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14.05.05 / Wie eine SED-Veranstaltung / "Deutsche Gerechtigkeit" beleuchtet Prozesse gegen Grenzschützen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 14.Mai 2005

Wie eine SED-Veranstaltung
"Deutsche Gerechtigkeit" beleuchtet Prozesse gegen Grenzschützen

Mord ist Mord, auch wenn er befohlen wird!" Das waren sehr zutreffende Worte des West-Berliner Senats in den 60er Jahren gegen die Todesschützen an der Mauer. Nach der Wiedervereinigung indes galten diese offenbar nicht mehr, wie der Verfasser anhand der insgesamt 110 gerichtlichen Verhandlungstage gegen DDR-Grenzsoldaten und Politbüro-Mitglieder beweist. Sieht man von zwei Ausnahmen ab, bekanntem sich alle weder zur strafrechtlichen noch zur rein moralischen Schuld. Statt dessen beriefen sich die Angeklagten auf den Fahneneid und Befehle, die - angeblich - über dem Völkerrecht stünden; ein Staat habe das Recht, seine Grenzen zu schützen, unbedingt mußte die DDR "ein Ausbluten verhindern". Nicht DDR-Befehle zur Grenzsicherung hätten den Tod von Grenzverletzern verursacht, sondern deren Mißachtung der Gesetze - sie seien selber schuld! Gelegentlich, so vermerkt der Autor Roman Grafe, glaubte man sich während der Prozeßtage "auf einer Parteiveranstaltung der SED"! Nimmt der Leser solche Verteidigungsphrasen noch so eben hin, so kann er über die ausgesprochenen Gerichtsurteile nur erschüttert sein: Von den rund 450 wegen Tötungen oder Verletzungen an der Mauer Angeklagten wurde ein Drittel freigesprochen und mehr als die Hälfte erhielt Haftstrafen auf Bewährung; das galt auch für alle die Fälle, in denen man angeschossene Flüchtlinge absichtlich verbluten ließ, statt sie zu retten. Selbst ein Grenzsoldat, der seinen westwärts fliehenden Kameraden erschoß, erhielt Freispruch - Fahnenflucht sei überall strafbar, meinte die Richterin. In ganz offensichtlichen Fällen von Erschießungen unterstellten die Gerichte direkt Mord, doch nur in einem einzigen Fall verhängten sie zehn Jahre Haft.

Sanft, allzu sanft verfuhr die Justiz mit den DDR-Höchsten. Ho-neckers Nachfolger Krenz erhielt zwar über sechs Jahre, doch entließ man ihn nach zwei Drittel der Zeit. Verteidigungsminister Keßler und sein Stellvertreter Strelitz wurden mit sieben beziehungsweise vier Jahren wie "normale" Kassenräuber bestraft und - was sonst nicht üblich ist - vorzeitig entlassen. Zwei Mitgliedern des Politbüros unterstellten die Richter "Verbotsirrtum" mit einer milderen Strafe. Das Strafmaß für einen DDR-Todesschützen war in der Regel niedriger als das für einen gewöhnlichen Ladendieb!

Nicht nur für die Betroffenen ist es oft recht schwer, noch an Gerechtigkeit zu glauben. F. W. Schlomann

Roman Grafe: "Deutsche Gerechtigkeit - Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlgeber", Siedler, München 2004, geb., 252 Seiten, 24,90 Euro


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