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25.12.04 / Die ostpreußische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Dezember 2004


Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied und Freunde unserer immer größer werdenden Ostpreußischen Familie,

süßer die Glocken nie klingen, vor allem, wenn es die Glocken der Heimat sind. So wird auch an diesem Weihnachtsfest Gisela Hübner aus Traunstein besonders innig dem Klang der Bronzeglocke aus dem späten Mittelalter lauschen, wenn diese in der Kirche von Trostberg in Oberbayern die Christandacht einläutet. Nicht nur, weil diese bronzene Kostbarkeit nur an Sonn- und Feiertagen geläutet werden darf, sondern auch weil sie weiß: Es ist eine Glocke aus meiner Heimat! Und daß ihre Herkunft nun so einwandfrei geklärt werden konnte, ist unserer Ostpreußischen Familie zu verdanken. Ich habe darüber schon kurz berichtet, wollte aber diese wunderbare Geschichte zum Weihnachtsfest bewahren. Und so kann ich sie heute erzählen.

Gisela Hübner ließ die Inschrift auf der sehr alten Bronzeglocke keine Ruhe. Sie entzifferte den auf der Glocke verzeichneten ursprünglichen Herkunftsort als „Borchertsdorf“ und meinte, daß es sich wohl um das gleichnamige Dorf im ostpreußischen Oberland handeln müsse. Wer konnte darüber Auskunft geben? Als ihre Frage in unserer Kolumne erschien, meldeten sich sofort ehemalige Borchertsdorfer, die erklärten, daß der 200-Seelen-Ort nie eine eigene Kirche gehabt habe. Aus weiteren Zuschriften konnte Frau Hübner entnehmen, daß es aber ähnlich klingende Kirchorte in unserer Heimat gab. Die meisten Hinweise kamen auf das südlich von Königsberg gelegene Borchersdorf. Es wurden Archive und Bibliotheken bemüht – da ist besonders den Herren Reuss aus Essen und Böhm aus Hennef zu danken! –, und die über 500jährige Bronzeglocke hatte ihre Identität wiedergefunden. Sie hing tatsächlich in der evangelischen Kirche von Borchersdorf, stammt aber aus der vorreformatorischen Zeit. Die erstmals 1481 genannte Kirche in „Borghardsdorf“ gehörte zum Erzpriestertum Creuzburg. Ihre Schutzpatronin war die heilige Katharina – noch heute ist auf dem Glockenrand in gotischen Minuskeln die Bitte zu lesen, daß die Heilige den Gläubigen zu einer Himmelfahrt verhelfen möge! Den Namen behielt das unter Privatpatronat stehende Gotteshaus auch nach der Reformation. Es wurde immer baufälliger – eine Frau wurde sogar von einem aus dem Gewölbe fallenden Stein erschlagen –, bis 1718 mit dem Neubau aus Ziegeln begonnen werden konnte. Auf Befehl des Königs wurde er nach dem Modell der Wusterhausener Kirche errichtet. Ein Spruchband umspannte die Katharinenkirche: „Gepriesen sei der Herr Zebaoth immer und ewig sein Reich komme und schaffe Frieden ...“

Aber es kamen die großen Kriege und letztendlich die Vertreibung. Die Mauern blieben stehen, die alte Glocke aber war rechtzeitig auf den „Hamburger „Glockenfriedhof“ gebracht worden. Das Nationalmuseum Nürnberg besitzt eine Glockenliste, in der die wegen ihres kulturhistorischen Wertes nicht eingeschmolzenen Glocken registriert sind. So kaufte sich 1952 die Gemeinde Trostberg die Katharinenglocke von Borchersdorf, deren Herkunft jetzt durch die Umfrage von Frau Hübner einwandfrei bewiesen wurde. „Es werde gehöret die Stimme des Dankes und gepredigt alle seine Wunder“ heißt es auf dem Spruchband der Katharinenkirche weiter. Nein, ein Wunder ist nicht gerade geschehen, aber es ist doch eine wunderbare Geschichte.

Von Wunder kann man dagegen getrost bei den Geschwistern Adolf, Dora und Gerda Bautz sprechen, die sich nach 60 Jahren gefunden haben – wenn auch der Weg dahin real nachvollziehbar ist. Denn das Wiederfinden geschah mit Hilfe unserer Zeitung, die Weichen dazu stellte das Internet. Doch zuerst einmal die Vorgeschichte. Im Spätherbst 1944 bricht in Neuendorf, Kreis Elchniederung, Mutter Bautz mit fünf ihrer elf Kinder zur Flucht auf. Sie kämpfen sich durch Eis und Schnee bis nach Fischhausen durch, wo der verwundete Vater hinzustößt. Am 30. Januar 1945 soll die Familie Bautz in Gotenhafen an Bord der „Wilhelm Gustloff“ gehen, aber ein Verwundetentransport hat Vorrang, sie müssen zurückbleiben. Sie ahnen nicht, daß dies ihre Rettung ist – für die Mutter und den Zwölfjährigen allerdings nur ein Aufschub, denn sie werden bei einem Flugzeugangriff getötet. Der Vater schlägt sich mit seinen Jüngsten durch, über Pommern und Schlesien nach Thüringen, wo sie dann 1954 heimlich über die Grenze nach Westdeutschland gelangen. Die beiden jüngsten Kinder Adolf und Dora leben noch heute zusammen in Rösrath. Immer haben sie an ihre vermißt geltenden Geschwister gedacht, vor allem an die erheblich ältere Gerda, die in den letzten Kriegsmonaten als Krankenschwester in einem Lazarett tätig gewesen war. Nun kam Adolfs Sohn Uwe auf die Idee, im Internet zu suchen, stieß auf unsere Zeitung und fand in einer älteren Folge in der lückwunschspalte den Namen Gerda Becker geb. Bautz aus Neuendorf, der zum 80. Geburtstag gratuliert wurde. Adolf Bautz war aufgeregt: Das konnte nur seine Schwester sein! Er rief sofort die heute im mecklenburgischen Gadebusch wohnende Frau an und meldete sich mit den Worten:

„Hier spricht dein Bruder Adolf!“ Die Reaktion war – helle Empörung! Sie hielt den Anruf für einen schlechten Scherz: „Ich habe keinen Bruder Adolf mehr!“ Gerda Bautz, die mit einem Lazarettzug bis nach Mecklenburg gekommen war, dort blieb und als Gemeindeschwester arbeitete, heiratete, Mutter und Großmutter wurde, hatte immer geglaubt, daß ihre gesamte Familie mit der „Gustloff“ untergegangen sei – so war es ihr von Landsleuten berichtet worden. Aber der Bruder begann von der Familie und dem elterlichen Hof in der Elchniederung zu erzählen, bis die Empörung der Ungläubigkeit und schließlich unfaßbarem Erstaunen wich. Wenige Tage später fielen sich auf dem Kölner Hauptbahnhof Adolf, Dora und Gerda in die Arme! Ein Wiedersehen nach 60 Jahren jetzt im Advent – ist das nicht wirklich ein Weihnachtswunder?

Vielleicht hätten sich die Geschwister schon früher gefunden, wäre eine Suche über unsere „Ostpreußische Familie“ erfolgt – das meint, auf ihren eigenen Fall bezogen, unsere treue Leserin Christel Wels. Und stellt dies unter Beweis. Ich lasse sie lieber selber erzählen, weil in ihren Worten soviel ehrliche Freude mitschwingt! „Leider sind schon vier Jahre vergangen, seit Sie, liebe Frau Geede, meine Suchanzeige mit Bild in unserem Ostpreußenblatt veröffentlichten. Ich bekam viele Zuschriften und Telefonanrufe, doch leider nicht aus Gr. Pöppeln. Nur einen Brief von Ruth Will, die das Bild gemacht hatte, über das ich mich sehr gefreut habe. Wir telefonieren seitdem öfters miteinander und wollen den Kontakt auch nicht abbrechen lassen. Aber man kann sagen: Wunder gibt es immer wieder, und das nach vier verlorenen Jahren. Ich war nicht Zuhause, und als ich zurückkam, habe ich meinen Anrufbeantworter abgehört, und eine Frauenstimme sagte: ,Hier ist deine Schulfreundin Christa aus Gr. Pöppeln. Bitte rufe mich an, ich bin so aufgeregt, ich kann es kaum glauben, daß ich dich nach 60 Jahren noch lebend gefunden habe!‘ Ich habe natürlich gleich angerufen und zuerst erfahren, woher sie meine Adresse hat. Jetzt kommts: Sie sagte mir, ihr Enkel saß am Computer und rief auf einmal ,Oma, Oma, komm’ schnell, hier sucht eine Frau Christel Wels aus Gr. Pöppeln Schulfreundinnen!‘ Das hat sie bald umgehauen. Ihr Enkel mußte meinen Brief immer wieder vorlesen. Ich habe nicht nur sie gefunden, auch ihre drei Geschwister leben noch, auch die Kinder von Müllers, die auf dem Bild sind. So habe ich viel Neues erfahren. Ich habe Christa gefragt, ob sie nicht Das Ostpreußenblatt / Preußische Allgemeine Zeitung hält, sie verneinte und ich habe gesagt, daß wir uns dann schon vor vier Jahren gefunden hätten! Ich bin der Meinung, daß sich noch mehr Schicksale aufklären ließen, da unsere Ostpreußische Familie so erfolgreich ist. Viele Suchfragen laufen ins Leere, da sie den Empfänger nicht erreichen, weil er nicht die PAZ liest. Und im übrigen ist die ganze Zeitung so lesenswert, und ich freue mich immer auf das Wochenende, wenn ich sie in den Händen halte!“ Deshalb schließt Frau Christel Wels viele liebe Weih-nachtswünsche an die Ostpreußische Familie mit ein. Und ich erwidere sie herzlichst – für alle Gr. Pöppeler Marjellchen, die auf dem Bild zu sehen sind!

Viel schneller, ja sogar unglaublich schnell hat sich die Suchfrage von Eveline Bauer aus Köln erfüllt. Unsere Leserin Johanna Bartel erfuhr von dem Wunsch der Kölnerin, die 1942 als Neunjährige mit Mutter und drei Geschwistern in den Kreis Gumbinnen evakuiert wurde. Dort freundete sich Eveline Esser, wie sie damals hieß, mit den Töchtern des Landwirts Speer aus Birkenried an, der gleichaltrigen Irmgard und deren älterer Schwester Hilde. Diese Kinderfreundschaft blieb für Eveline Bauer unvergessen, immer wieder fragte sie sich, ob die Mädchen die Vertreibung überlebt hätten. Durch den Hinweis von zwei in Köln lebenden Ostpreußinnen bekam sie Kontakt zu Frau Bartel, die ihr Hoffnung machte: Da kann nur die Ostpreußische Familie helfen! Sie half, und wie! Einen Tag nach dem Erscheinen des Suchwunsches kam ein Anruf von unserm Landsmann Rudi Poweleit aus Bad Pyrmont, der Frau Bartel die Anschrift und Telefonnummer der älteren Tochter Brunhilde mitteilte, die heute in Neustadt in Holstein lebt. Ein sofortiger Anruf bei der Genannten brachte die Gewißheit, daß auch ihre Schwester Irmgard lebt, und zwar in Hamburg. Im Nu wurde auch zu ihr der telefonische Kontakt hergestellt. Frau Bauer konnte es kaum fassen, daß die Fragen, die sie 60 Jahre lang mit sich herumgetragen hatte, innerhalb eines Tages beantwortet wurden, und konnte vor Freude und Aufregung kaum schlafen. Und Frau Bartel fühlte sich bestätigt: Die Ostpreußische Familie ist intakt!

Und jetzt kommt eine Geschichte, die so ganz in die Weihnachtszeit paßt. Sie führt in das Lager Anscherka-Sudschensk in Sibirien zurück. Dort gebar im November 1947 eine beim Kühemelken von den Russen verschleppte junge Bäuerin aus dem Kreis Allenstein einen Sohn. Geburtshelfer war ein 18jähriger deutscher Kriegsgefangener. Später wurden sie gemeinsam entlassen, kamen auch in demselben Transportzug nach Berlin, wo sich ihre Wege trennten. Das Schicksal der Frau und dieses Kindes, dem er in so schwierigen Umständen auf die Welt geholfen hat, ließ den Mann nie mehr los. Er fragte sich immer wieder: Was ist aus Mutter und Kind geworden? Er kam mit seinem Salmbacher Nachbarn Eberhard Baumann ins Gespräch. Dieser übermittelte die Angelegenheit weiter an den Kreisvertreter der Kreisgemeinschaft Allenstein-Land, Leo Michalski, der meinte, daß dies wohl ein aussichtsloser Fall sei, sich aber doch an mich wandte. Ich veröffentlichte die Suchfrage in der Folge 13 mit einem Quentchen Hoffnung, und siehe da: Jetzt kam ein Schreiben von Herrn Baumann, daß sich der Säugling von einst – nun allerdings Mittfünfziger! – gemeldet habe: Er lebe in Berlin und es gehe ihm recht gut. Ein Bekannter von ihm hatte unsere Kolumne im Internet gelesen und den Mann informiert. Seit vier Wochen stehen nun Geburtshelfer und der im Gefangenenlager Geborene in Kontakt. Nichts ist eben in unserer Familie hoffnungslos!

Und damit haben wir einen guten Übergang zu unserm „Christkind“, dem kleinen Mantas. In jeder Weihnachtsfamilie pflege ich ja über dieses Urenkelkind einer Memelländerin zu berichten, das durch eine beispiellose Hilfsaktion gerettet werden konnte und, wie es nun scheint, in ein normales Leben hineinwachsen wird. Damals vor sieben Jahren, als Uroma Jakumeit das Ehepaar Arntzen aus Hamburg in Ruß ansprach, war der Dreijährige ein klägliches Bündelchen Mensch, dem „alles aus dem Bauch lief“, weil verschiedene Organe fehlten. Sie bat um „alte Plostern“, denn es gab ja dort keine Windeln oder gebrauchte Textilien. Dr. Detlef Arntzen, geborener Königsberger, sandte nicht nur Pampers, sondern begann eine Rettungsaktion für Mantas in die Wege zu leiten, der ohne eine – geglückte! – Operation bald gestorben wäre. Dr. Arntzen hat diesen Hilfsweg mit all seinen Schwierigkeiten kürzlich in unserm „Familienseminar“ geschildert und große Anteilnahme gefunden. Vor sieben Jahren erfolgte die erst Operation in Kiel, die letzte im vergangenen Jahr. In diesem Sommer kam Mantas mit seiner Mutter nach Hamburg zu einer Nachuntersuchung im AK Harburg, die zufriedenstellend verlief. Die Operationswunden sind restlos verheilt, das kosmetische Ergebnis von Nabel und Peniskonstruktion ist ausgezeichnet, die Blutanalysen liegen im Normbereich, die Ultraschalluntersuchung des Unterbauches und der Nieren ist unauffällig. Eine letztmalige Kontrolluntersuchung dürfte in etwa vier Jahren erfolgen. Der Zehnjährige ist ein aufgeweckter Junge, ein fleißiger, guter Schüler, der sogar Sport treibt. Er muß nur täglich eine Tablette Nifuretten zur Infektionsprophylaxe einnehmen, 1.500 wurden ihm mitgegeben, das reicht für vier Jahre! Nur eine war diesmal nicht dabei: Uroma Ursula Jakomeit. Die leidgeprüfte, aber zielstrebige Memelländerin verstarb 81jährig am 25. Mai in dem Bewußtsein, daß für ihr geliebtes „Jungchen“ alles nur menschenmögliche getan wurde und wird.

Das sind Geschichten, die das Leben schrieb. Federführend war unsere Ostpreußische Familie. Und allen, die mitgeholfen haben, sei hiermit Dank gesagt.

Eure Ruth Geede

Heute eine Ruine: Die Kirche von Borchersdorf nahe Königsberg Foto: privat

Wiedersehen nach 60 Jahren: Gerda, Adolf und Dora (v. l.). Foto: Sonntag Express


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