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19.03.05 / Sonntagmorgen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 19. März 2005

Sonntagmorgen
von Gabriele Lins

Inka trat auf die Straße. Die Kirchenglocken läuteten noch nicht. Es war noch Zeit bis zum Beginn der Messe. Sie wollte noch ein wenig bummeln und die Frühjahrssonne genießen.

Aus dem Haus gegenüber kam eine junge Nachbarin. Renates vier kleine Jungen purzelten hinter ihr aus der Türöffnung und erfüllten die morgenstille Straße mit vergnügtem Geschrei. Lächelnd grüßte Inka hinüber.

Marga, ihre Freundin, kam die Straße heruntergestöckelt. "Tag, kommst du mit zur Kirche?" Inka nickte. Marga übersah Renate, doch die wandte sich freundlich an beide Mädchen: "Ich gehe jetzt zu meiner Mutter. Die ist plötzlich krank geworden. Schlimm für mich, denn nun habe ich noch mehr Arbeit." Zornig schüttelte sie zwei ihrer "Kampfhähne", die sich in den Haaren lagen. Entschuldigend wandte sie sich wieder an die Mädchen: "Manchmal gehen einem die Nerven durch. Vier kleine Kinder und kein Mann ..."

Marga lachte spöttisch, aber Inka lächelte der jungen Mutter tröstend zu. "Hoffentlich wird deine Mutter bald wieder gesund."

"Ich wette, die weiß nicht mal, welches Balg von welchem Kerl ist", kicherte Marga. Die beiden gingen in Richtung Kirche.

Das Hochamt war zu Ende. Der Kirchplatz leerte sich rasch. Die Freundinnen blieben stehen, um noch etwas zu schwatzen. Margas heller Mantel war nach der neuesten Mode genäht. Vor einiger Zeit noch war Inka neidisch auf die Freundin gewesen, weil ihre Eltern so betucht waren, aber heute fühlte sie nur leises Bedauern für sie, denn ihre Oberflächlichkeit stieß sie immer mehr ab.

Über den Platz humpelte ein Mann, trug schwer an einem großen Korb. Er stolperte, dabei rutschte ihm der Korb aus den Händen. Kartoffeln kullerten über das Pflaster. Marga kicherte abfällig. Inka bückte sich nach den verstreut da liegenden Kartoffeln. "Hilf doch mal mit!" rief sie der Freundin ärgerlich zu. Die stand lässig da in ihrem schikken Studiomodell und grinste. Inka warf die letzte Kartoffel in den Korb. "Haben Sie's noch weit?" Der Alte roch stark nach Schnaps. Er nahm den Korb und humpelte ohne sich zu bedanken davon.

Marga wandte sich zum Gehen. "Für so einen Schnapsbruder mache ich mir doch die Hände nicht drekkig. Also, mach's gut, Inka! Bis bald mal." Mit der will ich nichts mehr zu tun haben, dachte Inka und wischte sich wütend die Hände an einem Tempotuch ab, da kommt sie gerade aus der Kirche, hat gebetet und gesungen und zeigt dann so einen Egoismus.

Eine Glocke schlug an, hell; eine zweite antwortete, dunkler; die dritte dumpf. Das Brausen der Glocken läutete die letzte Messe ein. Inka schaute nach oben in den klarblauen Himmel, über den die ersten Schwalben flitzten. Neue Kirchgänger strömten herbei. Da war Frau Schöler, die immer so unmöglich gekleidet war. Ihr folgte Herr Pollenboom, der sich eines kerzengeraden Ganges befleißigte. Er knickte jedes Mal, wenn er Inka sah, zur Begrüßung den Rücken ein wie ein Zollstock.

Sie kannte viele von denen, die an ihr vorbeigingen, zum Beispiel die Nachbarin Frau Piepenbrink, die kein gutes Haar an anderen Leuten ließ, aber für den Herrn Pastor jeden Samstag einen Kuchen backte - und die kleine Mutter Grabbe, die noch nach 15 Jahren am Grab ihres Mannes heulte. Als letzter hinkte Tommi heran, der Neunjährige, der an einer seltenen Krankheit litt. Trotz seiner Hinfälligkeit lachte Tommi Inka fröhlich zu. Durch das abnehmende Glockengeläute klang eine verwischte Orgelmelodie. Inka hob ein weggeworfenes Brötchen auf und warf es dem struppigen Köter hin, der sie aus hungrigen Augen angesehen hatte und jetzt begeistert wedelte.

Endlich wandte sich das junge Mädchen zum Gehen. Ein letzter Blick zu dem riesigen Kreuz über dem Kirchenportal. Du leidest immer noch, auch heute, sagte Inka zum Gekreuzigten und hörte plötzlich eine Stimme tief in ihrem Inneren: "Kommt alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!"

Getröstet sog Inka die frische Frühlingsluft tief in sich ein. Es gab nichts mehr zu sagen.

Frauenburger Dom: Gläubige und Touristen besuchen das Gotteshaus und finden dort vielleicht zu Ruhe und Besinnung. Foto Archiv


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