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02.04.05 / Poet mit unverwechselbarem Stil / Zum 200. Geburtstag des dänischen Dichters Hans Christian Andersen 

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. April 2005

Poet mit unverwechselbarem Stil
Zum 200. Geburtstag des dänischen Dichters Hans Christian Andersen 
von Ruth Geede

Es war einmal ein kleiner armer Junge, der in einem kleinen armen Haus lebte. Niemand wollte mit ihm spielen, denn er war groß, dünn und häßlich, so spielte er lieber allein mit dem Puppentheater, das sein Vater für ihn gebastelt hatte. Er schuf sich mit seinen erdachten Theaterstücken eine schöne, bunte Märchenwelt. Und er glaubte, daß diese auch wirklich zu finden sei und deshalb wollte er berühmt werden, um sie zu erobern. Aber überall, wo er hinkam, wurde er zurückgewiesen, bis er Menschen fand, die seine Begabung erkannten. Aus dem kleinen Jungen mit der großen Phantasie wurde ein weltberühmter Dichter, dem sich Fürstenhöfe und Königsschlösser öffneten. Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute. Gestorben ist er zwar vor 130 Jahren, und doch lebt er noch weiter in seinen Märchen und Geschichten, der große Däne Hans Christian Andersen, dessen 200. Geburtstag in diesem Jahr gefeiert wird. Nicht nur in seinem Heimatland Dänemark, das sogar das Kronprinzenpaar als Andersen-Botschafter in alle Welt sendet. Auch in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker. Die auch einen maßgeblichen Einfluß auf sein Schaffen hatten.

Ein wenig klingt dieser kurze Lebensabriß wie die Variante eines seiner bekanntesten Märchen, das vom häßlichen Entlein, aus dem ein stolzer Schwan wurde. Das stimmt nur bedingt, genau wie die Vergleiche mit dem Tölpel-Hans und dem kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern. Aber der dänische Dichter hat schon viel Biographisches in seine Märchen mit eingebracht. Doch sie sind keine Märchen im eigentlichen Sinne, man könnte sie als

Parabeln bezeichnen, die das breitgefächerte Facettenspiel der Beweggründe des Menschlichen-Allzumenschlichen aufzeigen und deshalb weit über Raum und Zeit erhaben sind. Sie zeichnen sich durch eine - auch heute noch - modern anmutende Diktion und den nicht immer leicht zu erfassenden Humor der Dänen mit dem Hang zum Sarkasmus und zur Selbstironie aus. Manchmal sind sie erst verständlich, wenn man kein Kind mehr ist.

So erging es jedenfalls mir, denn sie zählten in meiner Kindheit durchaus nicht zu meinen Lieblingsmärchen. Das waren aber auch nicht die Volksmärchen der Gebrüder Grimm, auch nicht die Kunstmärchen von Hauff oder Tieck, die ich zwar gern hörte, aber geliebt und immer wieder gefordert waren die Märchen aus dem Familienschatz meiner Mutter. Hinzu kam, daß meine Mutter Märchen zu erzählen pflegte, die von Andersen aber vorlas. Sie hatte wohl erkannt, daß sie nur in der einzigartigen Erzählweise des Dichters, in seinen unnachahmlichen Dialogen, seinen treffsicheren Bemerkungen, seinem ironischen Aufdecken der menschlichen Schwächen vorzutragen waren.

Nein, ich begriff damals vieles nicht. Warum bloß bekam die Prinzessin blaue Flecke, nur weil unter 20 Matratzen und 20 Daunendecken eine Erbse lag? Meine Erbsenprobe - eine gelbe unter einer Matratze - zeigte keine Wirkungen. Immerhin war meine ungekocht - von Silke Osman hörte ich, daß sie den Test mit einer gekochten Erbse durchgeführt hatte, was nicht gerade auf mütterliches Verständnis stieß! Überhaupt die Prinzessinnen! Daß eine so dämlich war wie die Kaisertochter, die lieber einen Schweinehirten küßte als einen echten Prinzen - nein, da war mir Dornröschen doch lieber! Däumelinchen - ja, das mochte ich, aber mit der Schneekönigin kam ich gar nicht zurecht, das Märchen vom kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzchen war so furchtbar traurig, und des "Kaisers neue Kleider", das war zwar lustig, aber ein Kaiser in Unterhosen war doch sehr genierlich. So hatte ich eben als Kind meine Probleme mit den Märchen von Hans Christian Andersen, weil ich ihren wahren Sinn nicht erkennen konnte.

Noch nicht erkennen! Denn als ich, längst erwachsen, in Dänemark seinen Spuren nachging, die bis heute nicht verweht sind, da erschloß sich mir die Märchenwelt des Hans Christian Andersen in ihrer ganzen Fülle und Tiefe. Ich habe sein winziges Geburtshaus in Odense auf Fünen besucht, heute Andersen-Museum, in dem seine bescheidene Kindheit und Jugend so liebevoll erhalten blieb, und das er mit 14 Jahren verließ, um im großen Kopenhagen als Schauspieler berühmt zu werden. Das gelang ihm zwar nicht, aber er fand einen Gönner, der ihm den Besuch der Lateinschule bis zur Reifeprüfung ermöglichte, und sogar königliche Unterstützung. Und dann begann er zu schreiben. "Das sterbende Kind" war seine erste Arbeit, es folgte eine humoristische Erzählung.

Die unglückliche Liebe zu der Kaufmannstochter Riborg Voigt in Faaborg ließ ihn zum Lyriker werden, diese frühen Gedichte gehören zum Schönsten der dänischen Literatur. Er begab sich auf Reisen, zuerst nach Deutschland, wo er Chamisso begegnete. E. T. A. Hoffmanns Erzählkunst in Verbindung mit den Volksmärchen der Gebrüder Grimm wurden zu Vorbildern seiner frühen Märchendichtung, mit der er erst als Dreißiger an die Öffentlichkeit trat. Sie war für ihn nur Nebensache - Andersen wollte Romane schreiben, schrieb sie auch wie Dramen und Lustspiele, aber es waren seine Märchen, die ihm zum Dichterruhm verhalfen.

Es dauerte lange, bis er begriffen hatte, daß diese Dichtung ihn über die Poeten seiner Zeit hinaushob, vor allem, seit er seinen eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden hatte. Dann aber genoß er es, berühmt zu sein, wie er es sich als "häßliches Entlein" vorgenommen hatte. Äußerlich wurde er zwar nie ein stolzer Schwan - der deutsche Dichter Hebbel bezeichnete ihn als "lange, schlottrige, eingeknickte Gestalt mit einem ausnehmend häßlichen Gesicht" - aber er wurde bewundert und verehrt, man lauschte auf den dänischen Schlössern dankbar seinen Worten.

Der Dichter erlebte intensiv die Atmosphäre der alten Adelshäuser, die für ihn zur Inspirationsquelle seines Künstlertums wurden. Er konnte sich in der Gunst, ja der Liebe der königlichen Familie sonnen und wurde mit Titeln und Orden überhäuft. Auch nach seinem Tod am 4. August 1875 in Kopenhagen: Seine "kleine Seejungfrau" wurde als Bronzefigur zu einer der Merkmale der dänischen Metropole. Diese läßt sich das Gedenkjahr etwas kosten: 30 Millionen Euro werden die fünf Monate lang dauernden Festlichkeiten die Stadt kosten.

Obgleich Andersen seine Heimat über alles liebte, genoß der unverheiratete Poet die vielen Auslandsreisen, vor allem nach Deutschland, wo er gerngesehener Gast am Hof des Großherzogs Karl Alexander von Sachsen-Weimar war, der in ihm den "neuen Goethe" zu sehen glaubte. Die Deutschen liebten seine Märchen. Schon 1839 erschien die erste Ausgabe in deutscher Sprache. Noch fast mehr als von der dänischen Urfassung eroberten sie von hier aus die Welt - über 150 Märchen hat Andersen geschrieben.

Seine Reiselust trieb ihn durch ganz Europa, "Reisen ist Leben" war sein Lieblingsspruch. Er begegnete den großen Literaten seiner Zeit: Heine, Hugo, Dickens. Seine Erlebnisse fanden in brillanten Reiseschilderungen ihren Niederschlag. Noch lange vor Hermann Löns entdeckte er die Schönheit der damals als öde und unwirtlich verschrienen Lüneburger Heide, die er als Zauberwelt voller Wunder beschrieb. Seine Reiseausrüstung einschließlich eines Seils, das der überaus sensible Mann immer auf Reisen mit sich führte, um sich bei Brandgefahr aus dem Hotel retten zu können, ist auch in dem Andersen-Museum in Odense zu sehen, dieser Märcheninsel, auf der man auch heute dem Dichter und seinen Märchengestalten zu begegnen glaubt. Im Frühling, wenn die Insel ein einziges Fliedermeer ist, im Sommer, wenn die Rosen in den Parks der dänischen Schlösser blühen, im Winter, wenn sich die alten Häuschen ihre Strohmützen tief über die Ohren ziehen und durch die kleinen Fensterscheiben helle Kinderaugen blicken, wie die von Kay und Gerda aus dem Märchen "Die Schneekönigin" - Fünen ist schon eine nordische Trauminsel. Und in diesem Jahr erst recht, denn sie hat sich zum 200. Geburtstag ihres größten Sohnes festlich geschmückt und wartet mit vielen Andersen-Veranstaltungen auf, vor allem in Odense.

Als 27jähriger hatte Andersen seiner Heimatstadt orakelt: "Wer weiß, ob ich nicht einmal eine Berühmtheit dieser edlen Stadt werde und daß es in einer Fußnote zu ihrer Geschichte heißen wird: Hier wurde der dänische Dichter H. C. Andersen geboren!" Umgekehrt wurde ein Schuh daraus!

Aber auch in Deutschland gibt es viele Feierlichkeiten, es wurden prominente Andersen-Botschafterinnen und Botschafter ernannt wie die Schauspielerin Katja Riemann, die Rock-Sängerin Nina Hagen und der Hamburger Ballettchef John Neumeier. Und natürlich die dänische Sängerin Gitte Haenning, die auch die neugegründete Hans-Chrisian-Andersen-abo-Stiftung gegen Analphabetismus unterstützen soll. Lesen können ist schließlich der Schlüssel zu seinem unsterblichen Märchenschatz.

Hans Christian Andersen: Märchen verhalfen ihm zum Dichterruhm. Foto: Archiv


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