26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
21.05.05 / Der Kurfürst und der Elch / Wie Friedrich III. von Brandenburg den größten Hirsch in der Geschichte der Jagd erlegte

© Preußische Allgemeine Zeitung / 21. Mai 2005

Der Kurfürst und der Elch
Wie Friedrich III. von Brandenburg den größten Hirsch in der Geschichte der Jagd erlegte
von Ruth Geede

Dies ist eine wahre Begebenheit und belegbar durch das geradezu unglaubliche Geweih eines 66-Enders, das sich noch heute in der Geweihsammlung im Königlichen Schloß zu Moritzburg befindet. Sie ist ein Stück preußischer Geschichte, denn sie spielt im ausgehenden 17. Jahrhundert, als der erste Preußenkönig Friedrich I. noch Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg war. Er ist als Erleger des 66-Enders die Hauptperson dieser Historie neben einem einfachen Mädchen aus der Memelniederung - so konträr wie die beiden vierbeinigen Akteure, dieser einmalige Rothirsch und ein geradezu legendären Elch.

Diese standen im Spätsommer des Jahres 1696 in einem der kurfürstlich-brandenburgischen Jagdgebiete zwischen Fürstenwalde und Frankfurt, der Jacobsdorffschen Heide. Der Hirsch in freier Wildbahn, der Elch in einem eingezäumten Gehege am Spreeufer. Ein Wunderelch, denn Elche gelten ja als unzähmbar, was dieser aber widerlegte, denn er war das Reittier von Mareile, der Nichte des Heidereiters Siebenbürger, des Försters von der Jacobdorffschen Heide. Das junge Mädchen war als Tochter eines Wildnisbereiters im nördlichen Teil Alt-Preußens aufgewachsen. Den für diese Gegend ungewohnten Namen hatte sie von ihrer aus einer süddeutschen Siedlerfamilie stammenden Mutter erhalten. Das weite Land mit seiner noch unberührten Natur hatte sie geprägt: Mareile war mit Wald und Wild so vertraut, daß sie ein mutterloses Elchkalb aufzog und es so zähmte, daß sie beim Ritt auf dem ausgewachsenen Tier, das sie nach dem alten Prussengott Perkunos nannte, auf den großen Jagden das ausbrechende Wild hetzte. Nach dem frühen Tod der Eltern packte das Mädchen kurz entschlossen ihre Siebensachen auf einen von zwei Kuntern gezogenen Wagen und ritt neben diesem auf dem Elch in Richtung Westen, denn ihr Onkel wollte die Waise aufnehmen. Kurz vor der brandenburgischen Grenze wurde Mareile von betrunkenen Polen überfallen. Aber der wegen des Lärms wild gewordene Elch griff die Männer an, verletzte sie schwer und brach einem Pferd das Kreuz. Endgültige Hilfe wurde Mareile durch den Jäger Boltenstern zuteil, den der Heidereiter geschickt hatte, um seine Nichte sicher in sein Forsthaus in der Jacobsdorffschen Heide zu geleiten. Es kam, wie es geschehen mußte: Mareile und ihr Retter verliebten sich ineinander.

Aber sie sind nicht das einzige Liebespaar der Geschichte. Denn der Vorgesetzte des Heidereiters, der Oberförster Ludolf von Oppen aus Neubrück, hatte sich in eine Hofdame der Kurfürstin, Anne-Marie von Hersefeld, verliebt. Heimlich, denn Intrigen am Hofe verhinderten eine offizielle Verbindung. So standen jedenfalls die Dinge, als der kapitale Hirsch im Revier des jungen Oberförsters auftauchte, den er sofort Seiner Kurfürstlichen Hoheit meldete, wie es seine Pflicht war. Denn der Kurfürst war geradezu vom Jagdteufel besessen, jährlich pflegte er mehr als 100 Hirsche zu erlegen. Und seine Gemahlin Sophie Charlotte teilte diese Leidenschaft. So war es kein Wunder, daß das kurfürstliche Paar beschloß, sofort in die Ludorffsche Heide zu fahren, wo der Kapitale mit seinem Rudel stand, aber es bekam den Hirsch nur flüchtig zu Gesicht. Der kurze Augenblick hatte aber genügt, um den Kurfürsten und seine Gemahlin in höchste Aufregung zu versetzen, denn es handelte sich mit Sicherheit um einen 40-Ender. Solch einen Hirsch hatte man hier noch nie gesehen. Durchlaucht mußten ihn haben, komme, was wolle. Aber schnell sollte es geschehen, denn die Brunft näherte sich ihrem Ende, und dann konnte der Hirsch in das Sächsische wechseln, womit er für den Brandenburger verloren wäre.

Und dann war da noch der heikle Standort am Spreeufer. Denn da gab es ein gefährliches Sumpfgebiet, die Totenleberwiese. Falls der Hirsch, wenn er Feuer bekam, auf diese wechselte, konnte er, wenn die Decke hielt, ungehindert die Spree erreichen und wäre damit verloren. Mareile meinte aber, dann könnte ihr Perkunos, dessen Gatter an die Wiese grenzte, ihn noch zurücktreiben. Und das Mädchen erzählte von den heimischen Sümpfen im Memeldelta und der Wolfsjagd, die sie mit Perkunos geritten war. Der Oberförster und sein Heidereiter waren aber doch sehr aufgeregt, als das kurfürstliche Paar am Vorabend der Jagd gut gelaunt in dem kleinen Jagdhaus eintrafen, in dem das Kurfürstenpaar auch nächtigen wollte. Die Erwartung wuchs, denn der Oberförster und der Heidereiter berichteten immer wieder über das ungewöhnliche Geweih, das sogar einen 48ender verhieß.

Es war noch sehr früh am Morgen, als sich vom Jagdhaus der Wagenzug mit dem Kurfürstenpaar in Bewegung setzte. Der Himmel war wolkenlos, die Luft kühl und klar, der Wind stand gut, alles versprach einen guten Brunftmorgen. Vor der Försterei bestieg der Kurfürst den kleinen Pirschwagen, der ihn und Siebenbürgen nach dem Hauptwechsel auf den langen Weg brachte, dann zurückfuhr und zwischen dem Schirm des Kurfürsten und dem Stand des Oberförsters hielt.

Tiefe Stille, dann der Schrei des Brunfthirsches noch von der Feldkante. Immer näher meldete der Hirsch. Das Leittier des Rudels stand plötzlich, wie aus dem Boden gewachsen, auf dem Weg, der Hirsch schrie aus vollem Halse. Plötzlich stand er auf dem Weg, mächtig wie eine Steinfigur. Der Kurfürst hob die Büchse, der Schuß krachte. In langen Sätzen folgte der Hirsch dem fortbrechenden Wild. Tief aufatmend setzte der Kurfürst die Büchse ab und sah den Heidereiter fragend an: "Siebenbürger, was meint Er?"

"Gnädigster Herr, die Kugel hat geschlagen, aber der Hirsch ist nicht zusammengebrochen. Der Pulverdampf verdeckte die Schußzeichen." Der Kurfürst nickte. "Er hat recht, drauf bin ich gewesen, aber weit nach vorn und sehr hoch abgekommen. Der Hirsch wendete sich, wie ich den Finger an den Abzug brachte. Was machen wir?"

"Der Hirsch ist sicher krank, vielleicht kann ihm der Jäger oben an der Waldkante den Fangschuß geben oder die Hunde bringen ihn zurück. Wir müssen warten.!"

Die Kurfürstin hatte mit ihrem Hofstaat in dem Jagdzelt vor dem Forsthaus Platz genommen und sprach mit der Frau des Heidereiters und den halbwüchsigen Kindern. Nur Mareile war gleich nach dem Eintreffen der Jagdgesellschaft verschwunden. Auf die Frage der Kurfürstin nach dem netten Mädchen meinte die Försterfrau: "Ach, Mareile sitzt sicher irgendwo am Elchgatter, sie will den Hirsch abpassen, wenn er sich womöglich über die Wiese nach der Spree verdrückt. Das will sie mit dem Elch verhindern, den sie wie der Teufel reitet. Meinem Mann ist das gar nicht recht, aber mit ihr ist sowieso nicht vernünftig zu reden. Verliebte haben eben ihren eigenen Kopf ..."

"Verliebt?" fragte die Kurfürstin amüsiert, "da berichte Sie mir mal mehr!" Und so bekam die Kurfürstin die Geschichte von dem Mareile und dem Jäger Boltenstern zu hören, und daß die beiden wohl noch lange nicht ans Heiraten denken könnten, wenn überhaupt ...

Da schreckte ein dumpf dröhnender Büchsenschuß die Frauen auf. Man lauschte, aber als nichts zu hören war, setzte sich die Gesellschaft in Bewegung und begab sich auf den langen Weg. Die Kurfürstin blieb immer wieder stehen und lauschte. "Peinlich, höchst peinlich", murmelte die passionierte Jägerin, "der Schuß ist doch zweifellos aus dem Stande meines Gemahls gefallen - und nun diese drückende Stille!"

"Da ist ja der Hirsch, da auf der Wiese!" Die helle Stimme des ältesten Förstersohnes schreckte die Kurfürstin auf. "Da, da läuft er ja!" Etwa 200 Schritt oberhalb des langen Weges war der Hirsch aus dem Bruchwald getreten und hatte die Totenleberwiese angenommen. Man sah deutlich, wie er müder und müder wurde. Aber mit allen Kräften versuchte er, die rettende Spree zu erreichen. Die Kurfürstin schüttelte den Kopf: "Schade, jammerschade, aber selbst die Hunde würden ihm nicht mehr den Wechsel verlegen und ihn zurückbringen können."

"Wenn nur Mareile hier wär, Perkunos würde es machen, er könnte den Hirsch einholen!" Da löste sich von der Gatterecke ein riesiger schwarzer Schatten, viel größer als ein Hirsch. Auf halbem Weg wendete sich das Ungetüm und nahm geradewegs Richtung auf die Spree. Man hörte eine helle Mädchenstimmen rufen: "Hei, Perkun, heia, Perkunos!"

Inzwischen war der Hirsch, schwer durch die moorige Wiese brechend, in einem Abstand von knapp 300 Schritt vor seinem Verfolger nach der Spree hingezogen. Die Frau des Heidereiters beruhigte die Kurfürstin: "Nur keine Angst! Mareile weiß genau, was ihr Elch leisten kann, sehen doch die gnädigste Frau Kurfürstin: Perkun ist schon an dem Hirsch vorbei und nun wird Mareile ihn wenden und den Hirsch zurück-treiben. Wenn nur der Herr Kurfürst hierher geholt werden könnte!"

Erregt wandte sich Sophie Charlotte zum Gefolge und befahl dem Hofmarschall: "Man verständige sofort den Kurfürsten!" Ja, aber wie? Der Hofmarschall trat vor: "Halten zu Gnaden, Kurfürstliche Durchlaucht, wir wissen nicht, wo sich der Gnädige Herr und der Heidereiter befinden. Und wir haben auch keine Pferde hier."

Der älteste Förstersohn zupfte die ihm am nächsten stehende Hofdame am Ärmel, es war das Fräulein von Hertefeld: "Ich weiß, wo der Vater ist. Und Mareile hat doch die beiden Kunter auf der Koppel." Die Hofdame zögerte nicht lange: "Na, dann los. Wir können auch mal ohne Sattel reiten."

Zu der Pferdekoppel waren es nur ein paar Schritte. In Anne-Marie von Hertefeld wurden Kindheitserinnerungen wach, als sie auf dem kleinen Wildling aus dem Emscherbruch geritten war. Blitzschnell saß sie auf einem der Kunter, der Junge hing wie eine Klette auf dem anderen struppigen Pferdchen. Die Kurfürstin drehte sich erschrocken um: "Mein Gott, Anne-Marie, Kind, was macht sie da?"

"Wir holen Seine Durchlaucht! Wenn das Mädchen bloß nicht den Hirsch zu früh auf den Weg treibt!" Sie jagten davon, näherten sich dem Pirschwagen. Die Hertefeld rief dem Kutscher zu: "Folge mir schnell zum Kurfürsten!" Eine kurze Biegung des Weges, dann standen vor den Reiter der entsetzte Kurfürst und der Heidereiter. Der Kurfürst verstand kaum etwas von den hastig vorgebrachten Worten der Hofdame, aber Siebenbürgen begriff schnell und half seinem Jagdherrn auf den Wagen.

Die Kurfürstin hatte die Lage richtig erfaßt und ihr Gefolge zum Gatterende und Bruchwald beordert, damit sie Mareile zurufen konnte, den Hirsch langsam an den Weg zu drücken, um dem Kurfürsten Gelegenheit zu geben, sich an der Wiese zu postieren. Das Mädchen verstand die Anweisungen, es saß wie angegossen auf dem gesattelten und gezäumten Elch. Der Hirsch verhoffte, setzte dann blitzschnell zum Sprung an und flog dem ihm Sicherheit bietenden Wald zu. Mareile hatte es nicht bemerkt, weil sie sich den Rufenden zugewandt hatte. Perkunos stand einen Augenblick wie erstarrt, als der Verfolgte verschwunden war, dann setzte er zum Sprung an, zu einer so gewaltigen Flucht, daß die Reiterin fast aus dem Sattel geflogen wäre. Tief brach das mächtige Tier durch die Rasendecke, das braune Moorwasser schien über Tier und Reiterin zusammen zu schlagen, dann hatte Perkunos die gefährliche Stelle überwunden und folgte nun willig dem Zügel. Weithin hörte man das Schnauben des riesigen Tieres, in schwingendem Troll, abwechselnd mit großen Sätzen, brach der Koloß links an dem Hirsch vorbei. Die Hand des Kurfürsten legte sich auf die Schulter des Oberförsters: "Unglaublich, Oppen, unglaublich!" Dann flog aus dem Büchsenlauf ein heller Strahl, donnernd hallte der Schuß über das Moor. Der Hirsch senkte den Kopf, ein Zittern durchlief den starken Körper, dann legte er sich auf die Seite. Am Waldrand blies Siegenbürger den Ruf: Hirsch tot!

Die Kurfürstin atmete tief und sagte: "Mein gnädigster Herr Gemahl hat heute wohl die wunderlichste Jagd in seinem Waidmannsleben gehabt!" Und es war wohl auch die wunderlichste Jagdtrophäe, die der Kurfürst und spätere König erringen konnte: mit 66 Enden ein Geweih von nie wieder erreichter Endenzahl. Das kann man noch heute im Königlichen Schloß zu Moritzburg feststellen. Es gab auch eine Vielzahl von Kopien und künstlerischen Nachbildungen wie ein silbernes Trinkgefäß in Gestalt des ruhenden 66enders aus der Hand des großen Andreas Schlüter, das also noch zur Zeit des Geschehens geschaffen wurde. Es soll nach der Abdankung Kaiser Wilhelm II. im Haus Doorn gestanden haben.

Ach ja, und was wurde aus den Amouren, die diese unglaubliche Elchjagd so schön schmücken? Das Fräulein von Hertefeld bekam ihren Oberförster und das Mareile ihren Boltenstern, der als Heidereiter in das Forsthaus in der Jacobsdorffschen Heide einzog, denn Siebenbürger wurde vom Kurfürsten mit einem stattlichen Bauernhof in Biegen belohnt. So jedenfalls zu lesen in einer sehr ausführlich und historisch akribisch geschilderten Geschichte in der Deutschen Jäger- Zeitung aus dem Jahre 1920.

Nur was mit dem Elch weiterhin geschah - das wird leider nirgends berichtet. Der Besiegte, der 66ender, ging in die Geschichte ein. So ist es leider oft im Leben.

Beweis der märchenhaften Tat: Ein stattliches Geweih Foto: Moritzburg


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren