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26.02.05 / Über das Ziel hinausgeschossen / Der Europäische Haftbefehl hat äußerst bizarre Nebenwirkungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. Februar 2005

Über das Ziel hinausgeschossen
Der Europäische Haftbefehl hat äußerst bizarre Nebenwirkungen

Seit August vergangenen Jahres ist er in Kraft und kann jeden treffen, sogar rückwirkend. Der Europäische Haftbefehl, seit 1999 vorbereitet, schneidet tief in die souveränen Rechte der Staaten und ihrer Bürger ein, ermöglicht schnelle Auslieferungen und unterwirft jeden EU-Bürger dem Recht aller Mitgliedsstaaten zugleich, selbst wenn er sich nur im eigenen Land aufhält und anderswo keine Straftat begeht.

Schon bei Verabschiedung des "Rahmenbeschlusses" im Europäischen Ministerrat verklang Kritik weitgehend ungehört. So nannte der Deutsche Anwaltsverein die Formulierung der Haftgründe "erstaunlich konturenlos". In Tschechien meldete die Opposition immerhin schwere Verfassungsbedenken an, doch gilt auch dort inzwischen das neue Prinzip.

In der Tat waren und sind die Tatbestände, für die der neue Haftbefehl gelten soll, nebulöse Worthülsen. In 32 Deliktfeldern soll nämlich das Prinzip der Gegenseitigkeit aufgehoben werden, das heißt, eine Strafverfolgung und somit auch Auslieferung ist in diesen 32 Strafbereichen selbst dann möglich, wenn der Anklagepunkt beispielsweise in Deutschland keine Straftat darstellt. Das verstößt eigentlich gegen deutsches Recht, wie grüne Politiker anfangs zu bedenken gaben - dafür gestimmt haben sie im Bundestag trotzdem. Die europäische Lösung kommt also nicht bloß "schneller und einfacher als die Auslieferung" daher, wie die offizielle Infobroschüre der EU sie feiert. Sie bietet weit mehr, als "daß verurteilte Straftäter oder Verdächtige, denen eine schwere Straftat in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union angelastet wird, nicht mehr in einem anderen Mitgliedstaat Unterschlupf finden können" (so die EU-Kommission).

Ist die europaweite Regelung reine Auslegungssache? So soll "Cyberkriminalität" genauso wie die in ihrer Beurteilung sicher noch problematischere, da deutungsabhängige "Fremdenfeindlichkeit" und "Rassismus" grenzenlos verfolgt werden. Auch "Umweltkriminalität" gehört zu den magischen 32. "Terrorismus" ist ebenfalls ein Grund, selbst aus einer bestehenden Haft heraus zwangsverschickt zu werden - Spanien und Frankreich prüften schon einmal vorab die neuen Möglichkeiten.

Nun mag man Terroristen kein Mitleid gönnen. Doch gilt die Definition des klagenden Landes, und die kann so restriktiv sein, daß es auch Unbescholtene trifft. Ein Wettbewerb der Rechtsysteme im Verklagen könnte die Folge sein, bei dem sich das drakonischste durchsetzt. Theoretisch könnte beispielsweise ein jugendlicher deutscher Computer-Hacker mit britischem Strafbefehl aus Deutschland geholt und vor ein britisches Gericht gestellt werden, selbst wenn er die Tat in Deutschland verübte. Wer in Polen Altöl entsorgt (wie derzeit in großem Umfang in Schlesien geschehen), findet sich womöglich bald im umweltbewußten deutschen Rechtswesen wieder.

Vollstreckt wird der Haftbefehl sofort und unabhängig von Einwänden des Gesuchten. Auch hat jedes Land ihn zu befolgen, ohne besondere gerichtliche Prüfung.

Theoretisch könnte der britische Prinz Harry für seinen Fehltritt im Nazikostüm in Deutschland verklagt werden. Die Briten müßten ihn binnen 90 Tagen ausliefern, obwohl er sich in seinem Heimatland durch das Tragen von NS-Symbolen nicht strafbar gemacht hat. Der britische Staat hätte in diesem Fall kein Recht, gegen den Haftbefehl vorzugehen - er müßte Harry umgehend ausliefern.

In allen anderen Feldern der Kriminalität bleibt es beim Altbewährten, wird nur für andere Staaten strafverfolgt, wenn in beiden Staaten (dem ausliefernden und dem anklagenden) eine gesetzliche Grundlage besteht. Eines der "größten Hindernisse für eine erfolgreiche Auslieferung" war nämlich bisher "das Prinzip der beiderseitigen Strafbarkeit", wie es in der Aufklärungsbroschüre der EU heißt. Daß hierbei zu Recht Vorsicht geboten schien, spielt keine Rolle mehr. Überstellungen von Deutschen in europäische Länder mit gänzlich anderen Haftbedingungen und -gründen dürften nun kein Problem mehr sein - außer für den Ausgelieferten. Zwar können Täter ihre Haft "in dem Staat verbüßen, in dem sie verhaftet wurden oder leben", die bisherige Praxis sieht jedoch anders aus.

Bei all den Unwägbarkeiten für den Bürger ist der eigentliche Nutzen begrenzt, wie der Deutsche Richterbund vorsichtig anmerkt: "Nicht ausgeschlossen ist, daß ein Auslieferungsersuchen durch die Einleitung eines eigenen Ermittlungs- oder Strafverfahrens sachwidrig blockiert wird". Ansonsten heißt es lapidar: "Die weiteren Verfahrensvorschriften begegnen keinen Bedenken." Es bleibt also abzuwarten, ob die Versprechungen der EU, "rechtsneutrale Maßstäbe" anzulegen, sich bewahrheiten. Schottenwitze sollte man sich jedenfalls vorerst verkneifen.

Doch für die europaeifrigen Politiker könnte der Schuß nach hinten losgehen, selbst wenn der Haftbefehl in den ersten Jahren noch so dezent und vorsichtig eingesetzt würde. Zu den 32 besonders scharf verfolgten Untaten gehören nämlich auch "Betrug" sowie "Korruption". Einige europäische Länder ahnden diese Delikte dank Mafiaerfahrungen besonders schwer. In Zukunft dürfte nicht nur ein Fall à la Holger Pfahls schneller ablaufen, auch so mancher andere muß befürchten, statt schlampiger Gerichtsaktensendungen per Post gleich selbst "verschickt" zu werden. Ein spanischer Staatsanwalt soll schon gegen Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi ermitteln - wegen Untreue, Bilanzfälschung und anderer Delikte im Zusammenhang mit dessen spanischen Fernsehaktivitäten. Sverre Gutschmidt

Potentielles Opfer des Europäischen Haftbefehls: Hätte sich ein deutscher Kläger gefunden, der Prinz Harry aufgrund des Tragens nationalsozialistischer Symbole verklagt hätte, hätte dieser rein theorethisch nach dem neuen Gesetz an Deutschland ausgeliefert werden müssen. Foto: ddp


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