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07.05.05 / Mantel des Schweigens / Kriegskinder und ihr Schicksal

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Mai 2005

Mantel des Schweigens
Kriegskinder und ihr Schicksal
von Hans-Joachim von Leesen

Von 1939 bis zum Abzug der letzten sowjetischen, beziehungsweise russischen Truppen aus Mitteldeutschland Jahre nach der Wiedervereinigung waren weite Teile Europas von fremden Truppen besetzt. Millionen Männer anderer Nationalitäten lebten nach den Kampfhandlungen inmitten einer fremden Zivilbevölkerung. War das Verhältnis zwischen beiden Seiten nicht angespannt, dann verschwand in vielen die Barriere, die die Uniform der fremden Besatzungssoldaten bildete. Es gab menschliche Kontakte, und es gab, da die Soldaten in der Regel junge Männer im besten Alter waren, auch Liebeleien wie überall, wo junge Frauen und junge Männer einander begegnen. Die Verbindungen waren teils oberflächliche Abenteuer - übrigens für beide Seiten, teils aber auch gründeten sie auf ernste Liebe. Nicht selten war das Ergebnis ein gemeinsames Kind.

So hinterließen die Soldaten der deutschen Wehrmacht ebenso wie der Waffen-SS Nachkommen in Norwegen wie in Dänemark, in den Niederlanden wie in Belgien und Frankreich, auf den britischen Kanalinseln wie in Italien, auf dem Balkan wie in Polen und der Sowjetunion, und natürlich auch in den Deutschland überwiegend freundschaftlich verbundenen baltischen Staaten.

Im Westen waren es in erster Linie die US-amerikanischen Soldaten, die in den Ländern, in denen sie sich aufhielten - ob in den ihnen verbündeten Ländern wie Großbritannien oder Frankreich, Holland, Belgien sowie Norwegen, aber auch in der amerikanischen Besatzungszone Deutschlands und Österreichs - ebenso Kinder zeugten wie sowjetische Soldaten in Polen, auf dem Balkan und in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Dabei handelte es sich bei den Ende 1945 geborenen Kindern deutscher Mütter fast immer um Kinder, die aus Vergewaltigungen hervorgegangen waren, doch gab es später auch Kinder, die Liebesziehungen entsprossen, wenn auch wesentlich seltener als bei den "Amis" im Westen, wurden doch die sowjetischen Soldaten strikt von der Zivilbevölkerung abgeschottet.

Während sich über die Besatzungskinder in Deutschland kaum einer den Kopf zerbrach und die Literatur über sentimentale Kitschromane kaum hinausging, und während über die Besatzerkinder in Mitteldeutschland aus verständlichen Gründen der Mantel des Schweigens gebreitet ist, mehren sich in den letzten Jahren Veröffentlichungen über Kinder, die die Soldaten der Wehrmacht in den von ihnen damals besetzten Ländern zurückließen. Was bisher vorliegt, ist häufig indiskutabel und hält einer ernsthaften Prüfung nur in seltenen Fällen stand. Doch gibt es aus jüngster Zeit auch Bücher, die sachlich und ohne allzu überbordende Gehässigkeit geschrieben sind. Sie räumen mit bösartigen bis albernen antideutschen Propaganda-Thesen auf - wie etwa der, diese Kinder seien das Ergebnis von Vergewaltigungen gewesen -, und öffnen den Blick auf die Realität, was zu einem weiter führenden Urteil befähigt. An der Spitze steht die umfangreiche Darstellung des norwegischen Reichsarchivars Kare Olsen, "Vater: Deutscher - Das Schick-sal der norwegischen Lebens- born-Kinder und ihrer Mütter 1940 bis heute", in dem gleichzeitig eine erste umfassende, den Tatsachen verpflichtete Darstellung des "Lebensborns" geboten wird. In diesem Jahr erschien - und es ist nicht das erste Buch der Autorin zu dem Themenkreis - von der Deutsch-Norwegerin Ebba D. Drolshagen "Wehrmachtskinder - Auf der Suche nach dem nie gekannten Vater", das eine merkwürdige Mischung von gefühliger Frauenliteratur und wissenschaftlicher Materialaufarbeitung bietet. Frau Drolshagen ist kein Kriegskind; sie wurde erst einige Jahre nach dem Krieg geboren und wuchs in Deutschland und Norwegen auf. Sie hat sich in dem Buch vorgenommen, einen Überblick über alle Kinder im ehemals besetzten Europa, deren Väter deutsche Soldaten waren, zu liefern. Dabei hat sie sich übernommen, was man ihr nicht anlasten kann, denn das weite Feld ist bisher kaum beackert. Sie stieß auf Neuland vor und ging dabei aus von den Erfahrungen, die sie in den skandinavischen Ländern, vor allem in Norwegen machen konnte.

Wenn sie behauptet, es gebe in den besetzt gewesenen Ländern zirka eine bis zwei Millionen "Wehrmachtskinder", dann ist das Spekulation. Die Zahl mag stimmen, sie kann aber auch grundfalsch sein. Immerhin aber kommt sie zu dem Schluß, daß die Verbindungen zwischen einheimischen jungen Frauen und deutschen Soldaten keine Einzelfälle waren, was belegt, daß das Verhältnis zwischen deutschen Besatzungssoldaten und der Bevölkerung keineswegs so feindselig war, wie es in den vergangenen Jahrzehnten gern kolportiert wurde. Nach Jahren, in denen dieses Kapitel des Krieges weitgehend totgeschwiegen wurde, läßt sich nicht länger verheimlichen, daß dort eine große Anzahl von Menschen leben, die deutsche Vorfahren haben.

Während die meisten Staaten nicht daran interessiert sind, die Situation aufzuhellen, sind es in den letzten Jahren in Skandinavien, aber auch in Frankreich und anderen westlichen Staaten die nun ins Rentenalter kommenden Nachfahren von Wehrmachtsoldaten, die nach ihren Vätern, nach ihren "Wurzeln" suchen. Sie stießen in den meisten Fällen zunächst auf Schweigen, weil, wie Frau Drolshagen nachweist, die Existenz dieser Kinder das Propagandabild der Antifaschisten widerspricht, nachdem alle Deutschen Sadisten und Verbrecher waren, denen die geschlossene Front der Bevölkerung der besetzten Länder entgegenstand. Wenn die Familien der Mütter die Diffamierungsfront durchbrachen, begann die Suche nach dem Vater.

In vielen Fällen war das nicht einmal nötig. Es geht aus dem Buch nicht hervor, wie häufig die Fälle waren, in denen sich die deutschen Väter nach dem Kriege um die zurückgelassene Geliebte und das gemeinsame Kind kümmerten, doch führt sie zahlreiche solche Fälle auf. Hart verurteilt sie jene früheren Soldaten, die sich nie die Mühe gemacht haben, nachzuforschen, was aus Mutter und Kind geworden ist, doch dürfte sie in vielen Fällen ungerecht sein, muß man doch davon ausgehen, daß viele dieser Väter in den letzten Kriegsjahren gefallen sind, daß sie in Gefangenschaft gerieten und oft jahrelang von ihrer Heimat ferngehalten wurden - die letzten Kriegsgefangenen kehrten aus der UdSSR erst 1955 zurück. Sie schildert aber auch nun alt gewordene ehemalige Soldaten, die von ihren Kindern in fremden Ländern jetzt aufgespürt wurden und nicht nur voller Rührung die Kinder und, wenn vorhanden, deren Mütter aufnahmen, sondern auch für sie sorgen.

Wie man in den früher besetzt gewesenen Ländern mit den Müttern und ihren "Wehrmachtskindern" umging, das ist inzwischen hinlänglich bekannt. In der Preußischen Allgemeinen Zeitung ist mehrfach über die von norwegischen Historikern ans Tageslicht gebrachten, teilweise unmenschlichen Verhältnisse berichtet worden. Inzwischen hat aber auch dort ein Umdenken eingesetzt. Im März dieses Jahres hat das norwegische Parlament die Weichen für Schadenersatzzahlungen an Kinder deutscher Besatzungssoldaten, die staatliche Diffamierungen nachweisen können, gestellt und ihnen jeweils eine Schadenersatzsumme von 20.000 Kronen (das sind 2.500 Euro) zugebilligt. Die Kinder, nun Erwachsene, haben an Selbstbewußtsein gewonnen und bemühen sich weiterhin darum, ihre Ansprüche durchzusetzen. Man kann aber die schweren seelischen Schäden nicht wieder gutmachen, die die Kinder in Jahrzehnten der Diffamierung erlitten haben.

Ebba Drolshagen erfuhr bei ihren Recherchen erstaunliche Dinge. So leugnen italienische Historiker rundweg, daß es in Italien, das immerhin zunächst zu den Verbündeten, dann - nachdem das Land die Fronten gewechselt hatte - zu den besetzten Ländern gehörte, daß es dort überhaupt Wehrmachtskinder gebe. In Frankreich rechnet sie mit etwa 200.000 Wehrmachtskindern. Sie erwähnt ausdrücklich die britischen Kanalinseln, die jahrelang von Deutschland besetzt waren. Dort war das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Besatzungs- macht ausgezeichnet, es gab zahlreiche Liaisons zwischen Deutschen und britischen Mädchen. Die Geschichte der Besatzungszeit der Inseln wird bewußt und offenbar gezielt totgeschwiegen. In Griechen- land, so Drolshagen, wurden griechische Frauen, die von deutschen Soldaten ein Kind erwarteten, gezwungen, das Kind abzutreiben. Andernfalls wurden sie von Partisanen umgebracht.

Über die Wehrmachtskinder in der ehemaligen Sowjetunion sowie in Polen ist kaum etwas bekannt. Einen Fall nennt die Autorin, der einem die Haare zu Berge stehen läßt: Die Stadt Charkow war längere Zeit von deutschen Truppen besetzt, bis sie von der Roten Armee zurückerobert wurde. Sofort begannen die "Säuberungen", die darin bestanden, daß 4.000 Charkower vom NKWD umgebracht wurden, darunter die Frauen, die mit Wehrmachtssoldaten befreundet waren oder gar von deutschen Soldaten ein Kind erwarteten. Das wurde festgestellt, als die Wehrmacht nach einem Gegenstoß wieder in Charkow einzog. Und noch ein Fall verdient Beachtung: Eine Ukrainerin, die mit einem deutschen Soldaten eng verbunden war, ging mit der Wehrmacht zurück, als sich das Kriegsglück gewendet hatte. Sie gelangte in die Heimat ihres Freundes an der Oder, wo sie ihn bald heiratete. Nach zwei Jahren erwarteten sie ein Kind. Da erfuhr der NKWD, daß sie einmal Bürgerin der Sowjetunion gewesen war. Sie wurde wegen Landesverrats zu zehn Jahren Haft in Sibirien verurteilt. Dort starben Mutter und Kind. Während in Nor- wegen - so Frau Drolshagen - das Wehrmachtskind als Feind betrachtet wurde, galt für die Sowjets die Mutter als Verbrecherin und wurde liquidiert. Daher haben viele Frauen aus dem Machtbereich des Bolschewismus alles getan, um ihre Verbindung zu deutschen Soldaten geheimzuhalten, indem sie beispiels- weise die Kinder Verwandten unterschoben oder sie verborgen hielten, um später zu behaupten, sie seien nach der deutschen Besatzung gezeugt worden.

Am Rande erfährt man in dem Buch auch, daß in offenbar nicht seltenen Fällen deutsche Soldaten ihre norwegischen Freundinnen heirateten und nach Deutschland holten. Dort lebte sie dann, während der Mann Soldat war, mit dem gemeinsamen Kind etwa bei den Schwiegereltern - bis der Krieg für Deutschland verlorenging. Da veranlaßte die norwegische Regierung, daß die Besatzungsmächte die Kinder - teils mit Gewalt - den Großeltern und der Mutter wegnahmen. Sie wurden nach Norwegen gebracht und dort als "Deutschenbastarde" malträtiert.

Viele Kinder haben schwer unter der Stigmatisierung zu leiden gehabt, wurde ihnen doch immer wieder vorgehalten, daß sie das Kind eines deutschen "Nazis", und das war gleichbedeutend mit "Verbrecher", seien.

Das Buch ist leider nicht frei von den heute üblichen antifaschistischen und antideutschen Phrasen. Die Autorin kolportiert auch Behauptungen, die offensichtlich Unfug sind, so wenn sie aus einem polnischen Buch, das keineswegs einen Anspruch darauf erheben kann, seriöse Wissenschaft zu verbreiten, die Behauptung übernimmt, der "Lebensborn" habe "bis zu 200.000 Kinder polnischer Eltern geraubt". Sie hätte das Urteil des Amerikanischen Militärgerichtshofes I in Nürnberg in dem Verfahren gegen den Lebensborn vom 10. Oktober 1947 zur Kenntnis nehmen sollen, in dem unter anderem festgestellt wurde: "Der Lebensborn hat im allgemeinen keine ausländischen Kinder ausgewählt und überprüft. In allen Fällen, in denen ausländische Kinder von anderen Organisationen nach einer Aus-wahl und Überprüfung an den Lebensborn überstellt worden waren, wurden die Kinder bestens versorgt und niemals in irgendeiner Weise schlecht behandelt." Alle Funktionsträger des Lebensborn wurden freigesprochen.

In den letzten Jahren sind mehrere Arbeiten zu dem Thema deutsche Besatzungskinder veröffentlicht worden. Ebba Drolshagens Buch "Wehrmachtskinder" (Droemer, 384 Seiten, 19,90 Euro) gehört nicht zu den schlechtesten.

Oft mehr als ein Flirt: Deutsche Soldaten und Norwegerinnen Foto: Ullstein

Erschwertes Erbe

Auch Prominente sind unter den Kindern, die aus der deutschen Besatzung hervorgingen, so Abba-Sängerin Anni-Frid. Sie konnte dem Schicksal vieler anderer Kinder mit deutschem Vater in Norwegen entgehen, weil ihre Großmutter sie nach Schweden brachte. Doch wer in Norwegen blieb, war gerade in den 40er und 50er Jahren, oft aber auch noch später teils massiven Repressalien ausgesetzt. Bis in die 80er Jahre wurde Betroffenen der Zugang zu den Akten in Norwegen und Dänemark verwehrt. Namen deutscher Väter wurden bewußt verfälscht oder falsche Väter eingetragen. Die Herkunft, sogar der eigene Name waren bis dahin für viele Kriegskinder ungewiß. Besonders hart traf es die, die in norwegischen Heimen lebten. Im Internet sprechen Betroffene auf den Seiten der Selbsthilfeorganisationen von Mißbrauch und systematischen Quälereien. Nicht nur die Kinder von Anhängern der mit Deutschland kolaborierenden "Nasjonal Samling" wurden stigmatisiert, auch die politisch Unbelasteten und ihre Sprößlinge kämpfen zum Teil bis heute um Anerkennung. Die Rache der Sieger wirkte lange. Sie traf zuerst die Mütter, die als "Deutschendirnen" oft monatelang in norwegischen Gefängnissen saßen - paradoxerweise sogar, wenn ihr Kind nicht von einem Deutschen, sondern einem fremden Zwangsarbeiter in deutschen Diensten stammte. Kollektive Selbstjustiz als Maßnahme gegen die Freundinnen des Feindes: öffentlich nackt ausgezogen, kahlgeschoren und interniert, suchten die Frauen nach Schutz, den sie selbst in der eigenen Familie nicht immer fanden. Angst vor weiteren Repressalien führte dazu, daß Mütter die Identität ihrer Kinder verschleiern halfen. Erst im Erwachsenenalter konnten manche der Besatzungskinder daher ihrer wahren Identität nachgehen. SV


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