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12.03.05 / Wie ein Kopernikus der Pädagogik / Einblicke in die Erkenntnisse der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. März 2005

Wie ein Kopernikus der Pädagogik
Einblicke in die Erkenntnisse der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves 
von Jürgen Liminski

Vor Christa Meves bleibt nichts verborgen, was mit Erziehung zu tun hat. Sie ist die große Dame der Kinderseele. Wie ein Kopernikus der Pädagogik erkannte sie früh in ihrer Praxis als Kinder-und Jugendpsychotherapeutin, daß die einseitigen Theorien der 68er oder auch einiger Wissenschaftssparten der Kinderseele nicht gerecht wurden. Ihr Mitstreiter, der Zoologe Joachim Illies, beschrieb das einmal so: "Während bei Sigmund Freud ein Heilverfahren zur Anthropologie aufgebläht wird und bei C.G. Jung sich jede Mythologie zuletzt im Subjektiven auflöst, entwickelt Christa Meves aus verschiedenen Quellen - vor allem in ständiger, eigener Beobachtung und therapeutischer Kontrolle - ein neues Konzept, in das die Ergebnisse der Genetik, der Verhaltensforschung, der Umweltforschung und der Entwicklungspsychologie, der Pädagogik von Montessori bis Flitner, der Biologie von Portmann bis Spitz, der Philosophie von Scheler bis Gehlen und der Tiefenpsychologie von Freud bis Jung in einem Maße Eingang finden, wie sie sich als wirksam und heilend erweisen."

Und wie Moses nicht bei seinen Schafen in der Wüste bleiben konnte, so mußte auch Christa Meves heraus aus ihrem geliebten Uelzen und die Denaturierung des Menschen, die vielen neurotischen Depressionen und die kommende Katastrophe für die Gesellschaft anprangern. "Sie kamen zu mir in die Praxis. Damals in den frühen 60er Jahren waren die Kernneurosen noch nicht so häufig, aber es wurden von Jahr zu Jahr mehr. Ich sah die zerstörten Familien hinter diesen Kindern, so oft die gleichen Ursachen, die gleiche Anamnese gebrochener Seelen. Ich sah die vielen kleinen Metastasen in unserer Gesellschaft, es war unausweichlich, ich mußte all diese Erfahrungen hochrechnen auf die gesellschaftliche Entwicklung."

Christa Meves ging in die Öffentlichkeit. Sie fing an mit Vorträgen in der Volkshochschule ihrer Wahlheimat Uelzen (geboren und aufgewachsen ist sie im holsteinischen Neumünster), sie trug die seelischen Notschreie und Hilferufe der Kinder weiter, immer weiter. 1969 erschien ihr erstes Buch "Die Schulnöte unserer Kinder". Heute füllen ihre Bücher eine kleine pädagogische Bibliothek. Mehr als hundert Buchveröffentlichungen liegen vor, dazu ungezählte Aufsätze, Kolumnen, Vorträge. Es gibt kaum eine Stadt zwischen Flensburg und Konstanz, in die sie noch nicht zu einem Vortrag eingeladen war. Die Säle sind immer voll, meist überfüllt, sie spricht vor tausenden und vor ganz unterschiedlichem Publikum - Unternehmer und Gewerkschafter, Pfarreien, Professoren, Familienverbände. Ihre Arbeiten sind in 13 Sprachen erschienen, sogar in japanisch. Die Gesamtauflage ihrer in deutsch erschienenen Bücher bewegt sich auf die sechs Millionen zu. Christa Meves ist eine kraftvolle und eine kraftspendende Stimme im Geistes- und Erziehungsdiskurs der Deutschen geworden.

Jahrelang wurde sie von den Medien totgeschwiegen. Sie paßte nicht in das Klischee von der emanzipierten Frau und ihre Erkenntnisse und Worte entsprachen nicht der "political correctness". Christa Meves sprach von bleibenden Werten, von der Natur des Menschen und sie tat es durchaus wissenschaftlich. Allerdings nicht im Sinn jener politisch korrekten Wissenschaftler, die nur eine, die gerade vorherrschende Denkschule zulassen. Ihr praxisnaher, empirischer Ansatz fand wenig Anklang in der Fachwelt. Ihr wissenschaftliches Hauptbuch ("Die Verhaltensstörungen bei Kindern", Piper, 1971), in dem sie ein Jahrzehnt Forschung und Praxis-Erfahrung verarbeitet hat, erschien, so sagt sie, "zur Unzeit". "Die 68er-Revolte war intellektuell noch nicht verdaut", ihre Theorie wurde, wie sie aus zahllosen Zuschriften weiß, "viel gelesen, wenig zitiert". Ihr fehlt eben der Stallgeruch einer Denkschule.

Dabei ist Meves' wissenschaftlicher Ansatz wahrscheinlich sinnvoller, jedenfalls wirklichkeitsnäher als manches Schubladendenken. Immerhin erhielt sie 1996 den Preis für Wissenschaftliche Publizistik (davor lagen Auszeichnungen wie Prix Amade, Konrad-Adenauer-Preis, Bundesverdienstkreuz erster Klasse, Niedersächsischer Verdienstorden, Preis der Stiftung Abendländische Besinnung und andere mehr). Ihre mit Illies aufgebaute Antriebslehre beschreibt sie in der 1998 bei Ingo Resch erschienenen "Bilanz aus 30 Jahren Fehlentwicklung" so: "Kurzgefaßt besagt sie, daß die wichtigsten Lebensantriebe des Menschen: der Nahrungstrieb, der Bindungstrieb, der Selbstbehauptungstrieb und der Geschlechtstrieb, in der frühen Kindheit bis zum siebten Lebensjahr entwickelt beziehungsweise vorbereitet werden (der Nahrungs- und Bindungstrieb in der Säuglingszeit, der Selbstbehauptungstrieb in der Zwei- bis Fünfjährigkeit, die Vorbereitung der sexuellen Objektwahl in der fünf- bis Siebenjährigkeit). Diese Antriebe bilden die gesunde Lebensbasis des Menschen, auf der er sein eigentliches Spezifikum, sein Menschsein, aufbauen kann ... Fehlpolungen in der Kindheit sind gravierend, weil sie schwer reversibel sind."

Bei den Versuchen, ihren Ruf zu schädigen, war ihren Gegnern, meist feministische Ideologen, jedes Mittel recht, auch die Desinformation. Sie weiß dazu eine Anekdote, über die sie noch heute schmunzelt. "Eines der Gerüchte, die meinen Ruf ruinieren sollten, hieß, ich wolle mich von meinem Mann scheiden lassen. Vor einem Vortrag kam eine Frau empört auf mich zu und rief: ‚Die Autorin des Ehe-Alphabets geschieden, pfui!' Ich mußte darüber lachen und sagte ihr die Wahrheit. Sie jedoch meinte: ‚Ich weiß das aber aus ganz sicherer Quelle.'" Die Autorin des Ehe-Alphabets ist stolz auf ihre Familie. Fast sechs Jahrzehnte führte sie mit dem Augenarzt Dr. med. habil. Harald Meves eine Ehe, und zwar eine glückliche: "Nur er wußte, wie ich bin." Als er Anfang der 90er Jahre plötzlich schwer krank wurde, stellte sie ihre rege Vortragstätigkeit ein und akzeptierte mit heiterer Gelassenheit ihre neue Aufgabe als pflegende Gattin. "Er kann nicht mehr sprechen", sagte sie einmal dem Schreiber dieses Geburtstagsbillets am Telefon, "und ich bin doch die einzige, die ihn ohne Worte versteht." Also blieb sie auch physisch an seiner Seite, ein paar Jahre. Nach einer kurzen Erholung starb er vor nun zwei Jahren. Seither ist sie wieder unterwegs, unermüdlich, unerschrocken. Sie sät weiter auf dem hart gewordenen Acker der deutschen Seelenlandschaft. Noch heute ist ihr ein Publizist, der damals viel Kummer im Herzen trug, dankbar für den einfachen, aber aus ihrem Mund so glaubwürdigen Satz: "Ich kenne keine Eltern, die keine Fehler machen."

Sie habe ihrem Mann viel zu verdanken, sagt sie in ihrer offenen, ehrlichen Art. Er habe sie "immer gefördert, beraten, angeregt und beschützt". Daß sie das Studium (Germanistik, Geographie, Philosophie, Pädagogik und Psychologie) bis zum Examen durchgehalten und dann auch noch die Fachausbildung in Psychotherapie absolviert habe, "ist sein Verdienst. Meine Examensarbeit hat er getippt und er hat mich in einer Weise emanzipiert, wie ich es nie geschafft hätte." Die beiden Töchter haben beide promoviert, "und dann erlebte ich dieses Glück: Daß meine Kinder noch viel entschiedener, bewußter, radikaler als ich damals, die Berufskittel an den Nagel hängten, um ihren Kindern ganze Mütter zu sein." Zum Meves-Haus gehören mittlerweile sechs Enkel.

Für die Familienpolitik der letzten 30 Jahre hat sie wenig Verständnis: "Die Politiker sprechen nur einen Teil im Menschen an, sie sehen nicht seine ganze Lebensperspektive, sie rechnen nicht mit dem Unbewußten, mit der tiefen Sehnsucht nach Idealen." Die Thesen der Kinder- und Jugendpsychotherapeutin haben jetzt eine überraschend klare Bestätigung erfahren. Die Hirnforschung in Amerika und in Europa hat bewiesen, daß gerade in den ersten Lebensjahren tiefgreifende Prägungen im Gehirn des Menschen stattfinden, die den späteren Erwachsenen entweder seelisch gesund, liebes- und arbeitsfähig, oder seelisch geschwächt, depressiv, suchtanfällig und angstverstört werden lassen oder ihn gar gefährden, antisoziales Verhalten bis hin zu Kriminalität zu entwickeln. In einer Erklärung der Yale-University heißt es zum Beispiel: "Der Durchbruch in der Hirnforschung hat deutlich gemacht, daß die ersten drei Lebensjahre für die emotionale und intellektuelle Entwicklung des Menschen weit wichtiger sind, als man jemals gedacht hat. Die Erfahrungen während der ersten Lebenstage, -monate und

-jahre haben einen entscheidenden Einfluß auf die Bildung neuronaler Verknüpfungen im sich entwickelnden Gehirn und zwar für jeden Aspekt des späteren Lebens der Kinder." Solche Thesen hatten praktisch arbeitende Psychotherapeuten wie Christa Meves längst aus den Vorgeschichten ihrer Patienten abgeleitet. Aber sie waren in Deutschland oft nur als "anekdotisch" abgetan worden. Christa Meves hat jetzt ihr Spätwerk diesem Thema gewidmet: "Geheimnis Gehirn" (Resch-Verlag). Aber seltsamerweise werden die Ergebnisse der Hirnforschung in der Politik hierzulande kaum wahrgenommen, vermutlich aus ideologischen Gründen.

Mütter müssen freier erziehen können und deshalb plädiert Meves auch schon seit Jahren für ein Erziehungseinkommen, das es der Mutter erlauben würde, gerade in den ersten Lebensjahren die Entwicklung des Kindes ohne den finanziellen Druck von außen zu begleiten - ganz abgesehen davon, daß es auch für Christa Meves eine Frage der Gerechtigkeit ist, daß diese gesellschaftlich so notwendige Erziehungsleistung der Mütter von der Gesellschaft auch honoriert werden muß. Mittlerweile ist diese Idee auch im politischen Raum angekommen, wird aber vor allem von Feministinnen (auch in der CDU) bekämpft.

Christa Meves setzt auf die "staatstragende Schicht von bewußt christlichen Familien, die sich bereits seit vielen Jahren der neuen Herausforderung mit wachem Verantwortungsbewußtsein stellen". Sie hat einen Verein mitbegründet, der eine umfassende Informationsarbeit leistet (Verantwortung für die Familie e.V., Uelzen) Von solchen Kreisen, glaubt Meves, wird der Wandel kommen. Denn das sei nicht nur eine politische Frage, sondern vor allem eine Frage der inneren Einstellung, der Lebensphilosophie. Es klingt fast wie eine Grunderkenntnis aus einem 80jährigen Leben, wenn sie, die Mitte der 80er Jahre zum Katholizismus konvertierte, sagt: "Zweimal hat sich Deutschland von Gott abgewandt, 1933 und 1968. Die Ergebnisse sind jedes Mal katastrophal, ein zerstörtes Land im ersten Fall, zerstörte Seelen im zweiten." Wieviel kranke Seelen sie geheilt hat, "weiß ich nicht", sagt sie nachdenklich. Das liege wohl auch "nicht allein in unserer Hand". Die Ernte ihrer Arbeit ist noch nicht abzuschätzen. Sie sät immer noch.

 

Fehlpolungen in der Kindheit sind gravierend: Die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Christa Meves (r.) war schon früh davon überzeugt, daß gerade die ersten Lebensjahre die Menschen prägen. Vor allem die Mütter spielen hier eine wichtige Rolle. Sie müssen laut Meves freier erziehen können, und deshalb fordert die zum Katholizismus konvertierte Mitbegründerin des Vereins "Verantwortung für die Familie e.V." ein festes Erziehungseinkommen für die ersten Lebensjahre der Kinder. Fotos (2): Forum Trinkwasser, pa


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