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28.05.05 / Wie zugeschnürt / Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sind ein Standortnachteil im europaweiten Wettbewerb

© Preußische Allgemeine Zeitung / 28. Mai 2005

Wie zugeschnürt
Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer sind ein Standortnachteil im europaweiten Wettbewerb

Nirgendwo sonst in Europa sind die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften so weitgehend geregelt wie hierzulande. Zudem müssen deutsche Unternehmen schon eine Arbeitnehmervertretung akzeptieren, wenn sie nur fünf Mitarbeiter haben. Und auch bei der Unternehmensmitbestimmung nimmt Deutschland eine weltweit führende Stellung ein.

Die deutsche Mitbestimmung steht derzeit auf dem Prüfstand. Zwar hat ein geregeltes Miteinander von Chefs und Belegschaften durchaus Vorteile. Allerdings werden viele Vorgaben, die zum Teil über 30 Jahre alt sind, den Bedingungen einer globalisierten Wirtschaft nicht gerecht.

Beispiel 1: Künftig können sich europäische Unternehmen, die zu Hause nicht der Mitbestimmung unterliegen, in Deutschland niederlassen, ohne hier den deutschen Regelungen unterworfen zu sein. Dadurch büßen heimische Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit ein. Denn nach deutschem Recht gegründete Firmen müssen auch künftig viel Geld - bei großen Unternehmen über vier Millionen Euro für die Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat - und Zeit in die Mitbestimmung investieren.

Beispiel 2: Seit kurzem können Unternehmen in der Europäischen Union eine sogenannte Europäische Aktiengesellschaft bilden. Dabei sollen sich vor der Gründung Arbeitgeber und Beschäftigte einigen, wie weit die Mitbestimmung gelten soll. Erzielen sie keine Übereinkunft, dann greift das weitestgehende Mitbestimmungsrecht, das für eine der beteiligten Gesellschaften gilt. Dementsprechend würden deutsche Unternehmen stets die scharfen deutschen Regelungen mit einbringen.

Schon diese Beispiele machen deutlich, daß das hiesige Mitbestimmungsrecht modernisierungsbedürftig ist - wie auch ein EU-Vergleich zeigt: Fast überall gibt es Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte, die eine Beteiligung der Arbeitnehmer am betrieblichen Willensbildungsprozeß vorsehen. Während sich in den westeuropäischen Ländern diese Strukturen über Jahrzehnte hin entwickelt haben, sind sie in den mittel- und osteuropäischen Beitrittsländern relativ schnell entstanden - und längst nicht so ausgereift. Gleichwohl lassen sich die verschiedenen Modelle einteilen: Reine Arbeitnehmervertretungen finden sich zum Beispiel in Deutschland, Griechenland, Lettland, Litauen, den Niederlanden, Österreich, Portugal, der Slowakei, Spanien und Ungarn. Hier wählen die Arbeitnehmer des Betriebes in einem bestimmten Turnus in einer freien und geheimen Wahl ihre Vertretung. Diese schließt, wie etwa in Deutschland, mit dem Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen ab. In Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland und Luxemburg gehören dem Betriebsrat dagegen auch der Arbeitgeber oder sein Stellvertreter an. In Frankreich sitzt der Chef des Unternehmens oder sein Vertreter sogar dem Betriebsrat vor. Reine Gewerkschaftsvertretungen sind in Finnland und Schweden sowie in England und Irland zu finden, wo die Gewerkschaften eine Doppelfunktion sowohl innerhalb als auch außerhalb des Betriebs haben. So beruhen in England die Rechte der Shop Stewards in Unternehmen auf kollektiven Vereinbarungen, die sowohl auf betrieblicher als auch überbetrieblicher Ebene abgeschlossen werden können.

In Deutschland, Lettland und der Slowakei beginnen die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer bei fünf Beschäftigten. In Tschechien, der Slowakei und in Litauen kann bereits ab drei Beschäftigten eine Betriebsgewerkschaft aktiv werden.

Meistens greift die Mitwirkung beziehungsweise Mitbestimmung aber erst bei 20, 30 oder 50 Arbeitnehmern.

Vor allem ist die "erzwingbare" Mitbestimmung in Deutschland sehr weit ausgebaut. Neben der gesamten Arbeitsordnung betrifft sie Fragen der betrieblichen Lohngestaltung oder Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Umgruppierungen und Kündigungen; überdies gibt es ein Zustimmungsrecht für Personalangelegenheiten.

In den meisten anderen europäischen Ländern sind die Mitbestimmungsrechte auf rein soziale Angelegenheiten oder auf Massenentlassungen beschränkt. Keine erzwingbare Mitbestimmung gibt es in Estland, Griechenland, Litauen, Schweden und Spanien. In England und Irland können die Gewerkschaftsvertretungen Verhandlungen über Arbeitsbedingungen, Arbeitskräfteverteilung oder Löhne durchführen.

Auch kennt man in Deutschland verschiedene Varianten der Mitbestimmung auf Unternehmensebene: In etwa 3.500 Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften mit 500 bis 2.000 Arbeitnehmern setzt sich der Aufsichtsrat zu einem Drittel aus Arbeitnehmern und zu zwei Dritteln aus Vertretern der Anteilseigner zusammen. Eine derartige Eindrittel-Beteiligung kennen nur noch Österreich, Polen, die Slowakische Republik, Ungarn und Slowenien.

Haben Kapitalgesellschaften hierzulande mehr als 2.000 Beschäftigte, wird der Aufsichtsrat paritätisch besetzt. Auf Arbeitnehmerseite ist ein Sitz den leitenden Angestellten des Unternehmens vorbehalten, und - je nach der Größe des Unternehmens - haben die Gewerkschaften zwei bis drei reservierte Sitze. Diese Mitbestimmung gilt für etwa 760 Unternehmen und hat seit Inkrafttreten im Jahr 1976 ständig zugenommen.

Ein solches paritätisches Modell gibt es neben Deutschland nur in Slowenien. iwd

Hart umkämpft: Während die Gewerkschaften auf die errungenen Mitbestimmungsrechte stolz sind, sehen Unternehmer diese als Behinderung im internationalen Wettbewerb. Foto: Joker


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