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14.05.05 / Die bewegende Kraft des göttlichen Geistes

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14.Mai 2005

Die bewegende Kraft des göttlichen Geistes
von Klaus Plorin, Pfarrer i. R.

Wir feiern Pfingsten, das "Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes", wie es kirchenamtlich so anschaulich heißt. Aber wir tun dies nicht nur deshalb, weil damals in Jerusalem die ersten Christen von der bewegenden Kraft des göttlichen Geistes ergriffen wurden, seitdem Gottes Liebe in Jesus Christus mit Worten und Taten öffentlich zu bekennen wagten und damit die Kirche gründeten. Sondern auch, weil wir selbst schon ermutigende, hilfreiche, tröstende, versöhnende und andere tief bewegende Erlebnisse haben durften, die wir nicht normalen menschlichen Ursachen, sondern nur göttlicher Führung zuschreiben wollen und dafür dankbar sind.

So wie die Christen damals zunächst darüber rätselten, was da mit ihnen eigentlich passierte, als plötzlich eine Verständigung über fast alle Unterschiede möglich wurde, und der vorher sehr verzagte Petrus freimütig zu predigen anfing (Apostelgeschichte 2), so müssen auch wir über manches dankbar staunen, wodurch unser Leben in Gefahren gerettet wurde, wie uns in der Krise doch noch der hilfreiche Einfall kam, oder wie uns Worte oder Verhalten von Menschen geprägt und zum Guten gewendet haben.

Wenn viele von uns in diesen Monaten an die schrecklichen Ereignisse vor 60 Jahren zurückdenken, drängen sich manche Fragen auf. - Wer oder was gab den vielen Müttern in den Luftschutzkellern und Ruinen, bei den Strapazen der Flucht oder der Gefangenschaft und Zwangsarbeit und trotz brutaler Gewalt, die ihnen dabei angetan wurde, die innere und äußere Kraft zum Durchhalten, um das Leben ihrer Kinder retten zu können?

Übermenschliches gelang ihnen dabei. Auch staune ich noch heute über die russische Beamtin im Mai 1947 in Königsberg, die mit Zustimmung meiner Mutter drei deutsche Waisenkinder in unsere Ausreisepapiere hineinfälschte, damit sie nicht ins russische Waisenhaus mußten, sondern zu ihrer Großmutter nach Berlin kommen konnten. Was gab ihr den Mut dazu? Und woher nahm meine Mutter, die fast am Ende ihrer Kraft war, die zusätzliche Energie, sich auf der langen Reise außer um uns zwei eigene noch um drei fremde Kinder zu kümmern? Und was bewog die sechs polnischen Gleisarbeiter in Schneidemühl, als wir wegen der unerwartet langen Reisedauer nichts mehr zu essen hatten und meine Mutter sie um Hilfe bat, der fremden deutschen Frau und ihren fünf Kindern ein Brot und ein Stück Speck zu schenken?

Und aus welchem Antrieb helfen heutzutage wir vertriebenen Ostpreußen den in unserer Heimat Wohnenden auf vielfältige Weise in ihren materiellen und seelischen Nöten?

Ich glaube: Wenn Menschen sich uneigennützig, unter persönlichen Opfern und liebevoll für andere, sogar für ihre Feinde, einsetzen, ihnen helfen, mit ihnen teilen, sie schützen, sie trösten, wie es Jesus vorlebte und lehrte, dann ist Gottes Heiliger Geist der Liebe am Werk, ganz gleich auf welche Weise er diese Menschen ergriffen hat. Gottes Heiliger Geist will nicht abgehoben in einem fernen Himmel oder tatenlos in Kopf und Herz von Menschen verborgen bleiben, sondern drängt dazu, auch unsere Hände, Füße und Mund segensreich zu bewegen. Er will wirksam sein im Kleinen wie im Großen, im persönlichen wie im gesellschaftlichen und politischen Bereich. Denn er ist die schöpferische Gegenwart Gottes in unserer Welt. Es geht dabei durchaus nicht um großartige, spektakuläre Aktionen und Leistungen. Meist nur klein und unscheinbar hat manches Gute, Wahre, Wichtige angefangen. Und davon ist nur einiges mit Gottes Hilfe zu Bemerkenswertem herangewachsen und wir staunen selbst, wie das möglich war. Albert Knapp hat das 1812 in einer Liedstrophe (EG 256, 5) so beschrieben:

Heiland deine größten Dinge

beginnest du still und geringe.

Was sind wir Armen,

Gott, vor dir?

Aber du wirst für uns streiten

Und uns

mit deinen Augen leiten;

auf deine Kraft vertrauen wir.

Dein Senfkorn,

arm und klein,

wächst ohne großen Schein

doch zum Baume ...

Bei alle dem gilt grundsätzlich, was der pfingstliche Wochenspruch uns sagt: "Es soll nicht durch Heer oder Kraft (Gewalt), sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth" (Sacharja 4, 6). Mit diesem Verheißungswort ermutigte der Prophet Sacharja vor 2.500 Jahren den politisch schwachen judäischen Statthalter Serubbabel beim Wiederaufbau des 70 Jahre vorher durch die Babylonier zerstörten Tempels in Jerusalem, der dann auch gelang. Doch ist dies keine zeitbegrenzte Aussage. Denn sie entspricht genau dem, was Jesus im Namen Gottes lehrte, gewaltlos-liebevoll lebte und wofür er starb. Deshalb dürfen auch wir uns von dieser Verheißung - oder ist es für uns eher eine Warnung? - ermutigen lassen, dem Heiligen Geist Gottes die alles entscheidende Rolle zuzutrauen und andere Methoden, besonders Gewaltmittel auszuschließen. Vordergründig regiert zwar Geld die Welt und scheint die Qualität und Menge an Waffen die Politik zu entscheiden.

"Wie viele Divisionen hat der Papst?" fragte einst Stalin ironisch. Aber wie würde sich dieser Gewalt-herrscher in seinem Grab an der Kremlmauer umdrehen, könnte er die auch von Christen inzwischen bewirkten Veränderungen in Europa und den Zerfall seines einst nur mit Waffengewalt zusammengehaltenen Sowjetreiches sehen. Und der Atheist und Christenverfolger Lenin steht zwar nach seiner Renovierung bald wieder als Denkmal auf dem Siegesplatz in Königsberg, kann aber nicht sehen und verhindern, wie hinter seinem Rücken die zweitgrößte orthodoxe Kathedrale der Russischen Förderation entsteht, und muß mehrmals täglich ihr Glockengeläut anhören.

Unsere Hoffnung auf gewaltlose Wirkungen des Heiligen Geistes braucht allerdings viel Geduld. Denn Gottes Zeitrechnung ist oft eine andere als unsere gewohnte, wie der Blick in die Geschichte zeigt: Deutsches Militär hatte 1884 mit seinen überlegenen Waffen sehr schnell einen Teil des Papua-Gebiets auf der Insel Neuguinea erobert und zum "Kaiser-Wilhelms-Land", zum deutschen Schutzgebiet erklärt. Was aber zumindest ein Teil der kaiserlichen Truppen von den Einwohnern, den noch in der Steinzeit lebenden Papuas hielt, zeigte die Äußerung eines Marineoffiziers gegenüber dem bayerischen Missionar Johannes Flierl, der gerade mit der christlichen Mission der Papuas begann: "Was, diesen Pavianen (die Affen mit dem roten Gesäß) wollen Sie Lesen und Schreiben beibringen?!" - Nun, es kostete Flierl und seinen Mitarbeitern jahrelange geduldige Liebe und Beharrlichkeit, Mut und starken Glauben, bis nach fast 13 Jahren seines Wirkens sich endlich der erste Papua zu Jesus Christus bekehrte und taufen ließ. Die Wirkung dieser Mission auf die Papuas war jedenfalls segensreicher und dauerhafter als die des machtvollen Militärs, dessen Zeit im Ersten Weltkrieg endete. Denn heute sind rund 30 Prozent der Papuas evangelische Christen, und es gibt eine lebendige Partnerschaft und regelmäßigen Pfarrertausch zwischen den evangelisch-lutherischen Kirchen Papua-Neuguineas und Bayerns. Und wie mühsam und langwierig ging es bei der Neugründung evangelischer Kirchengemeinden im russischen Teil Ostpreußens seit 1991 zu! Aber das andauernde Bemühen vieler kirchlicher Mitarbeitender aus Deutschland und einheimischer Christen gegen die vielen Widerstände und Schwierigkeiten hat bis jetzt dort 44 Gemeinden entstehen lassen. Gott sei Dank dafür!

Ach, wenn wir doch öfter und fester dem von der Verkündigung des Evangelium ausgehenden Heiligen Geist vertrauen und uns bereitwilliger von seiner gewaltlosen aber dauerhaften Kraft führen und zu segensreichem Tun ermutigen und bewegen ließen! Daran hat es unter uns Christen offenbar leider immer schon gefehlt. Nicht umsonst sind deshalb fast alle Pfingstchoräle in unserem Gesangbuch Bitten um das Kommen des Heiligen Geistes in unser Herz, als dem symbolischen Zentrum unseres Wollens und Planens. Ein Beispiel davon sei unser Schlußgebet, die Strophen 2 und 3 aus dem Lied 136 von Philipp Spitta um 1833:

"O du, den unser größter Regent uns zugesagt: komm zu uns, werter Tröster, und mach uns unverzagt. Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit die scharf geschliffenen Waffen der ersten Christenheit. Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je; darum mußt du uns rüsten mit Waffen aus der Höh. Du mußt uns Kraft verleihen, Geduld und Glaubenstreu und mußt uns ganz befreien von aller Menschenscheu."

 Vom Heiligen Geist bewegt: Darstellung auf dem Lichtensterner Flügelaltar Foto: Archiv


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