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19.03.05 / Eine Frage der Religion? / Trennung von Kirche und Staat bestimmt die Demokratiefähigkeit eines Volkes

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. März 2005

Eine Frage der Religion?
Trennung von Kirche und Staat bestimmt die Demokratiefähigkeit eines Volkes

Die Verfassung, die wir haben, heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist." Diese rund 2.400 Jahre alte Definition von Demokratie stammt von dem bedeutendsten Geschichtsschreiber der Antike, dem Griechen Thukydides, und leitet die Präambel des Vertrags über eine Europäische Verfassung ein. Sie ist in ihrer einfachen Form unübertroffen, hat die Zeiten überdauert und gilt sozusagen auch heute. Allerdings nicht für die Mehrheit der Menschheit. Nur knapp drei Dutzend Staaten der Welt könnten von sich sagen, daß das Ideal der Demokratie in ihnen wenigstens halbwegs verwirklicht sei, bei den anderen haben wir es zu tun mit Des-potien, Diktaturen oder Scheindemokratien. Ändert sich das? Liegt die Welt in den Wehen der Freiheit und Demokratie? Dieser Eindruck mag aufkommen, wenn man die Bilder aus Beirut oder morgen vielleicht aus Moldawien sieht und sich an die Bilder aus Kiew, Belgrad oder Tiflis erinnert.

Fahnen schwenken, das Orange der Ukrainer gestern und das Weiß-Rot der Libanesen heute bewegen Gemüter. Eine neue Macht bricht sich Bahn. Völker erheben sich, die Straße wird zum Schauplatz der Politik. Geht der Virus der Demokratie durch die Welt? Es kann schon sein, daß manche Völker das Joch der Diktatur abwerfen wollen. Die Mehrheit der Libanesen will die syrischen Besatzer aus dem Land haben, die Ukrainer, Serben und Georgier wollten die alte Nomenklatura verdrängen und selbst über ihr Schicksal bestimmen. Aber gilt das auch für die Iraker, die Iraner, die Syrer und Saudis? Welche Völker sind demokratiefähig?

Es gibt einen markanten Unterschied, der auf den Fahnen und Straßen der Demonstranten nicht so ohne weiteres sichtbar ist. Georgier, Ukrainer und Serben sind alte christliche Völker. In ihren Köpfen ist die Trennung zwischen Religion und Staat vollzogen. Auch bei den national denkenden Libanesen ist das der Fall, auch sie sind mehrheitlich Christen. Diese Trennung aber ist grundlegend für die Demokratie. Denn sie bedeutet de facto Freiheit des Glaubens und Gewissens. Schon Tertullian, der erste lateinisch schreibende christliche Autor, schrieb im dritten Jahrhundert: "Es verstößt gegen den religiösen Geist, eine Religion aufzuzwingen." Die Trennung von Kirche und Staat und die Gewaltenteilung sind in der politischen Kultur Europas zuhause und sie machen die Fundamente der Demokratie aus. Denn es geht nicht nur um die Herrschaft der Mehrheit, sondern auch um die Bewahrung und den Schutz der individuellen Freiheit. Die Balance der Gewalten und Mächte war schon bei den Griechen ein Thema, die Trennung von weltlicher und geistlicher Gewalt ist eine Errungenschaft des Christentums. Islamisch geprägte Länder kennen diese Trennung nicht - vom Sonderfall Türkei einmal abgesehen und selbst jenseits des Bosporus sind Anzeichen für eine Schwächung demokratischer Elemente zu beobachten.

Was in Belgrad, Tiflis, Kiew gelang - vermutlich mit finanzieller, ideeller und logistischer Hilfe aus Amerika - das muß im Nahen und Mittleren Osten nicht ebenso von Erfolg gekrönt sein. Der Virus der Demokratie wirkt in den Köpfen, er braucht eine ideelle Grundlage. Die fehlt bei islamischen Völkern. Dennoch ist der Versuch der Amerikaner, die unruhige Zone des Halbmonds von Rabat bis Taschkent zu demokratisieren, nicht von vornherein zu verurteilen. Er kann hier und da zu einem Umdenken führen, insbesondere da, wo Muslime in Koexistenz mit anderen Religionen leben oder wo der Islam durch andere historische Einflüsse in seiner Wirkmacht beeinflußt worden ist und das Menschenbild sich nicht allein am Koran und der Scharia orientiert. Der Versuch ist jedenfalls besser als gar nichts zu tun und die radikalen Islamisten weiter Boden gewinnen zu lassen.

Natürlich braucht auch die Demokratie ein Wertegerüst, ethische Orientierungsmaßstäbe, sonst zerstört sie sich selbst, wie Platon schon wußte und Montesquieu im Buch 8 "vom Geist der Gesetze" so formulierte: "Das Prinzip der Demokratie wird nicht nur korrumpiert, wenn man den Geist der Gleichheit verliert, sondern auch, wenn man einen extremen Geist der Gleichheit übernimmt." Dieser Maßstab sind die Menschenrechte. In ihnen kommt auch die Verantwortung vor Gott als dem Schöpfer und somit auch letzten Garanten dieser Rechte zum Tragen. Aus dieser Verantwortung folgern manche, daß die Demokratie entstand, als Gott den Menschen das Gesetz in Form der zehn Gebote gab. Gebote und Moral schaffen Schuld, alle Macht geht vom Gesetze aus. Und vor dem Gesetz sollen alle gleich sein. Das ist ein interessanter Gedanke, in seiner Stringenz dem Islam nicht unähnlich. Aber der Mensch ist mehr als eine Gesetzeserfüllungsmaschine. Es gibt die conditio humana, die jeweils anderen Umstände des einzelnen Menschen, die die Freiheit beschränken und somit die Verantwortung auch. Auch der Islam übersieht die persönliche Beziehung zu Gott und den Menschen. Im Individuum und seiner Freiheit, die letzte Wahrheit zu suchen und einen persönlichen Zugang zu ihr zu finden, liegt der Qualitätskern der Demokratie. Diese Freiheit stellt der Koran nicht in Aussicht. Er kennt auch die Trennung von Staat und Religion nicht. Ohne diesen Qualitätskern läuft die Demokratie in die Falle der Gleichheit und der Gleichmacherei. Das erleben wir auch in Europa, zum Beispiel hierzulande mit dem Antidiskriminierungsgesetz. Insofern ist die Demokratie wie die Nation ein dynamischer Prozeß, ein "tägliches Plebiszit" (Ernest Renan). Aber jedes Plebiszit braucht ein Gesicht. Was dem Volk in Beirut im Unterschied zu Kiew und Tiflis fehlt, ist noch ein Held, eine Galionsfigur, die den Freiheitskampf verkörpert. Der Druse Dschumblat versteckt sich in seinem Haus und die Figur, die auch die Statur zum Helden hätte, der Christenführer Dschadscha, wird seit Jahren zu Unrecht im syrischen Kerker gefangen gehalten. Er ist ungebrochen und könnte im Libanon die Fackel der Freiheit und der Demokratie entzünden. Wie weit sie leuchten könnte, bleibt freilich eine offene Frage. Aber der Virus der Demokratie verwandelt sich in ein Antibiotikum gegen die Diktatur und deshalb ist jedes Land, das für die Demokratie gewonnen werden kann, ein Gewinn für den Frieden in der Welt. J. Liminski

 Nur ein schönes Foto: Frauen dürfen in Saudi-Arabien kaum auf die Straße, geschweige denn wählen. Foto: Reuters


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