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12.03.05 / "Mensch gewordenes Kunstwerk" / Legendär als Marthe Schwerdtlein in Goethes "Faust" - Zum 100. Geburtstag der Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt

© Preußische Allgemeine Zeitung / 12. März 2005

"Mensch gewordenes Kunstwerk"
Legendär als Marthe Schwerdtlein in Goethes "Faust" - Zum 100. Geburtstag der Schauspielerin Elisabeth Flickenschildt

Höchstpersönlich öffnete sie mir die Tür, als ich im Juli 1976 als damals noch schüchterne Autogrammsammlerin bei ihr in Guderhandviertel im Alten Land klingelte. Und da stand sie: Groß und schlank, riesiges Kopftuch, rötliche Haare, ein langes Gewand - wie man sie von Bildern her kannte. Außerdem diese unvergleichliche Stimme. Ein Eindruck - unvergessen.

Ihre erste Bühnenrolle war 1931 die Armgard im "Wilhelm Tell", eine Bäuerin. Jahre später, Elisabeth Flickenschildt war längst eine der ganz großen Charakterdarstellerinnen, erhielt sie als Mitglied des "Traunsteiner Zuchtverbandes" den Titel "Meisterbäuerin". So kann es gehen in einem Leben, das mit ganzer Leidenschaft ihrem Beruf, dem Landleben und ihren Tieren gehörte.

Als "Kind mit roten Haaren", so der Titel ihrer schmalen Autobiographie, wurde Elisabeth Flickenschildt am 16. März 1905 im Hamburger Vorort Blankenese geboren. Das Theater war in der Familie der Kapitänstochter kein Thema. So nahm es Elisabeth nach ihrem Abitur und einer Lehre als Modistin in einem Modegeschäft selbst in die Hand, den drängenden Wunsch, die Bühnen zu erobern, in die Tat umzusetzen. Ihr Entdecker und Lehrer war der Hamburger Schauspieler Robert Nihl.

Mit dem nötigen Rüstzeug in der Tasche fuhr Elisabeth Flickenschildt 1933 zum Vorsprechen zu Otto Falckenberg an die Münchner Kammerspiele. "Ich fühlte eine so ungeheure Kraft und eine solche Gewalt so plötzlich in mir, daß ich wußte, ich kann weiter nichts tun in diesem Leben, als diese Gewalt jetzt und immer deutlich zu machen", schreibt sie in ihren Erinnerungen. Falckenberg nahm sie unter Vertrag.

1935 wurde auch der Dramaturg und Regisseur Rolf Badenhausen an die berühmte "Sammelstelle" außerordentlicher Talente engagiert. "Flicki hatte ein zweites Gesicht ... Sie konnte diese Kraft in Kunst umsetzen", so ist er in dem Buch "Elisabeth Flickenschildt - Theater ist Leidenschaft" zitiert. Badenhausen wurde im November 1936 ihr Ehemann, blieb auch nach der Scheidung 1944 ein Freund und Bewunderer.

Auf München folgten drei Jahre bei Heinz Hilpert am Deutschen Theater in Berlin. "Wer außer ihm hätte in diesen Jahren das Theater durch alle Schwierigkeiten und bedrohlichen Augenblicke durchbringen können?" so Elisabeth Flickenschildt. "Eine Erfüllung" war für sie jedoch die Arbeit am Preußischen Staatstheater (1939 bis 1944) bei Jürgen Fehling und Gustaf Gründgens. Ihre Feststellung "Nein, dachte ich, ich glaube, den mag ich nicht" sollte sich Gründgens gegenüber schnell ändern. Sie wurde eines "seiner Geschöpfe". "Ihr fühlte er sich zugetan ... Wenn sie mit ihm auf der Bühne stand, fühlte er sich sicherer als sonst", schreibt Curt Riess in seiner Gründgens-Biographie. "Sie war wohl die einzige Schauspielerin, der er erlaubte, ihn selbst zu überspielen."

Die 99jährige Lotte Betke, damals ebenfalls am Staatstheater und Hamburger Deern, beschreibt Flikkis äußere Erscheinung mit den Worten: "Sie gehörte zu diesen Paradiesvögeln, die sich die Hamburger gern aus Amerika mitbrachten. Da war der Jungfernstieg voll davon."

Ihre zahlreichen Filmrollen seit 1936 treten eher in den Hintergrund, mit Ausnahme der Edgar-Wallace-Klassiker. Da hält Elisabeth Flickenschildt beispielsweise in "Das Gasthaus an der Themse" (1962) als dämonisch flüsternde Wirtin einer Hafenspelunke die Fäden in der Hand.

Gründgens blieb auch nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre künstlerische Arbeit bestimmend. 1947 folgte sie seinem Ruf ans Düsseldorfer Schauspielhaus. "Die Proben, die Vorstellungen, der Genuß daran. Nur das. Das war unser Leben, sonst nichts. Das beste Leben, das es gibt." Imo Moszkovicz, damals Assistent von Gründgens, bezeichnet Flicki als "Mensch gewordenes Kunstwerk". Er erwähnt "ihr enormes Stilempfinden, ihre Maßlosigkeit, ihre starke Bühnenpräsenz, schon die Erscheinung war so gewaltig".

In die Düsseldorfer Zeit fällt Elisabeth Flickenschildts längst legendäre Kupplerin Marthe Schwerdtlein im "Faust". Gleich dreimal brillierte sie in dieser Rolle mit Gustaf Gründgens als Mephisto und Regisseur, zuletzt 1957 am Hamburger Schauspielhaus. Immer neugierig auf einen Neuanfang - auch privat - war sie bereits 1955 mit dem Ensemble um Gründgens an das Theater ihrer Heimatstadt gekommen. Hier spielte sie unter anderem die "Mutter Courage" und die Claire Zachanassian in "Der Besuch der alten Dame".

Nach Gründgens' Tod 1963 völlig entwurzelt, trat Verzweiflung und Leere ein. Im Vorwort zu "Theater mit Leidenschaft" schreibt Boy Gobert: "Sie fing an zu tingeln. Gewiß auf einer sehr gehobenen, aber, wie ich dennoch meine, ihrer nicht ganz würdigen Ebene." Mit Gobert als Partner spielte Elisabeth Flickenschildt, die 1965 einen Professorentitel erhielt, am Hamburger Thalia-Theater ihre letzte Rolle, die Volumnia in Shakespeares "Coriolan".

Ihren ersten von insgesamt sechs Bauernhöfen hatte sie zu Beginn der 40er Jahre in Oberbayern gekauft. "Niemand begreift es. Eine Schauspielerin und Kühe", das hat auch ihre Fans immer wieder in Erstaunen versetzt. Alles Geld steckte sie in die Landwirtschaft. Zuletzt lebte sie mit Hündin Belinda auf einem Anwesen in Guderhandviertel bei Stade, wo sie am 26. Oktober 1977 starb.

Ihr geliebter Beruf hatte sie oft bis an die Grenze der Belastbarkeit geführt. Im oberbayerischen Hittenkirchen wurde "die Flickenschildt" unter großer Anteilnahme der Dorfbewohner beigesetzt. Auch Antje Weisgerber, Kollegin und Freundin aus dem Gründgens-Ensemble, erwies ihr die letzte Ehre.

Heute erinnert noch eine Straße in Berlin-Spandau an Elisabeth Flickenschildt. Ein Lokal gegenüber dem Hamburger Ernst-Deutsch-Theater trägt ihren Namen. Leider gedenkt das Fernsehen in Deutschland voraussichtlich in keinem seiner Programme der großen Schauspielerin. Susanne Deuter

Elisabeth Flickenschildt: Theater war ihre Leidenschaft. Foto: Archiv


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