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26.03.05 / Der Beginn einer entsetzlichen Leidenszeit / Unter dem Druck der 2. Weißrussischen Front gaben die Reste der 2. Armee vor 60 Jahren die Verteidigung der Hansestadt Danzig auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / 26. März 2005

Der Beginn einer entsetzlichen Leidenszeit
Unter dem Druck der 2. Weißrussischen Front gaben die Reste der 2. Armee vor 60 Jahren die Verteidigung der Hansestadt Danzig auf

Im Januar 1945 begann die lange erwartete Offensive der Sowjets an der Weichselfront. Als Endziel hatten sich die Russen Berlin gesetzt, das sie unbedingt vor den Westmächten erreichen wollten. Ihr Hauptstoß zielte durch Pommern an die Oder bei Küstrin. Bereits Ende Februar rollten die Panzer der Roten Armee in Richtung Stettin an die Ostsee vor. Damit war ab dem 1. März die Landverbindung zum Reich für alle nordöstlich stehenden deutschen Divisionen unterbrochen und den endlosen Flüchtlingstrecks, welche die Russen vor sich hertrieben, blieb, wenn überhaupt, nur noch die Flucht übers Meer.

Fast gleichzeitig griff der sowjetische Armeeführer Rokossowski, ein gebürtiger Pole, das Gebiet um die Danziger Bucht an. Der äußere Verteidigungsring um die zur Festung erklärten Städte Danzig und Gotenhafen (Gdingen) reichte vom Fuße der Halbinsel Hela über die den beiden Städten vorgelagerten Höhen bis zum Frischen Haff südlich von Stutthof. Der Flüchtlingsstrom, der aus allen Himmelsrichtungen in den Raum um die Danziger Bucht geschwemmt worden war, ließ sich kaum übersehen. Immer noch kamen Flüchtende, aber auch zurück-

gehende Kampfverbände, über den einzigen noch freien Weg der Frischen Nehrung, ansonsten war der Belagerungsring geschlossen. In diesem engumgrenzten Gebiet hielten sich mindestens eineinhalb Millionen Menschen auf, dazu Verwundete aus Kurland, Ostpreußen und dem eigenen Kampfbereich, deren Zahl mit zirka 100.000 angegeben wird.

Verteidigt wurde der Festungsbereich von der 2. Armee der Heeresgruppe Nord. Am 12. März hatte der General der Panzertruppen Dietrich von Saucken den Oberbefehl über die in pausenlosen Kämpfen zusammengeschmolzenen Divisionen der 2. Armee übernommen. General v. Saucken entstammte einer Familie des prußischen Uradels. Geboren 1892 in der ostpreußischen Kreisstadt Fischhausen, am Nordende des Frischen Haffs, hatte der in zwei Kriegen zwölfmal verwundete v. Saucken zuvor das Panzerkorps "Großdeutschland" geführt. Er wurde für seine vorbildliche Haltung mit dem Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet.

Zur Verstärkung der Verteidiger des Festungsbereichs trafen per Schiff, von der Kurlandfront kommend, die 4. Panzerdivision und die 32. Infanteriedivision ein. Die Truppenzahl im Kessel war ausreichend, was fehlte, waren schwere Waffen, Munition und vor allem Sprit für die noch verbliebenen wenigen Sturmgeschütze und Panzerwagen. Erschwerend kam das Fehlen der Luftwaffe hinzu. Die militärische Stärke des Feindes hatte überhand genommen, die Russen schöpften aus dem vollen. Unübersehbare Mengen an Kriegsmaterial hatten die USA ihrem Verbündeten geliefert. Über die Aussichten des Kampfes im Verteidigungsbereich gab es keine Illusionen, es mußte solange Widerstand geleistet werden, bis die gefährdete Zivilbevölkerung gerettet war. Die Disziplin waren unbedingt einzuhalten, wo dies nicht der Fall war, griff die Feldgendarmerie unnachsichtig ein.

Stetig drückte der Russe die schwachen deutschen Frontlinien näher an die Ostseeküste heran. Am 9. März standen seine Panzerspitzen vor Quaschin, am 11. März konnte er Putzig besetzen. Die Halbinsel Hela, durch einen riesigen Panzergraben geschützt, sollte unter allen Umständen gehalten werden, denn von Hela gingen die letzten Flüchtlingstransporte nach dem Westen.

In den engen Gassen Danzigs stauten sich die pferdebespannten Flüchtlingswagen. Seit Wochen auf der Flucht, suchten die Menschen in den überfüllten Häusern und Lagern Schutz vor der Kälte. Freiwillige Helferinnen der Volkswohlfahrt und des BdM verteilten Lebensmittel und heiße Getränke. Bei Tage drängte alles hinaus zu den Anlegestellen der Schiffe, es blieb nur noch diese einzige Rettungsmöglichkeit, die Flucht über See. Zu den ständigen Luftangriffen kam ein täglich sich steigernder Artilleriebeschuß. Die ausgedehnten Flächenbrände fanden in der verwinkelten Altstadt reiche Nahrung, sie machten ein Löschen fast unmöglich. Dicke Rauchschwaden füllten die durch Schuttmassen schier unpassierbaren Straßen. Aus Lautsprechern ertönte immer wieder die Aufforderung zur Kapitulation, verbunden mit der Drohung: "Tod den Okkupanten". In Kellern und Ruinen der einstmals so stolzen Hansestadt warteten die verzweifelten Reste der Einwohnerschaft auf das Ende. Es waren fast nur Frauen mit Kindern und Alte, denen die Schreckensmeldungen vom Untergang der "Wilhelm Gustloff" jeden Mut zur Rettung über See genommen hatte.

Als der Feind die westlichen Randhöhen Danzigs erreicht hatte, lag das Festungsgebiet wie auf dem Präsentierteller vor ihm. Zoppot und Gotenhafen mußten aufgegeben werden. In der Nacht setzten die letzten vollbesetzten Marinefahrzeuge nach Hela über. Den deutschen Soldaten war bei aller Tapferkeit nur noch ein zurückweichender Widerstand möglich. Durch die brennende Langgasse, der einstmals prachtvollen "Via Triumphalis", den Langen Markt Richtung Heubuder Strand, verließen die Reste der 2. Armee Danzig. Deutsche Pioniere hatten befehlsgemäß die Weichseldämme durchstoßen und damit eine letzte Verteidigungsstellung geschaffen. Das tiefer als der Ostseespiegel gelegene Gebiet zwischen Mottlau und Toter Weichsel füllte sich rasch mit Wasser und bildete nach Süden eine natürliche Barriere. Der etwa drei Kilometer breite Landstreifen, direkt am Ostseestrand, zwischen den Ortschaften Heubude, Neufähr, Bohnsack und Schiewenhorst, reichte bei einer Länge von ungefähr 15 Kilometern bis zur eigentlichen Weichselmündung bei Schiewenhorst / Nickelswalde. Dieses Stückchen Erde blieb noch sechs Wochen lang, bis zur Kapitulation, in deutscher Hand. Dort sammelten sich Zehntausende von Soldaten nebst Flüchtlingen, die nicht den Bolschewisten in die Hände fallen wollten. Ein stetiger Pendelverkehr nach Hela, mit kleinsten Schiffseinheiten, sorgte für den Abfluß der auf engstem Raum angesammelten Menschenmassen. Die Russen begnügten sich mit einzelnen Artillerie-Überfällen und Fliegerbeschuß. Sie hatten die Mehrzahl ihrer Truppen bereits abgezogen für den Marsch auf Berlin.

In das Menschengewimmel der letzten Zuflucht der Belagerten kam langsam Ordnung hinein. Eingeteilt in Hunderter-Blocks und namentlich registriert, wurde die Reihenfolge des Abtransportes aus dem "Heubude-Schiewenhorster Reduit" festgelegt. Am flachen Ufer hatten Pioniere Landungsstege gebaut, Marine-Fähren brachten die Flüchtlinge und Verwundeten über die Danziger Bucht zu den auf Reede Hela ankernden großen Schiffen. Etwa zehn Kilometer vom Ufer entfernt kreuzten drei deutsche Kriegsschiffe: Der Schwere Kreuzer "Prinz Eugen", das Linienschiff "Schlesien" und der Leichte Kreuzer "Leipzig". Mit ihrer wenigen Munition unterstützten sie die deutschen Truppen, wo immer die Landfront in Not war. Ihre Anwesenheit gab den Belagerten ein wenig moralischen Halt. Was die Kriegsmarine an Hilfeleistung und Opfern für die ostdeutsche Bevölkerung erbracht hat, wird für immer ein Ruhmesblatt bleiben. Nahezu drei Millionen Menschen aus den deutschen Ostseeprovinzen sind in einem Zeitraum von 115 Tagen, unter schwersten Bedingungen, gerettet worden. Untrennbar mit der Rettung über See ist der Name des Großadmirals Karl Dönitz verbunden, der alles getan hat, um die Rettungsaktion zu ermöglichen.

Bis zum 8. Mai gelang es, unter Anspannung aller Kräfte, fast alle Flüchtlinge, sowohl aus dem Weichselküstenstreifen als auch von der Halbinsel Hela, nach dem Westen zu bringen. Am Tag der bedingungslosen militärischen Kapitulation, am 9. Mai 1945, mußten alle Schiffe Hela verlassen haben. Die Soldaten der 2. Armee, die bis zum bitteren Ende ihre Pflicht getan hatten, konnten nicht mehr abtransportiert werden, es kamen keine Schiffe mehr. General v. Saucken mußte mit seinen Soldaten den leidvollen Weg in die russische Gefangenschaft antreten, aus der er erst 1955 zurückkehrte.

In den frühen Morgenstunden des 28. März rückten russische Truppen in die Stadt Danzig ein. Die vorgesehene Sprengung der Hafenanlagen konnte aus Mangel an Sprengmitteln nicht mehr durchgeführt werden, einige halbfertige Unterseeboote, die aber nicht schwimmfähig waren, fielen den Sowjets in die Hände. Für die verängstigte Bevölkerung begann eine entsetzliche Leidenszeit. Eine polnische Miliz verjagte die verbliebenen Danziger aus den noch unbeschädigten Häusern, sammelte sie in Lagern und zwang sie zu härtester Fronarbeit. Ohne Verpflegungszuteilung und ohne ärztliche Versorgung mußten die Unglücklichen die Schuttmassen der zerstörten Stadt wegräumen. Nach einigen Monaten folgte dann die völkerrechtswidrige Vertreibung aus der angestammten Heimat. Rüdiger Ruhnau

Vor 60 Jahren erbittert umkämpft: Die Ostseeküste an der Danziger Bucht Karte: Ruhnau


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