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30.04.05 / Laut brüllend kamen die ersten Soldaten / Else Bedenik erlebte als Kind den Einfall der Roten Armee in Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 30. April 2005

Laut brüllend kamen die ersten Soldaten
Else Bedenik erlebte als Kind den Einfall der Roten Armee in Ostpreußen

Nu is aus, de Russe komme!" Mutter hatte sie als erste entdeckt. Sie kamen auf Skiern, getarnt durch weiße Umhänge, querfeldein von Zallenfelde herüber und durchkämmten systematisch die tiefverschneite Landschaft. Prompt steuerten sie auf unser Gehöft zu - 20 und mehr laut brüllende Ungeheuer. Ein jeder mit einer Maschinenpistole bewaffnet. "Mich ware se sowieso gleich erschieße!", dessen war sich Vater gewiß. Aus seiner Sicht gab es kein Entrinnen mehr. Mutter plazierte uns Kinder um den Küchentisch. Sie selbst hielt die Kleinste - damals gerade zwei Jahre alt - fest umklammert auf dem Schoß. Wie versteinert saßen wir da, regungslos, wie den glimpflichen Ausgang dieser ersten Begegnung heraufbeschwörend.

Als sich die weißen Gestalten bis auf wenige Meter dem Hof genähert hatten, empfing Max, unser Hofhund, sie mit erbostem Gekläffe. Derart wutentbrannt versuchte er seinen Verantwortungsbereich zu verteidigen. Die Eindringlinge fackelten nicht lange. Der erste Schuß galt Max. Er traf ihn tödlich. Danach stürmten die Kreaturen mit vorgehaltenen Maschinenpistolen um die Ecke, dem Hauseingang zu. Mit Hilfe der Gewehrkolben wurde laut krachend die Haustür aufgestoßen. Im gleichen Atemzug rissen ungehaltene Kraftprotze ruckartig auch die Küchentür auf. Blitzartig drängten weit nach vorn gebeugte Oberkörper in den Raum. Mit vorgehaltenen Maschinenpistolen - die Finger ständig am Abzug - ließen die verrohten Gesichtszüge der Eindringlinge aufs Schlimmste schließen. Ihre düsteren, haßerfüllten Blicke durchbohrten unsere erstarrten Körperchen. Wie gelähmt kauerten wir auf unseren Sitzen.

Freundlich begrüßend - aus den hinteren Räumen kommend - trat Vater ihnen entgegen. Sie stießen ihn nur unsanft und mürrisch zur Seite. "Soldatt iest? Partisan iest?" Und immer wieder fuchtelten sie mit ihren schußbereiten Waffen vor ihm herum. Hinter ihrer nervösen Unruhe verbarg sich garantiert auch Angst um ihr eigenes Leben. Sie blieben stur bei der Behauptung, daß innerhalb des Anwesens deutsche Soldaten versteckt gehalten würden. Jedoch in den einzelnen Gebäuden selbst nach ihnen zu suchen, das taten sie nicht. Die nächsten Kugeln galten unserem Radio, einem Volksempfänger, der mit Akku und Batterie betrieben wurde. Die Säure spritzte im ganzen Zimmer umher. Sie zerfraß außer diversen Einrichtungsgegenständen auch sämtliche Federbetten. Im Nebenzimmer waren die Federbetten mit Hilfe ihrer Bajonetten aufgeschlitzt worden. Auf der Suche nach deutschen Soldaten durchstachen die Männer ebenfalls Schränke und Türen, klopften Wände und Fußböden nach Hohlräumen ab. Unser Wohnhaus war so in relativ kurzer Zeit in fast unbewohnbaren Zustand versetzt worden. Aber solche oder ähnliche Vorfälle ereigneten sich danach Tag für Tag.

Nur wenige Tage nach jenen ersten Begegnungen mit den Eroberern bekam Vater den Befehl, zwei Pferde vor die Kutsche zu spannen. In ihrem Siegestaumel, zusätzlich bestärkt durch erheblichen Alkoholgenuß, wollte es ihnen jedoch partout nicht gelingen, das Gefährt zu besteigen. Mit Vaters Hilfe letztendlich landete der letzte nur noch liegend auf den Sitzen. Lauthals grölend, wie Wahnsinnige die Pferde traktierend, galoppierten sie vom Hof. Unentwegt droschen sie weiter - mit wehenden Rockschößen auf dem Wagen stehend - auf die bedauernswerten Tiere ein. Entrüstet schauten wir nur hinterher. Vater verfolgte die wilde Hetzjagd, bis sie seinen Blicken entschwunden war. Ob sie noch weit gekommen sind, war zu bezweifeln. Die Pferde blieben verschwunden.

Später mißtrauten die Eindringlinge unserem Vater in zunehmendem Maße, weil er nicht bei der Wehrmacht war. Daß er aber stark an Asthma litt und sich bereits im 50. Lebensjahr befand, wollten sie nur bedingt glauben. Daher zog es Vater sicherheitshalber vor, sich zu verstecken, sobald sich Kontrollstreifen unserem Gehöft näherten. Anfangs ging das alles auch recht gut. Natürlich hätte dieses wagemutige Versteckspiel auch leicht Mutters Kopf kosten können, wenn sie Vater trotz Verleugnung gefunden hätten.

Oft genug hatten sie Mutter bereits die Pistole auf die Brust gesetzt, um seine Auslieferung zu erzwingen. Deshalb versammelte Mutter auf Schritt und Tritt auch abwechselnd einige von uns Kindern um sich. Nicht allein wegen des gegenseitigen Schutzes, auch um zu wissen, wo wir uns aufhielten. Durch unser Beisein erhoffte sie sich - wäre es hart auf hart gegangen - nicht zuletzt auch mehr Einsicht der Tyrannen und vielleicht aber auch ein Quentchen mehr Menschlichkeit. An einem frühen Nachmittag jedoch müssen sie Vater bereits aus der Ferne beobachtet haben. Infolgedessen bedrohten sie Mutter mit ihren Waffen derart massiv, drohten sogar, das Gehöft anzünden zu wollen, daß sie keinen Ausweg mehr wußte und ihn rief.

"Komm mit, rabotti, rabotti!", "Dawai, dawai!" Niemand wußte das Ziel und wie lange der "Arbeitseinsatz" dauern sollte. Im Hausgiebel wartete zudem eine andere Gruppe Russen, die ebenfalls deutsche Zivilisten zusammengetrieben hatte. Unter ihnen erkannte ich den Nachbarsjungen.

Sie führten die alten gebrechlichen Männer sowie die noch halben Kinder in Richtung Zallenfelde ab. Uns blieb nur, ihnen hinterher zu schauen. Bevor sie den Weg zur Zalle einschlugen, wandte Vater sich kurz um und hob ein wenig einen Arm. Das war sein letzter Gruß an die zurückbleibende Familie - an seine fünf Marjellen, die sein ganzer Stolz waren, die ihm alles bedeuteten. Auch nicht von einem der damals Verschleppten gab es je ein Lebenszeichen ...


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