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15.01.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 2 vom 15. Januar 2005

Über die Planke / Gerade noch die Kurve gekriegt: Schröder macht "Hartz IV" von der Chefsache zur Clementsache
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Es ist zum Verzweifeln für die Union. Schon 2002 sah alles so gut aus für die Christdemokraten. Dann stieg die Elbe aus ihrem Bett und wusch allen Gram über das rot-grüne Chaos hinfort. Diesmal die Todesflut in Asien: Ganz Deutschland jagte Laurenz Meyer und den CDA-Vorsitzenden Arentz durchs Dorf wegen ihrer Empfänglichkeit für unverdiente Nebeneinkünfte. Schlimm genug für die Union. Kaum aber kamen endlich auch Regierungspolitiker ins Visier der Empörung, da spielte der Indische Ozean verrückt und bündelte alle Aufmerksamkeit. Nicht mal über Hartz mag sich noch einer erregen.

Die weisen Vorväter wußten noch, daß höhere Wesen hinter Naturkatastrophen stehen und waren sich im Klaren darüber, daß es sich hierbei keineswegs immer um gute, um göttliche handeln mußte. Vor 500 Jahren hätte so ein Glücks-pilz wie Schröder einem ungemütlichen Schicksal entgegengesehen. Elbe, Asien – soviel Zufall hätte ihm die Inquisition niemals abgekauft. Der Union wäre es ein Leichtes gewesen, Schröder einen Pakt mit gewissen „Mächten“ nachzuweisen. Mächte, die ebenfalls dafür sorgen, daß sein Haar nicht grau wird und ihn befähigen, eine halbe Milliarde Euro aus einem Hut zu zaubern, in dem vorher außer Schulden gar nichts drin war! Seltsam, seltsam.

Doch nicht allein der Kanzler vermag Übermenschliches. Vergangene Woche staunten wir noch darüber, wie der Wolfsburger Bürgermeister seinen Tag über 24 Stunden hinaus verlängern konnte. Wir ahnten ja nicht, daß der mit seinen popeligen drei Vollzeitjobs höchstens die zweite Garnitur stellt. Der altgediente Hamburger FDP-Politiker Rainer Funke füllt neben seinem Bundestagsmandat noch eine Stelle als Geschäftsführer einer Bank aus, sitzt im Beirat der Bahn AG, ist Vertrauensmann der Landesbausparkasse Hamburg und Beirat im Bundesverband der freien Berufe und Mitglied der Vorstände etlicher Stiftungen und Kassenwart bei „Plan International“. Hamburgs FDP-Landeschef Schrader springt seinem ins Gerede gekommenen Parteifreund zur Seite: Funke arbeite auch richtig für seine Bank. „Ich erreiche ihn regelmäßig dort in seinem Büro“, so Schrader. Das wollen wir gern glauben – doch ob den Herrn Funke auch im Reichstag noch einer kennt? Er habe sich nichts vorzuwerfen, beteuert der FDP-Multimann. Nein, er habe alles offen angegeben und sich strikt an die Regeln gehalten, die die Politiker für die Politiker aufgestellt haben. Krähen sind bekanntlich gut zueinander.

Warum erfahren wir das alles eigentlich erst jetzt? Seit Jahren wird bejammert, daß sich die Jugend nicht mehr in den Parteien engagiert, weil das angeblich so unattraktiv ist. Politiker hetzen unermüdlich von Sitzung zu Sitzung, reiben sich auf und sind trotzdem beliebt wie die Pest – so das verbreitete Bild in der Jugend. Davon stimmt nur die Hälfte, die mit der eingeschränkten Beliebtheit nämlich. Als Entschädigung dafür aber ist Politiker offenbar der Idealberuf für den passionierten Müßiggänger. Sofern man imstande ist, die viele Freizeit einfach zu genießen statt einem Dutzend Nebenjobs nachzugehen und mit seinen Diäten auskommt. Wer Minister wird, muß natürlich ein bißchen härter ran. Dafür aber winken danach die satten „Ruhegelder“. In Baden-Württemberg erhalten zwei erst jüngst abgetretene Landesminister zu ihrer Abgeordnetendiät angeblich noch je 4.300 Euro „Ruhegeld“. Der eine ist 50, der andere gerade erst 42 Jahre jung. Rente mit 42!

Da sage noch einer, der Sozialstaat sei am Ende, die Kassen leer – weitere Reformen müßten her. Alles Quatsch, enthüllte uns die SPD nach ihrer Vorstandsklausur in Weimar und ließ sich entspannt in den Sessel fallen. Gut, es gibt ein paar Probleme mit der Hartz-Finanzierung. Da fehlt eine Milliarde oder zwei oder drei. Doch das hat der Kanzler glücklicherweise rechtzeitig erkannt und entschlossen gehandelt. Zunächst hatte Schröder Hartz IV ja hochfeierlich zu seiner persönlichen „Chefsache“ erklärt. Nun, da der Motor zur Jahreswende etwas zu stottern begann, erkannte er, daß die Reform in der „alleinigen Verantwortung“ seines Wirtschaftsministers Clement liegt. Das nennt man Instinkt. Vorausschauende Kapitäne verlassen stets noch vor der Kollision mit dem Eisberg das Schiff und legen das Kommando vertrauensvoll in die Hände eines Offiziers. Der übt sich nun in aufmunternden Worten an die Mannschaft: Laut Clement wird dies ein wundervolles Jahr. Die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit sinkt „ab der Jahresmitte“ ein bisserl und die Maas-tricht-Kriterien halten wir auch ein. Wenn es so kommt, wird der Kanzler nicht zögern, seinen Erfolg gebührend zu begießen, falls nicht, geht Clement über die Planke und nimmt Eichel gleich mit. Der Weimarer Optimismus des Regierungschefs war also wohlbegründet.

Von Rentenreform, „Bürgerversicherung“, weiteren Neuerungen am Arbeitsmarkt, Haushaltssanierung oder gar vom zerrütteten Bildungswesen hat der Kanzler genug. Er hat erkannt, daß man damit keine gute Medienfigur machen kann, weshalb er von dem Krempel nichts mehr hören will. Jetzt ist erstmal noch die Flut dran, die ihn in hellstem Spenderlicht erstrahlen läßt. Danach will Schröder den Rest des Jahres nur noch über die „alternde Gesellschaft“ diskutieren.

Eigentlich ein typisches Bundespräsidenten-Thema. Horst Köhler aber schlägt sich derzeit die Nächte mit Ministerpräsidenten um die Ohren, mit denen er die getrauchelte „Föderalismusreform“ retten will. Das wäre eigentlich Aufgabe des Kanzlers, der die Sache jedoch meidet, weil man sich auch damit erstens schlecht in Szene setzen kann und zweitens das Volk hier womöglich handfeste Ergebnisse erwartet. Diesem Risiko kann und will sich Schröder um seiner selbst willen nicht aussetzen. Eine „breite gesellschaftliche Diskussion“ über die „alternde Gesellschaft“ jedoch bietet viel Raum für lange Reden über „Visionen, die über den Tag hinausweisen“, mit „Perspektiven“ und „Zukunft“. Schröder kann hier sein ganzes rhetorisches Repertoire ausschütten, ohne daß daraus in seiner Amtszeit noch Politik werden müßte. Die „ruhige Hand“ des Kanzlers der hundert Kommissionen führt wieder Regie und will sich bis zur Wahl 2006 nicht mehr bewegen.

"Nachtigall, ick hör dir trapsen!" Zeichnung: Götz Wiedenroth


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