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19.03.05 / Eine Rose für eine Dame

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. März 2005

Eine Rose für eine Dame
von Renate Dopatka

Verschwitzt und ein wenig außer Atem steckte Oliver den Zündschlüssel ins Schloß. Über Bewegungsmangel hatte man als Zivi wahrlich nicht zu klagen! Unzählige Fenster und Treppenflure hatte er heute schon geputzt, und das war beileibe nicht das Ende der Fahnenstange!

Die Liste auf dem Armaturenbrett verriet, daß er noch drei Fahrten vor sich hatte. Eine davon führte zu einer pensionierten Studienrätin. Bei ihr kam der Mobile Soziale Hilfsdienst der Kirche lediglich alle 14 Tage zum Einsatz, immer dann, wenn die Reinigung des Treppenhauses auf dem Programm stand.

Oliver mochte die alte Dame gut leiden, obwohl oder vielleicht gerade weil sie schwieriger zu "handhaben" war als sein übrige "Kundschaft". Ein Schwätzchen in der Küche oder gar ein Täßchen Kaffee zum Aufmuntern durfte man von ihr nicht erwarten! Höflich, aber reserviert, ja distanziert, so zeigte sie sich bei jedem seiner Besuche. Sie wirkte so verschlossen, so in sich gekehrt, daß er manchmal den Wunsch hatte, ihr irgend etwas Nettes zu sagen, nur um sie ein wenig zum Lächeln zu bringen.

Sie erinnerte ihn sehr an seine eigene Großmutter. Beide besaßen sie diese schönen tiefbraunen Augen, die so viel Ernst und Empfindsamkeit widerspiegelten. Augen, die mehr dunkle als helle Tage gesehen haben mußten und deren Blick sich sofort verhüllte, sobald jemand versuchte, diesen zu enträtseln. Belustigt strich sich Oliver das feuchte Haar aus der Stirn. Wenn er hier noch länger im Auto saß und über das Seelenleben seiner "Klienten" philosophierte, würde er heute gar nicht mehr fertig werden.

Gerade, als er die Liste wieder aufs Armaturenbrett zurücklegen wollte, blieb sein Blick an den persönlichen Daten der alten Dame hängen. Tatsächlich - vor zwei Tagen hatte sie Geburtstag gefeiert, den 75., wenn er richtig rechnete!

Die Idee kam ihm ganz plötzlich. Nur einen Moment lang fragte sich Oliver, ob das, was er jetzt vorhatte, auch wirklich richtig war - dann drehte er entschlossen den Zündschlüssel um.

In der Hand eine langstielige gelbe Rose, deren Knospe sich erst zu öffnen begann - so stand Oliver eine halbe Stunde später vor der alten Frau. Er gratulierte nachträglich zum Geburtstag, überreichte die Blume - und wartete. Wartete darauf, daß nun ein Leuchten über ihr Gesicht ging oder sie zumindest warme Worte des Dankes fand. Aber die Frau blieb stumm. Stocksteif stand sie da und starrte, fast abwehrend, auf die Rose in ihrer Hand.

Plötzlich fühlte er sich äußerst unbehaglich in seiner Haut. Hastig ergriff er die bereitgestellten Putz-utensilien und flüchtete sich ins Treppenhaus. Als er mit der Arbeit fertig war, schien sich die Frau gefangen zu haben. Höflich wie immer, dankte sie ihm für seine Hilfe. Ihr Gesicht zeigte den gewohnten Ausdruck, doch die geröteten Augen verrieten ihm, daß sie geweint haben mußte. Nach diesem Fehlschlag hoffte Oliver inständig, daß beim nächsten Mal nicht er, sondern einer der anderen Zivis zu der alten Dame beordert wurde.

Als er zwei Wochen später, wie jeden Morgen, im Büro der Gemeindeschwester vorbeischaute, um seine Einsatzliste für den Tag in Empfang zu nehmen, mußte er jedoch feststellen, daß es wiederum ihn getroffen hatte! Nun, vielleicht war inzwischen ja Gras über die Sache gewachsen und die Frau brachte ihn gar nicht mehr mit jener unglückseligen Rose in Verbindung. Daß sein Geschenk keineswegs in Vergessenheit geraten war, wurde Oliver spätestens in dem Moment bewußt, da ihn die Studienrätin mit leuchtenden Augen ins Wohnzimmer bat: "Was sagen Sie dazu - zwei Wochen und die Rose blüht noch immer!"

Verdutzt starrte Oliver auf die kleine Porzellanvase, in der seine jetzt voll erblühte gelbe Rose prangte. "Das ist ja komisch, bei uns zu Hause halten sie nie so lange ..." - "Nicht wahr? Ich habe so etwas auch noch nicht erlebt. Bisher haben alle meine Schnittblumen spätestens nach einer Woche die Köpfe hängen lassen." Die alte Frau blick-te ihn an, und langsam glitt ein Lächeln über ihr Gesicht. Ein sehr verwundbares Lächeln, das aber eine aus tiefem Herzen kommende, zittrige Freude widerspiegelte. "Es ist ein ganz besonderes Geschenk, finden Sie nicht auch?" - "Das sollte es auch sein", erwiderte Oliver leise und war plötzlich so frohgestimmt wie schon seit langem nicht.


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