistern in Mainz-Kastel geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Ulm,
Berlin und Greifswald. Ihr Vater, ein Berufsoffizier, fiel 1914 in Flandern.
Nach dem Schulabschluß reiste sie zu einem Vetter nach München und blieb. Er war
Anatomie-Professor und verschaffte ihr eine Laborantenstelle. Doch Edith zog es
zur Bühne, und so nahm sie privaten Schauspielunterricht und spielte in einer
Laiengruppe der Universität.
Richard Rewy, Regisseur an den Münchner Kammerspielen, ermöglichte der damals
23jährigen einen Anfängervertrag bei Otto Falckenberg. In dessen
„Lulu“-Inszenierung schlüpfte sie 1928 in die Rolle des Zimmermädchens
Henriette, eine von etwa 20 Arbeiten unter Falckenbergs Regie. Irgendwann war
für sie die „Zofe vom Dienst“ Vergangenheit, andere Aufgaben warteten auf sie.
Den Theaterkritikern, die damals noch vorrangig die Schauspieler herausstellten,
war Edith Schultze-Westrum auch in kleineren Rollen lobende Worte wert. So etwa
1930 ihr Proletarierkind in Alfred Döblins „Die Ehe“ mit Therese Giehse. „Einen
echteren Sproß der Elendsleute kann man nicht sehen. Trieb, Haß, Liebe – alles
in einem“, konnte man in den Münchener Neueste Nachrichten lesen. 1933 hob die
Münchener Post ihre altkluge Kurtisane in „Komödie der Irrungen“ hervor.
Wahrhaftigkeit im Spiel, sie hatte es erreicht.
„Eine erschütternde Leistung bot Edith Schultze-Westrum als Christophs Braut
Anna besonders in der stummen, stammelnden Verzweiflungsszene ...
Das war elementare, großartig-schonungslose Darstellungskunst!“, hieß es 1935 in
der Münchener Zeitung nach der Premiere von „Das Spiel von den deutschen Ahnen“
mit
Friedrich Domin und Ferdinand Marian.
Im selben Jahr wurde sie mit einem mehrmonatigen Spielverbot belegt, weil sie
für jüdische Freunde eintrat. Zehn Jahre am Bayerischen Staatstheater schlossen
sich an, wo sie unter anderem als Mutter Wolffen in Hauptmanns „Biberpelz“ eine
ideale Besetzung gewesen sein muß. Nach 1945, inzwischen zweifache Mutter und
mit dem Regisseur Toni Schelkopf verheiratet, synchronisierte sie viel, schrieb
Texte für ausländische Filme und führte selber
Regie.
Seit 1932 hatte Edith Schultze-Westrum auch vor der Filmkamera gestanden. Das
Jahr 1959 bescherte ihr gleich zwei Mütter mehr im Repertoire, die eine in dem
Film „Nacht fiel über Gotenhafen“. Die andere in Bernhard Wickis Streifen „Die
Brücke“ brachte ihr das Filmband in Gold für die beste Neben-rolle.
Edith Schultze-Westrum, die Emsige, ging regelmäßig auf Tournee. Bis die
Gesundheit sie zwang, kürzer zu treten. An Parkinson erkrankt, starb die
Vielbegabte am 20. März 1981 in München. Heinz Rühmann, der mit ihr zu den
kleinen Großen bei
Falckenberg gehörte, hielt die Grabrede auf dem Waldfriedhof Solln.
Was bleibt, sind vereinzelte Wiedersehen in den Medien, Erinnerungen. Sohn
Thomas Schultze-Westrum ist seiner Mutter dankbar, daß sie sein Interesse an der
Natur immer gefördert hat. Der bekannte Tierfilmer, Sproß aus einer Beziehung
mit dem Regisseur und Schauspieler Paul Verhoeven, läßt zwei ihrer Eigenschaften
nicht unerwähnt – ihre ungeheure Energie und Bescheidenheit.
Edith Schultze-Westrum: Im Theater und im Film eindrucksvolle Rollen verkörpert
Foto: Archiv Deuter |