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07.05.05 / "... das eigne Weh vergessen" / Schiller auf dem Weg nach Weimar

© Preußische Allgemeine Zeitung / 07. Mai 2005

"... das eigne Weh vergessen"
Schiller auf dem Weg nach Weimar
von Professor Dr. Rüdiger Ruhnau

Der 200. Todestag Friedrich Schillers am 9. Mai gibt zahlreichen Veranstaltungen des deutschen Sprachraumes den Anlaß, den Fragen nachzugehen: Wer war Friedrich von Schiller? Wie hat er gelebt? Welche Quellen inspirierten ihn zu seinem Schaffen und was hat Schiller uns heute zu sagen? Das Wagnis der Flucht aus dem Königlich Württembergischen Staatsdienst

hatte sich Schiller teuer erkaufen müssen. Jahrelanges Ringen um die nackte Existenz, chronische Krankheitsleiden mit Not und Entbehrungen waren mitverantwortlich, daß sein Leben nur die kurze Spanne von 45 1/2 Jahren umfaßte. Um so mehr stürzte er sich in die literarische Arbeit, die ihn vieles überwinden ließ und deren Anerkennung noch zu Lebzeiten ihm über manches hinweghalf.

Nach der enttäuschenden Ablehnung seines Stückes "Fiesco" durch das Mannheimer Nationaltheater mußte Schiller froh sein, daß die Mutter eines Schulfreundes, Frau von Wolzogen, ihm Zuflucht auf dem bescheidenen Landsitz Bauerbach bei Meiningen bot. Dort, in der ländlichen Einsamkeit, schrieb er sein bürgerliches Trauerspiel "Luise Millerin", das der Schauspieler Iffland später in "Kabale und Liebe" umbenannte. Schiller prangert darin das lasterhafte absolute Fürstentum an, während das biedere Bürgertum die Anmaßung der ständischen Gesellschaft als gottgegebene Weltordnung hinnimmt. Unterbrochen wurde die Arbeit durch den Besuch seiner Gönnerin. Frau von Wolzogen hatte ihr reizendes 17jähriges Töchterchen mitgebracht, zu der Schiller sofort in schwärmerischer Liebe entbrannte: "Noch ganz, wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, weichste, empfindsamste Seele, und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüts ...", schrieb er an einen Bekannten. Seine Leidenschaft fand aber keine Erwiderung, ein glücklicher Umstand half darüber hinweg. Aus Mannheim meldete sich der Intendant v. Dalberg, er bot Schiller für ein Jahr die Stelle als Theaterdichter an. Neben der festen Gage von 300 Talern garantierte man ihm den Erlös aus drei Vorstellungen. Die verabredete Gegenleistung, die Lieferung von drei aufführungsbereiten Stükken, konnte der Dichter leider nicht einhalten.

Während der Mannheimer Zeit grassierte dort eine gefährliche Seuche, Schiller mußte schwer darunter leiden, seitdem ist er nie mehr richtig gesund geworden. Weil er aber auch nur schlecht mit Geld umgehen konnte, sich immer wieder in Schulden stürzte, darüber hinaus das Mannheimer Theater seinen Vertrag nicht verlängerte, wurde ihm der weitere Aufenthalt in der Residenzstadt bald zur Qual. Wieder hatte er das Glück, daß ihm fremde Menschen halfen: Christian Gottfried Körner und seine Freunde hatten mit Begeisterung von Schillers genialischem Schaffen erfahren, sie wußten diese bedeutendsten Dramen des deutschen Sturms und Drangs richtig einzuschätzen. Die Leipziger Freunde versicherten dem Dichter ihre Hochachtung, verbunden mit der Einladung, zu ihnen nach Leipzig zu kommen. Mit Körner schloß Schiller eine lebenslange Freundschaft. Ohne dessen selbstlose Hilfe hätte er seinen "Dichterberuf" schwerlich ausüben können. Schiller brauchte eben, um sein Werk zu vollenden, ein anderes Klima, eine andere Umgebung mit kongenialen Menschen, die ihn inspirierten. Voller Hoffnung schreibt er: "Leipzig erscheint in meinen Träumen wie der rosigste Morgen ..."

Seine hochgespannten Erwartungen wurden nicht enttäuscht, obwohl die Reise zu Menschen, die er nicht kannte, ein Wagnis gewesen ist. Noch vor seiner Ankunft in Leipzig hatte Schiller, auf Empfehlung der Freundin Charlotte von Kalb, Verbindung zu dem Herzog Carl August von Sachsen-Weimar aufgenommen, der ihm, beeindruckt von einer Lesung aus dem Manuskript des "Don Carlos", den Titel eines "Fürstlichen Rates" verlieh. Dieser Titel, gewissermaßen die Funktion eines "Schutzbriefes" ersetzend, trug erheblich zur gesellschaftlichen Anerkennung bei.

Mehr als zwei Jahre, bis zum Sommer 1787, verbrachte Schiller im Kreise der Familie Körner in Leipzig, Loschwitz und Dresden. Gottfried Körner, gerade drei Jahre älter als der Dichter, einer vermögenden Familie entstammend, war Privatdozent der Philosophie und Rechte an der Leipziger Universität. Später als Jurist an das Sächsische Oberkon-sistorium berufen, hatte der vielseitig gebildete Mann auf längeren Bildungsreisen Europa durchstreift. Körners praktischer Sinn für Geschäfte verband sich mit einer nie erlahmenden Begeisterung für die Künste. Mit viel Takt stellte er Schiller die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung, damit dieser sich ganz seinen Dichtungen widmen konnte. In Körner fand Schiller einen geistvollen Gesprächspartner, von dem er auf manchen Wissensgebieten noch lernen konnte. Zu den Gästen in Körners Dresdner Haus zählten Goethe, Humboldt, Novalis, die Gebrüder Schlegel, Kleist, Iffland, Herder und der Verleger Göschen. Georg Göschen hatte 1785, mit einem Kredit von Körner, seinen eigenen Verlag in Leipzig eröffnet. Zu seinen berühmtesten Verlagsprodukten gehörte ohne Zweifel Schillers "Ode an die Freude":

"Freude, schöner Gotterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligthum ..."

Das Gedicht ist ein lebendiger Ausdruck der Freundschaft Schillers mit dem Hause Körner, Gottfried Körner hatte dazu die Noten gesetzt. Ludwig van Beethoven vertonte Schillers Ode "An die Freude" im Schlußchor der Neunten Symphonie. Die aus echt Schillerschem Pathos entstandenen Verse sind in Beethovens Vertonung zur zweiten deutschen Nationalhymne geworden.

In einem Weinberghäuschen in Loschwitz bei Dresden, Schillers Refugium, vollendete der Dichter auch die Geschichte des Spaniers "Don Carlos". Die Buchausgabe erschien in 4.000 Exemplaren bei Göschen. Die für das Theater bearbeiteten Auflagen brachte Cotta heraus. Der Verleger Göschen übernahm auch die Herausgabe des von Schiller konzipierten Theaterjournals "Thalia". Auf die Dauer war es dem stolzen Cha-rakter Schillers nicht zumutbar, Körners Hilfe weiterhin in Anspruch zu nehmen, seine Unrast trieb ihn weiter. Kurzentschlossen packte er die wenigen Habseligkeiten eines Junggesellen zusammen und reiste in die Residenzstadt Weimar, wo die "drei Weimarischen Riesen" wirkten, Goethe, Herder, Wieland. Eigentlich sollte das Städtchen an der Ilm nur eine Etappe sein, er blieb dort aber für den Rest seines Lebens.

Wie würde wohl Weimar, der literarische Mittelpunkt Deutschlands, den erst 28 Jahre alten schwäbischen Sturm-und-Drang-Apologeten aufnehmen? Schiller war sich seines Wertes bewußt, er wird den ihm gebührenden Platz eines Dichterfürsten einnehmen. Bei seiner Ankunft in der nur 6.000 Einwohner zählenden Residenzstadt waren weder der Herzog im Lande noch Goethe, der gerade in Italien weilte. Die ersten Bekanntschaften vermittelte die "Seelenfreundin" Charlotte von Kalb. Wohlwollend empfing ihn Christoph Martin Wieland, der um 26 Jahre ältere Landsmann aus Biberach, den die Herzogin Anna Amalia als Erzieher ihrer beiden Söhne nach Weimar gerufen hatte. Bei Johann Gottfried Herder führte sich Schiller mit der Überreichung seines Werkes "Don Carlos" ein. Der Ostpreuße Herder hatte die Stelle als erster Prediger an der Stadtkirche Weimar (1776) einer Vermittlung Goethes zu verdanken.

Schiller mietete in Weimar eine möblierte Zwei-Zimmer-Wohnung und ging mit größtem Eifer an die Arbeit. Oft saß er zwölf Stunden am Schreibtisch; "ich muß von der Schriftstellerei leben", schrieb er an die Freunde in Leipzig. Bei seinen ausgedehnten Studien stieß er auf die "Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der Spanischen Regierung". Er hoffte, durch seine lebendigere, dichterische Darstellung historischer Stoffe genügend Geld für eine sorgenfreie Lebensführung zu verdienen. Das Buch kam 1788 in den Handel, es erreichte noch im selben Jahr eine zweite Auflage. Der beachtliche Erfolg eröffnete Schiller den Weg zur Universität Jena, wo gerade der Lehrstuhl für Geschichte frei geworden war. Mit tatkräftiger Hilfe Goethes sondierte man Schillers Bereitschaft zur Übernahme einer unbesoldeten Professur für Geschichte.

Unter großer öffentlicher Beteiligung hielt Friedrich Schiller am 26. Mai 1789 seine Antrittsvorlesung in Jena. "Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?" lautete der Titel der akademische Rede, mit der er seine geschichtliche Lehrtätigkeit begann. Wesentlicher Inhalt seiner Antrittsvorlesung war die Gegenüberstellung eines "Brotgelehrten", dem das Studium nur zu materiellem Vorteil verhilft, und eines "philosophischen Kopfes", dem die Erforschung der Wahrheit wichtigstes Ziel ist. Mit den Vorlesungen, der Zeitschrift Thalia und den unentwegten literarischen Ambitionen hatte sich Schiller eine Arbeit aufgebürdet, der seine schwächliche Gesundheit nicht standhielt. Er erkrankte an Lungenentzündung, hinzu kam eine nie mehr ausgeheilte Rippenfellentzündung, die ihm das Sprechen erschwerte und ihn zur Einstellung der Vorlesungen zwang. In einer anderen Entscheidung war der Dichter von mehr Glück begünstigt. Während eines Aufenthaltes in

Rudolstadt, etwa 25 Kilometer von Jena entfernt, lernte er die verwitwete Frau v. Lengefeld mit ihren beiden Töchtern Caroline und Charlotte kennen. An der jüngeren Charlotte (1766-1826) gefiel ihm besonders das zurückhaltende, bescheidene Wesen. In einem Brief an den Vater Johann Caspar Schiller schreibt der Dichter: "Seit dem 22. Februar (1790) bin ich mit meiner lieben Lotte verheiratet ... noch nie war mir so wohl, als wie jetzt in meinem häuslichen Kreise ..."

Schiller war eigentlich nach Weimar gekommen, um sich an den größten Geistern seiner Zeit zu messen. Überall spürte er in Weimar die Gegenwart Goethes, von der die Menschen "mit einer Art Anbetung" sprachen. Sogar der strenge Herder bewunderte den "universalen Verstand" nebst der "größten Reinheit des Herzens" an dem berühmtesten Weimaraner. Derartige Reden hinterließen einen gewissen Stachel in Schiller, an Körner schrieb er am 9. März 1789: "Dieser Mensch, dieser Goethe, ist mir einmal im Wege." Goethe hatte die Schwestern Caroline und Charlotte v. Lengefeld durch Frau von Stein kennengelernt. Zusammen mit Herzog Carl August verkehrte er öfter mit der Familie v. Lengefeld auf dem bei Rudolstadt gelegenen Landsitz der Frau von Stein. Goethe war also über die Verhältnisse Schillers bestens orientiert.

Die Annäherung der beiden deutschen Geistesheroen geschah nur zögernd. Es war Schiller, der um die Anerkennung des zehn Jahre älteren Goethe warb, der schon seit Jahren als Minister in der Regierung des jungen Herzogs Carl August den Titel eines Geheimen Rates führte. "Exzellenz" und "Staatsminister" nannte sich Goethe erst später, als das Herzogtum 1815 zum Großherzogtum aufrückte. Schillers Vorhaben, die literarische Monatsschrift Die Horen herauszugeben, erbrachte Goethes freundschaftliche Zusage der Mitwirkung. Damit begann ein in geistiger wie menschlicher Hinsicht einzigartiger Erfahrungsaustausch mit gegenseitiger Befruchtung. Schon vorher hatten beide bei Gesprächen über die Urpflanze aneinander Gefallen gefunden. 1798 erschien Schillers "Musen-Almanach" mit Balladen Goethes. Schließlich gab Schiller seine Professur in Jena auf und siedelte vollständig nach Weimar über, um leichter und öfter mit Goethe zusammen sein zu können. Er bezog das von ihm gekaufte Haus an der Esplanade, der heutigen Schillerstraße. Goethes "Faust" und "Wilhelm Meister" entstanden unter starker Anteilnahme Schillers.

Friedrich Schiller muß wohl gefühlt haben, daß ihm nicht mehr viel Zeit verblieb. In einem Schaffensdrang ohnegleichen entstanden die großen Tragödien der klassischen Zeit: "Wallenstein", "Maria Stuart", "Die Jungfrau von Orleans", "Braut von Messina". Seinen Durchbruch als Klassiker verdankte er auch dem Studium der Philosophie Kants. Mit Begeisterung griff er die Gedankengänge des Königsberger Philosophen auf, dessen Unbedingtheit des sittlichen Gesetzes wir als kategorischen Imperativ in uns tragen. Am 17. März 1804 erlebte Weimar eine denkwürdige Uraufführung. Goethe inszenierte "Wilhelm Tell". Er verhalf damit Schillers letztem Drama zu einem überwältigenden Erfolg. In dem Freiheitsdrama läßt Friedrich von Schiller, der zwei Jahre zuvor vom Kaiser geadelt worden war, den Volksgeist anklingen, wenn Attinghausen spricht: "Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, / das halte fest in deinem ganzen Herzen! / Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft ..." Bis in seine letzten Tage blieb Schiller seiner Sendung treu. Erst der Tod setzte seiner Arbeit am 9. Mai 1805 ein Ende.

 

Geistesheroen der Deutschen: Goethe und Schiller vereint auf einem Standbild in Weimar Foto: Archiv

 

Aus den Worten des Dichters wurden sprichwörtliche Redensarten:

Und wer weiß, was er noch erreicht und ermißt, denn noch nicht aller Tage Abend ist.

Wallensteins Lager

Neues hat die Sonne nie gesehn. Sehn wir doch das Große aller Zeiten auf den Brettern, die die Welt bedeuten, sinnvoll, still an uns vorübergehn.

An die Freunde

Das eben ist der Fluch der bösen Tat, daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.

Piccolomini

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.

Wilhelm Tell

Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.

Wilhelm Tell

Früh übt sich, was ein Meister werden will.

Wilhelm Tell

Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze, drum muß er geizen mit der Gegenwart.

Wallensteins Lager

Wie kommt mir solcher Glanz in meine Hütte?

Die Jungfrau von Orleans

Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.

Das Lied von der Glocke


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