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19.02.05 / Vertrauenskrise in Rußland / Die einstige Supermacht ähnelt immer mehr einem Entwicklungsland

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. Februar 2005

Vertrauenskrise in Rußland
Die einstige Supermacht ähnelt immer mehr einem Entwicklungsland

In Rußland weitet sich der Widerstand gegen die von der russischen Regierung beschlossenen Sozialreformen aus. Am vergangenen Wochenende demonstrierten in Moskau und der gesamten Russischen Föderation 250.000 Menschen für oder gegen den Sozialabbau.

Seit Wochen protestierten vor allem Rentner gegen die Streichung der kostenlosen Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln und der freien Medikamentenabgabe für alte Menschen. Gleichzeitig forderten sie die Erhöhung der Renten.

Anfang Januar erhielten die Rentner Unterstützung durch die in St. Petersburg gegründete Studentenbewegung "Ohne Putin gehen", die gemeinsam mit Vertretern der Partei "Jabloko", der nationalbolschewistischen Partei und der SPS (Union rechter Kräfte) Protestaktionen durchführen. Die Bewegung versteht sich als Opposition zur Regierung und als Gegenbewegung zur putintreuen Studentenbewegung "Gemeinsam gehen". Ihre Mitglieder tragen "orange"; sie präsentieren sich als Anhänger der ukrainischen Revolution. Ihr Nahziel ist die Erzwingung der Rück-nahme der Sozialreformen; ihr Fernziel die Ablösung der Regierung, die Herbeiführung freier Wahlen 2008 und die "orange" Revolution in Rußland.

Am vergangenen Wochenende wurden in Moskau elf Demonstranten der nationalbolschewistischen Partei und der Bewegung "Ohne Putin gehen" vorübergehend festgenommen, weil sie die Demonstration der kremltreuen Partei "Geeintes Rußland", die etwa 40.000 Menschen dazu bewegen konnte, für die Sozialreformen auf die Straße zu gehen, zu stören drohten.

Egal wie viele Menschen nun für oder gegen die Reformen demonstrieren, eines scheint sicher: Das Vertrauen einer großen Zahl von Russen in ihren noch vor nicht allzu langer Zeit als Hoffnung Rußlands gefeierten Präsidenten Wladimir Putin ist erschüttert.

Dies belegen Umfragen des russischen Meinungsforschungsinstitute Jurij Lewada und der Holding ROMING Monitoring in über 100 Städten und Dörfern. Demnach erwartet fast die Hälfte der Befragten, daß die derzeitige Politik ihr Land in die Sackgasse führen werde. Nur 38 Prozent halten Putins Politik für richtig, hingegen 49 Prozent für falsch, 13 Prozent enthielten sich.

Nicht nur die aktuelle Sozialpolitik sorgt für den Vertrauensverlust der Bevölkerung in ihre Regierung. Schon seit Beslan erfreut sich die Anti-Putin-Bewegung immer größerer Beliebtheit.

Putins Antwort auf den Terror war eine stärkere Konzentration der Macht im Kreml: Die Direktwahl der Gouverneure wurde abgeschafft, was zu landesweitem Unmut führte. Gleichzeitig wurden Fernsehsender unter staatliche Kontrolle gestellt, die Opposition kaltgestellt. Von Putins Sozialreformen sind insgesamt 30 bis 40 Millionen Russen betroffen, darunter neben Rentnern auch Studenten, Staatsdiener und Militärdienstleistende. Als Folge gab es im Herbst 2004 bereits 100mal mehr Streiks als im gesamten Jahr 2003.

Der vom Kreml eingeschlagene Kurs schadet der Wirtschaft des Landes. Beim jährlich veröffentlichten Rating der amerikanischen Heritage Foundation und des Wall Street Journal rangiert Rußland auf Platz 124. Der Lebensstandard der russischen Bevölkerung ist auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Seit der Jukos-Affäre meidet das Kapital aus dem Westen Investitionen in Rußland. Das Mißtrauen gegen russische staatliche Institutionen ist gewachsen. Dieses teilen auch die kleinen Leute.

67 Prozent der Bevölkerung halten russische Gerichte für korrupt. In ihrer Doktorarbeit veröffentlichte die Richterin Olga Kudeschkina die Gepflogenheiten ihrer käuflichen oder lenkbaren Berufskollegen. Dafür wurde sie ihres Amtes enthoben und muß sich nun selbst vor Gericht verantworten.

Putin reagierte nun auf die Proteste, indem er ein Gesetz zur Erhöhung der Renten unterschrieb. Ebenso sollen in einem weiteren Gesetz die Gehälter und Pensionen der Soldaten erhöht werden. MRK


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