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29.01.05 / "Ihre Werke verdienen zwar Denkmäler ..." / Friedrich der Große unterhielt zu Voltaire eine der ambivalentesten Beziehungen der preußischen Geschichte 

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 4 vom 29. Januar 2005

"Ihre Werke verdienen zwar Denkmäler ..."
Friedrich der Große unterhielt zu Voltaire eine der ambivalentesten Beziehungen der preußischen Geschichte 
von R. Ruhnau

Soeben erst aus dem gewonnenen Zweiten Schlesischen Krieg heimgekehrt, war es die (ganz persönliche) Idee des Preußenkönig Friedrichs des Großen, der diese Woche 293 Jahre alt geworden wäre, einen Weinberg nördlich der Havel für einen Schloßbau zu nutzen. Eigentlich ein Schlößchen, denn die zierliche Anmut von Sanssouci bezeugt, daß es der eigenen Lebensart Friedrichs vorbehalten sein sollte. Wie zuvor in Rheinsberg wollte er dort "ohne Sorge" sein. Geistreich wünschte dieser Preußenkönig dort seine Tage zu verbringen, denn Geist und Macht waren für ihn kein Widerspruch.

1747 vollendete der Architekt v. Knobelsdorff diesen Potsdamer Schloßbau. Friedrich, gerade 35 Jahre alt, hatte eine erstaunliche Wandlung hinter sich. Nach dem Tode seines Vaters, des strengen Soldatenkönigs, erwartete alle Welt, mit dem schöngeistigen Kronprinzen einen Philosophen auf dem Preußenthron anzutreffen. Er aber wagte den Griff nach Schlesien, "zum Rendezvous des Ruhmes", wie er seinen Offizieren zugerufen hatte. Doch nun sollte Schloß Sanssouci bei Potsdam zum Refugium seiner Friedensjahre werden.

Friedrich der Große, wie er seit den Schlesischen Kriegen genannt wurde, hatte an seiner Tafelrunde von Sanssouci ausschließlich Männer zur Gesellschaft. Keine Frau durfte das Schloß betreten. Seine Schwester Wilhelmine nannte die königliche Herberge nur "das Kloster", was gar nicht zur heiteren Rokokoausstattung passen wollte, während der König selbst sich gern als "Abt" bezeichnete. Dem Kreis der Gesellschafter, den Friedrich um sich scharte, gehörten mehr Ausländer an als Deutsche. Da waren unter anderem der Marquis d'Argens, ein Kavalier feiner Geistesbildung, der wegen seiner freien Gesinnung in Frankreich verfolgt worden war, in Preußen jedoch Asyl gefunden hatte. Dann die Gebrüder Keith aus Schottland, sie mußten als Anhänger der Stuarts ihr Vaterland meiden. Jakob Keith brachte es ob seiner Tapferkeit bis zum preußischen Feldmarschall. Ein anderer Armeeführer, der in Preußen geborene Feldmarschall Graf Schwerin, hatte für Friedrich den Sieg bei Mollwitz erfochten.

Die unbestritten geistreichste Persönlichkeit der Tafelrunde, von der sich Friedrich unwiderstehlich angezogen fühlte, war der in Paris geborene Literat und Enzyklopädist Francois-Marie Voltaire. 1750 vom Preußenkönig mit größtem Wohlwollen bei Hofe aufgenommen, erwarb sich der Franzose so viel königliche Huld, daß sogar Minister ihm ihre Aufwartung machten. Der König bewilligte Voltaire ein Jahresgehalt von 5.000 Talern, ließ ihm die goldenen Schlüssel der Kammerherren aushändigen und überhäufte ihn mit Ehrungen aller Art. Friedrich liebte den Verkehr mit witzigen und schlagfertigen Menschen, besonders wenn diese, wie der Franzose es meisterhaft verstand, ihre Antworten in wohlgesetzte Verse kleideten. Mit seinem scharfen Verstand mischte Voltaire die Potsdamer Herrenrunde ordentlich auf. Andererseits fürchteten viele die intellektuelle Überlegenheit des Günstlings, vor dessen bissigem Spott niemand sicher war. Voltaire konnte sein Leben am Hofe gestalten, wie er wollte. Er vollendete seine schriftstellerischen Arbeiten, beteiligte sich an mancherlei undurchsichtigen Geldgeschäften, nur bei den Abendmahlzeiten erwartete man seine Anwesenheit.

Die Potsdamer Tafelrunde gewährte Friedrich II. nicht nur größtes Vergnügen, sie lenkte ihn auch von den anstrengenden Regierungsgeschäften ab. Äußere und innere Politik, Heerwesen und Finanzen hatten nach Auffassung des Königs ein gemeinsames Ziel, nämlich der Festigung des Staates und dem Anwachsen seiner Macht zu dienen. Zwar konnte Schlesien behauptet werden, da Österreich sich zunächst mit der neuen Großmacht Preußen abfinden mußte, doch wie lange die trügerische Ruhe andauern würde, hing ganz von dem Willen der Kaiserin Maria Theresia ab, die insgeheim schon den nächsten Waffengang plante. Mit Rußland und Sachsen fand die Österreicherin Verbündete, deren Haß gegen Preußen sie einte. Aber noch dauerten die unbeschwerten Jahre an, eine friedvolle Aufbauphase auf allen Gebieten begann. Die Reformierung des preußischen Justizwesens unter Cocceji schuf mit dem "Codex Fridericianus" eine für alle Provinzen verbindliche Prozeßordnung. Die Provinzialdepartments, seit Friedrich Wilhelm I. unter der zentralen Oberbehörde des Generaldirektoriums stehend, hatten, mit ihren leitenden Ministern an der Spitze, einen genau geregelten Geschäftsbetrieb, dessen Arbeitsdisziplin und Pünktlichkeit "zum Besten und Wohlfahrt unserer Untertanen" funktionierte. Landgewinnung im Oderbruch, aufblühende Manufakturen, Beratung der bäuerlichen Bevölkerung zur besseren Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen trugen zur Hebung des Lebensstandards bei.

Auch die Wissenschaften fanden ihre gebührende Beachtung. Friedrich II. sah in der Wiederbegründung der Akademie der Wissenschaften eine vorrangige Aufgabe. Er berief den französischen Mathematiker und Physiker Maupertuis zum Präsidenten dieser Institution, die sich in dem neuen Akademiegebäude "Unter den Linden" etablierte. Maupertuis, der mittels verschiedener Meßmethoden die Abplattung der Erde an den Polen nachgewiesen und damit die Theorie Newtons bestätigt hatte, gehörte auch zur Tafelrunde in Sanssouci. Als geistvoller Gesellschafter besaß er die Gunst des Königs, erweckte aber bald die Eifersucht von Voltaire. Schon früh vertrat Maupertuis die Hypothese, daß sich die Natur für ihre Bewegung mit dem jeweils kleinsten Kraftaufwand begnüge, woraus er wiederum auf die Existenz einer göttlichen Allmacht schloß. Das rief natürlich den Widerspruch Voltaires hervor, der eine entschiedene Neigung zu den empirischen Naturwissenschaften besaß und den Kampf gegen jede unduldsame Religion auf seine Fahne geschrieben hatte. Der Streit zwischen den beiden Franzosen eskalierte. Friedrich II., der anfänglich amüsiert den Diskurs der zwei Hitzköpfe verfolgt hatte, mußte sich für einen der beiden entscheiden.

Voltaire, in seiner Jugend ein Jesuiten-Zögling, dann einige Jahre in England lebend, wo er Natur- und Geisteswissenschaften studierte, hatte mit seinen Erziehungsromanen und mehr noch mittels seiner universalen Kulturgeschichte eine weit verbreitete Wirksamkeit entfaltet. Die Menschheitsgeschichte war für ihn keine Folge göttlicher Vorsehung, sondern ein aus sich selbst entwickelndes Ereignis, das eine langsame Vervollkommnung der Vernunft zum Ziel hat. Voltaire galt als die reinste Verkörperung der französischen Aufklärung. Trotz aller Schmeicheleien, die Friedrich der Große nicht ungern aus dem Mund des Philosophen vernahm ("Sire, Sie sind der außergewöhnlichste Mensch, der je gelebt hat, Sie sind anbetungswürdig ..."), war er sich über die Gerissenheit des französischen Sprüchemachers durchaus im klaren. Der König, dem natürlich alles, was bei Hofe passierte, zugetragen wurde, wußte um die Börsenspekulationen, die wucherhaften Darlehen und andere zweifelhafte Geldgeschäfte des Philosophen. Er hatte auch dessen negative Charakterseiten erkannt. Voltaire aber fühlte sich so sicher, daß er einen schwerwiegenden Fehler machte. 1752 erschien seine Schmähschrift "Akakia", in der er den Intimfeind Maupertuis scharf angriff.

Diese Schmähung gegen den Präsidenten der Königlich Preußischen Akademie konnte Friedrich nicht zulassen. Er ergriff Partei zugunsten von Maupertuis und befahl, die Schmähschrift öffentlich zu verbrennen. In einem Brief an Voltaire schreibt er: "... Ihre Werke verdienen zwar Denkmäler, Ihr Benehmen aber Ketten ..." Voltaire hatte nun genug von Preußen, verbittert reiste er ab. In Paris erschien eine anonyme unverschämte Schrift über das Privatleben König Friedrichs von Preußen, vermutlich war es ein Racheakt Voltaires. Trotz der bösen Vorfälle lebte der Briefwechsel zwischen dem König, der Grenzen veränderte, und dem Philosophen, der das Denken revolutionierte, wieder auf. Er dauerte mit langen Pausen bis 1778, dem Jahr, in welchem Voltaire, dank erfolgreicher Finanzspekulationen auf einem fürstlichen Grundbesitz in der Nähe von Genf, 84jährig starb. Friedrich II. verfaßte einen langen Nachruf, der jeden Mißton vermied. Zu sehr hatte er "das schönste Genie des Jahrhunderts" bewundert.

Ein ungleiches Paar: Friedrich der Große (rechts) und Voltaire Foto: Archiv


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