© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. März 2005

Ein Gruß
Begegnung in der Bahn

Es war um die Mittagszeit. Die S-Bahn war noch nicht voll besetzt um diese Tageszeit, und so suchte sich der alte Mann einen Platz, von dem aus er alles überblicken konnte. Mit der Linken hielt er eine Bierdose fest umklammert, aus der er ab und an einen kräftigen Schluck nahm. Der Geruch des Gerstensafts hing wie eine Wolke über ihm. Kein Wunder also, daß kein anderer Fahrgast die Nähe des alten Mannes suchte. Hinzu kam, daß er schmuddelig wirkte und nicht gerade vertrauenerweckend aussah. Schaute man jedoch genauer hin, dann sah man blitzend blaue Augen in einem wettergegerbten Gesicht, sah Hände, die nicht nur Bierdosen gehalten haben mochten, sondern von harter Arbeit geprägt waren, sah einen gebeugten Rücken, niedergedrückt von einer Last, die ihm zu schwer zu werden schien. Jedesmal aber, wenn ein Fahrgast aussteigen wollte, dann richtete er sich auf, blickte dem anderern hinterher und sandte ihm einen fröhlichen Gruß nach: "Einen schönen Tag wünsche ich ..." Viele der so Angesprochenen reagierten überhaupt nicht, manche schauten nur verächtlich in die Richtung, aus der dieser wohlgemeinte Wunsch kam. Was kostet es, einen solchen Gruß zu erwidern? Einen schönen Tag noch - ob der Alte ihn selbst auch gehabt hat? SiS