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22.01.05 / Das Band, das den Erdkreis verbindet / Urgeschenk Liebe - wie ein Familienkongreß kulturelle und religiöse Unterschiede überwindet 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 3 vom 22. Januar 2005

Das Band, das den Erdkreis verbindet
Urgeschenk Liebe - wie ein Familienkongreß kulturelle und religiöse Unterschiede überwindet 
von Jürgen Liminski

Die Szene konnte kaum symbolischer sein. Eine kopfbedeckte Frau las eine Sure aus dem Koran, eine junge Jüdin las aus der Genesis, und ein europäischer Christ schlug das Neue Testament auf. Im Zentrum der Passagen: das Kind. Im Kind liegt Zukunft. Die knapp 500 Teilnehmer des Internationalen Kongresses für die Familie in Doha im Emirat Katar, unter ihnen ein Rabbi aus den USA, ein Kardinal aus Rom, der koptische Papst, islamische Gelehrte, Sunniten aus Saudi-Arabien und Schiiten aus dem Iran, ferner Mormonen, Protestanten, Katholiken aus Europa und Amerika - sie alle applaudierten. Dann sprach die Gastgeberin, "Ihre Hohheit", die Frau des Emirs von Katar. Sie sprach von der Heiligkeit der Familie, von der Würde der menschlichen Person, von Dialog und Werten, die alle Menschen guten Willens teilten. Es war der Auftakt zu einer Krippenszene der dritten Art. Das Bemühen um das Gemeinsame, um eine Zukunft in Frieden, war stärker als das Trennende. Und gemeinsam war allen das Kind, sein Wohl und Glück im Kreis der Familie.

Natürlich fehlte es nicht an missionarischen Stimmen, die mal die Polygamie im Islam rechtfertigten, mal die Barmherzigkeit Allahs beschworen. Aber jenseits dieser Pflichtübungen gab die Suche nach gemeinsamen Grundlagen des Familienverständnisses den Ton an. In Doha fanden sich Menschen guten Willens. Augenfällig wurde es, als ein Europäer die Zusammenhänge von Familie, Glück und Humanvermögen aufzuzeigen versuchte. Er griff zurück auf europäische Glücksdefinitionen und zitierte Augustinus: "Das glückliche Leben ist nichts anderes als die Freude, welche die Wahrheit erzeugt", und "diese Wahrheit findet man in Dir, Herr, in Dir, der höchsten Wahrheit". Keiner stand auf und verwies auf Schillers Nathan. Keiner hob die Hand, als nach einigen christlichen Schriftstellern auch Don Bosco zu Wort kam: "Das erste Glück eines Menschen ist das Bewußtsein, geliebt zu werden". Im Gegenteil, atemlose Stille, als gerade dieser Satz mit den Ergebnissen der Hirnforschung begründet wurde: Wenn ein neugeborenes Kind seine Mutter erblicke, dann, so hätten amerikanische Neurologen festgestellt, komme Bewegung ins Hirn. Es ergäben sich Strömungen, die typisch seien für Glücksgefühle. "Beim Vater bleibt es bei der Linie. Immerhin, es ist kein Punkt, das läßt hoffen. Alles zu seiner Zeit. In den ersten Jahren sind die Mütter näher dran". Sie haben offenbar "von Natur aus" - das war das Stichwort der Gemeinsamkeit - mehr Herz, mehr Empathie, wie auch die Bindungs- und Verhaltensforscher seit einigen Jahren belegen. Das neugeborene Kind weiß noch nichts, aber es ist glücklich. Es fühlt sich geborgen. Es fühlt sich geliebt. Bleibt diese Liebe aus, kommt es zu Ängsten, zu Barrieren des Glücks. Dann werden zwei erbsengroße Teile des Gehirns, die Mandelkerne, blockiert. Dort entstehen alle Emotionen, mithin auch die Glücksgefühle. Diese neurobiologische Anlage wird durch die Umwelt angeregt, die Gehirnbotenstoffe Dopamin und Serotonin auszuschütten, die wiederum die Stimmungslage, das Wohlbefinden, beeinflussen. In diesem Fall ist es das Lächeln der Mutter. Ganz allgemein ist es das Lächeln, die bekundete Bereitschaft zur Annahme und Bestätigung des Kindes. Liebe kann man zwar nicht sehen, aber man kann sie zeigen.

Menschen brauchen offensichtlich diese Bestätigung, diese Zeichen. Ihr Gefühl für existentielle Sicherheit hängt davon ab. Dieses Gefühl wird uns geschenkt, zuerst in den Armen der Mutter. Es ist die Grundlage für die seelische Gesundheit. Dieses Urgefühl hat auch eine kollektive Komponente. Wenn Onkel, Tanten, Geschwister fehlen und der Rest der Verwandtschaft, die Eltern, permanent im Streß leben, wenn das Kind nur noch betreut und kaum noch geliebt wird, weil die Liebe und Beziehung auch Zeit brauchen, wenn die Eltern untereinander sich diese Zeit auch nicht mehr widmen oder gönnen, weil sie ihre Zeit von dem Fernsehen selbstverschuldet oder vom Job mehr oder weniger unverschuldet aufsaugen lassen, dann gleitet eine Gesellschaft in einen Strudel emotionaler Verarmung. In diesem Prozeß befinden wir uns. Der mittlerweile angeschwollene Diskurs über die Folgen des demographischen Defizits hat den emotionalen Faktor noch nicht entdeckt. Aber er ist es, der das Leben anmutig, schön, begeisternd oder auch zufriedenstellend macht. Verliebte sind im siebten Himmel, heißt es. Es sind aber nur die Emotionen, die Dopamine und anderen Botenstoffe, die so weit und so hoch tragen. Das Herz hat Gründe, die der Verstand nicht begreift, schrieb weniger biochemisch, aber dafür um so menschlicher schon Blaise Pascal.

Vielen Teilnehmern in Doha war dies bewußt. Gerade Muslime suchten nach Gründen und Argumenten, um ihren Kindern zu erklären, daß nicht die Dekadenz der amerikanischen TV-Serien das Modell der Zukunft ist, sondern die Familie. Sie fanden Argumente in der Anthropologie, in der Herzenswärme, in der Liebe. Damit könne man, so sagten sie in Diskussionen am Rande, der Globalisierung und dem reinen Wirtschaftsdenken begegnen. Die Familie als Zufluchtsort, als Ruheraum des Herzens. Das gelte zu allen Zeiten und im Leben eines Menschen vor allem in der Kindheit.

In den ersten drei Jahren, wenn das Sprachfenster der Kinder noch weit offen steht, ist die permanente Anregung, das aufmunternde Gespräch wichtig, manche Sprachforscher sagen sogar entscheidend für das Sprachbewußtsein. Einig sind sich alle, daß das Sprachverstehen der wichtigste Indikator für den späteren Schulerfolg ist. Kommunikation und emotionale Stabilität sind also die Voraussetzung für die Bildung von Persönlichkeit oder von Humanvermögen. Ohne das läuft die Schulbildung ins Leere. Wenn heute jedes fünfte Kind in Deutschland Verhaltensstörungen aufweist, dann sind die Ursachen weniger in der Schule als an den frühen Orten der Gefühlskultur zu suchen. An diesen Orten unserer Gefühls- und Wertekultur, an diesen Stätten unserer frühen Orientierungs- und Bindungsfähigkeit entscheidet sich das Kindeswohl, mithin die Bildung von Humanvermögen.

In Doha wurde über diese Orte gesprochen - sie sind allen Kulturen gemeinsam, denn die Natur des Menschen ändert sich nicht mit den Breitengraden, sie paßt sich nur äußerlich an. Für alle gilt der Satz, den Johannes Paul II. in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2005 formuliert: "Wenn das Gute das Böse besiegt, herrscht die Liebe, und wo die Liebe herrscht, herrscht Friede." Grundlage für die Erkenntnis des Guten mit Blick auf die Familie ist die Anerkennung der Menschenwürde vor und nach der Geburt, jenseits aller religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Differenzen, ist ferner die Anerkennung des anthropologischen Kerns der Familie, die Ehe, die frei und bewußt eingegangene Verbindung eines Mannes und einer Frau als gleichwertige Partner, und ist schließlich die Anerkennung des Rechts der Eltern, als erste verantwortlich zu sein für Betreuung und Erziehung ihrer Kinder. All diese Elemente des Guten waren in der Schlußerklärung von Doha enthalten. Es ist eine im edlen Sinn des Wortes multikulturelle Erklärung. Sie toleriert Unterschiede und betont die Gemeinsamkeiten.

Man würde sich wünschen, daß diese Gemeinsamkeiten auch für die Gesellschaften in Europa noch gelten. Aber so wie hier das Recht auf Anerkennung der Menschenwürde vor und nach der Geburt legal verneint wird, so kennt die Praxis des Ehelebens in den islamischen Ländern manche Unterschiede zu der Erklärung von Doha. Dennoch: Die Natur des Menschen zur vollen Entfaltung zu bringen, ist das Ziel. Menschen guten Willens gehen es an. Daß nicht alle dieses Ziel anstreben, liegt an der menschlichen Freiheit.

Liebe ist eine schöpferische Tat, eine Beziehungstat. Sie prägt und gestaltet das Verhältnis von Personen zueinander, sie schafft existentielle Nähe. Die dauerhafte Befriedigung dieses Naturbedürfnisses geschieht in der Familie. Es gibt keinen anderen Ort in der Gesellschaft, an dem eine so selbstlose und tätige Liebe möglich ist. Deshalb ist die Familie auch unverzichtbar für den Menschen und für die Gesellschaft. Liebe als Gabe und Hingabe - das haben schon die Völker und Dichter aller Zeiten besungen, ja Liebe ist nach einem Wort von Pestalozzi "das Band, das den Erdkreis verbindet". In Doha war es zu spüren. Vielleicht kam einer der drei biblischen Weisen aus diesem kleinen Emirat im Morgenland nach Bethlehem. Zumindest fand die Botschaft von der Liebe dort für ein paar Tage ein Zuhause.

 Unser regelmäßiger Autor Jürgen Liminski war einer der Referenten auf dem im obigen Artikel geschilderten Familienkongreß in Doha, der Hauptstadt des Wüstenstaates Katar am persischen Golf.


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