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12.02.05 / Im Sog des Rechtsnihilismus

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. Februar 2005

Gedanken zur Zeit:
Im Sog des Rechtsnihilismus
von Gottfried Loeck

Nachdem endlich auch die Medien vermehrt das Thema wachsende Gewalt in diesem Land aufgreifen, ist es höchste Zeit, sich über Ursachen und Formen Gedanken zu machen. Spätestens bei den jährlich stattfindenden Atommülltransporten ins Zwischenlager Gorleben wird die Öffentlichkeit Zeuge, wie mit großem finanziellem Aufwand - man spricht von mehreren Millionen Euro - staatliches Interesse gegen Bürgerinteressen durchgesetzt wird. Mit virtuoser Begriffsakrobatik werden Blockaden zu "gewaltfreien Aktionen" umformuliert, wohlwissend, daß dort gezeigte Blockadeformen durchaus den Tatbestand von Straftaten erfüllen. Verharmlosend werden Blockaden von Straßen, Gleisen von nicht wenigen Massenmedien als etwas zum Alltag Gehörendes, Normales, Urdemokratisches hingestellt. Daß die bei Gorleben inszenierten Blockaden nötigende Gewalt einschließen, deshalb in einem angeblich zivilisierten Land eine Monstrosität darstellen, wird bewußt verdrängt, mitunter sogar gefeiert.

Was üblicherweise bestraft wird, wenn ich jemandem den Weg versperre, scheint im Wendland nicht zu gelten. Daß die Täter den Zweck ihrer Gewaltanwendung für edel halten, sie diese mit moralischen Attributen schmücken, scheint den Gerichten auszureichen, um den Tatbestand schwerer Nötigung für nicht gegeben zu halten. Der Begriff "Gewaltfreiheit" wird mit immer gewaltsameren Inhalten gefüllt, das heißt zunehmend auch als Begründung für das Beschmieren von Häusern, Kirchen, dem Besprühen von Orts- oder Verkehrsschildern verwandt. Nicht weniger führt das vom Zeitgeist in Umlauf gesetzte Wort "ziviler Ungehorsam" in die Irre, weil er etwas Einschmeichelndes verkörpert und ein Hauch von "Zivilcourage" in ihm anklingt. In Wirklichkeit soll "ziviler Ungehorsam" die bewußte Gesetzesübertretung für politische Zwecke schönreden. Aber warum zivil? In einem demokratischen Staat werden die Gesetze von Parlamenten beschlossen, die die Bürger in Wahlen bestimmt haben. Insofern muß es den Bürgern eine Art Ehrenpflicht sein, diese Gesetze zu respektieren. Gesetzesungehorsam mag für den Untertan in einer Diktatur in Betracht kommen, der freie Bürger hingegen schuldet zivilen Gehorsam.

Von "Regelverletzung" sprechen verharmlosend bestimmte Gruppen gerne, wenn es um die Mißachtung von Gesetzen geht. Rechtsnormen werden als eine Art "technischer Krimskrams" bezeichnet, der keinerlei Anspruch darauf habe, moralisch ernst genommen zu werden. Nicht anders ist das schwammige Wortgebilde "formaler Rechtsverstoß" einzustufen, das mehrfach von besonders "fortschrittlichen" Abgeordneten und höchsten Mandatsträgern im Straßenkampf, bei Aktionen entschuldigend vorgebracht wurde. Das bei solchen verharmlosenden Wortspielen die Täuschungsgefahr besonders groß, dem weitgehend satten Bürger sowieso alles egal ist, ist der Irrtum, daß Gesetze nur etwas Nebensächliches, rein Formales gegenüber den ihnen zugrunde liegenden Rechtsgütern seien, weit verbreitet. Jeder einigermaßen gebildete Bürger weiß, daß es gerade die Gesetze sind, die uns wichtige Rechtsgüter garantieren. Ohne Rechtsform ist der Rechtsstaat undenkbar. Was einstige Straßenkämpfer, Dauerrevoluzzer, Blockierer tun, ist nicht als moralisch begründbarer formaler Rechtsverstoß zu entschuldigen, sondern als wissentlicher Rechtsbruch zu ahnden.

Die übelste Worthülse aber, mit der Rechtsbrecher ihr Unrecht zu tarnen versuchen, lautet: Der Staat wolle gewaltfreie Aktionen "kriminalisieren". Daß eine solche Sprachversion bei manchem Mitbürger automatisch mittuende Unterstützung auslöst, entspricht den Absichten der gewaltbereiten Störenfriede. Indem man das Tun der Friedensbewegten so hinstellt, als täten sie ausschließlich etwas rechtlich durchaus Erlaubtes, von der Moral erst recht Gebotenes, während Polizei und Justiz daherkämen, um willkürlich einzuschreiten, entschuldigt man Rechtsbrüche.

Geradezu abenteuerliche Rechtstheorien sind bei unseren Dauerdemonstranten im Umlauf. Der demokratische Staat müsse sich jeder von ihnen gewählten Form des Protestes unterordnen. Forderungen bestimmter Abgeordneter der Grünen, Blockadeaktionen wie in Gorleben, Aufruhr wie jeweils am 1. Mai in Berlin, im Rahmen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit zu tolerieren, übersehen wissentlich, daß für Gewalt im Rahmen von Demonstrations- und Meinungsfreiheit kein Platz ist. Während man üblicherweise Gesetze strikt auslegt, werden anscheinend bei gewaltbereiten Mandatsträgern und Randgruppen Ausnahmen gemacht. So etwas ermutigt andere, gleiches zu tun. Ob der demokratische Rechtsstaat derartige Auswüchse dauerhaft verträgt, bleibt spannend.

Der Trick, Legitimität gegen Legalität einzusetzen, wenn einer Minderheit die Entscheidung der Mehrheit nicht in den Kram paßt, hat sich oft schon bewährt. Daß aber hinter all den wohlklingenden Wortkonstruktionen und verwegenen Rechtsbehauptungen bei nicht wenigen Dauerdemonstranten ein gefährlicher Rechtsnihilismus sichtbar und spürbar wird, macht einem bei einem zahnlosen Staat Angst. Wenn sich die Allseitsblockierer und Dauerrevolutionäre davon nicht lösen können - und dafür spricht im Augenblick nichts - werden sie sich dem Rechtsstaat und seinen Spielregeln nur weiter entfremden.


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