23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
04.06.05 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / 04. Juni 2005

Nicht heulen / "Die EU-Verfassung lebt!" Sie ist nur etwas blaß und kalt geworden, atmet nicht mehr und ihr Puls steht
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Am Sonntag ist etwas Schreckliches passiert: Die demokratische Elite ist völlig überraschend dem Volk begegnet und hat fürchterlich was auf die Schnauze gekriegt. Den deutschen EU-Kommissar Günter Verheugen hat es besonders doll erwischt. Er plapperte wirres Zeug wie nach einem schweren Schädeltrauma: "Der Ratifizierungsprozeß der Europäischen Verfassung geht wie geplant weiter!" Weiter? Wohin?? Der arme Junge! Die Regierungschefs der EU-Länder drückten sich nach dem französischen Referendumsdebakel fest die Hände und machten sich gegenseitig Mut wie die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe für geprügelte Ehepartner: Das wird schon noch, Kopf hoch, nicht heulen.

Niemand vergaß allerdings, ganz staatsmännisch, den Franzosen seinen "Respekt vor ihrer souveränen Entscheidung" zu zollen, um gleich danach festzustellen, daß jene "souveräne Entscheidung" aber natürlich "keinen Einfluß auf die weitere Entwicklung Europas" haben dürfe. Bei den wesentlichen Fragen herrsche nämlich "weiterhin Übereinstimmung". In gewisser Hinsicht haben die Politiker da sogar recht: Ihre Vorstellung von europäischer Demokratie entspricht genau dem, was die Gallier von ihnen erwarten und weshalb sie mit Nein gestimmt haben: Alle Politiker bekunden andauernd ihren Respekt vor dem Volkswillen, vor dem "Souverän". Zu entscheiden hat der in Europa aber gar nichts, da gilt das gestrenge "Weiter so" nach den festgezurrten Konzepten von Konventen, Kommissionen und Räten. In Frankreich haben Staatslenker soviel Selbstbewußtsein schon einmal auf der Guillotine gebüßt.

Abgesehen von der gemeinsamen Vorstellung von "europäischer Demokratie" verstehen sich die beiden Lager im Verfassungsstreit allerdings ebensowenig wie Marie Antoinette die Bettler von Paris, denen sie Kuchen empfahl, wenn das Brot knapp sei. Die Verständnislosigkeit ist aber auch kein Wunder. An diesem Sonntag ist nämlich für alle deutlich sichtbar geworden, daß in Europa zwei völlig unterschiedliche Gattungen von Menschen leben. Da sind zum einen die Politiker, die Medienmacher und die Teilnehmer von Straßenumfragen. Die waren alle für die Verfassung. Auf der anderen Seite stehen die Leserbriefschreiber, die das Konvolut zum Teufel wünschen. Ja, interessant, nicht war? Der Verfasser dieser Zeilen hat etliche Spontan-Interviews deutscher Reporter mit "ganz zufällig ausgewählten" Durchschnittsfranzosen im Fernsehen verfolgt - und siehe da: alle waren ganz hin und weg von der Verfassung und wollten "selbstverständlich mit Ja stimmen". Daraus läßt sich nur folgern: Die Nein-Sager verweigern sich feige jeder Straßenumfrage. Deshalb werden sie auch keine Journalisten, weil sie keine Gelegenheit haben, bei Straßenbefragungen welche kennenzulernen, die schon Medienleute sind und die sie an den Job heranführen könnten. So kommt es wohl, daß in den Redaktionen fast nur Ja-Sager gelandet sind: Die Kommentare zum französischen Nein, ob gedruckt oder gesendet, waren jedenfalls beinahe durchweg von "großer Sorge" und "Enttäuschung" zerfurcht. Was von den Medienkonsumenten wiederum nicht im Geringsten geteilt wird: Die deutschen Leserbriefschreiber geben sich fast geschlossen begeistert von den französischen Ablehnung.

Kann man einer so zerstückelten Gesellschaft von Menschen, die sich offensichtlich nie persönlich begegnen, eine so wichtige Entscheidung wie die über die EU-Verfassung überhaupt zubilligen? Nein, hat die deutsche Politik entschieden und die getreuen Medien sind sofort darangegangen, den Deutschen zu "vermitteln", daß es so auch besser ist. Einst nannte man die Medienleute "Herolde", die dem analphabetischen Pöbel die Entscheidungen seines Herrschers mitteilten. Weise Männer bestanden seinerzeit darauf, daß das Volk auch weder Lesen noch Schreiben lernt, damit es nicht - von unzensierten Informationen angestachelt - aufmüpfig werde. Das gibt Hoffnung: Schreitet der "Pisa-Prozeß" weiter voran, dürfen auch wir Deutschen vielleicht eines Tages zu Volksabstimmungen schreiten - weil wir sowieso nicht erfahren, worum es geht. In Frankreich hat die Lesefähigkeit des Volkes dem gegenüber entscheidend zum Desaster beigetragen. Dort rangierten gleich vier trockene Sachbücher zur EU-Verfassung auf den Bestsellerlisten! Die darin enthaltenen Erklärungen über Sinn und Folgen einzelner Bestimmungen haben die Herkulesarbeit der Verfassungsväter zunichte gemacht. Die hatten ihr Werk in einen gewaltigen Kokon von fast einem halben Tausend Artikeln und Absätzen gewickelt, den kein gewöhnlicher Sterblicher entwirren kann. Alles für die Katz, weil ein verräterischer Haufen französischer Autoren seinen Lesern die Zusammenhänge gepetzt hat. Nun wußten Millionen von Franzosen mehr über die Verfassung als deutsche Bundestagsabgeordnete.

Aber: Die Verfassung ist trotz allem nicht tot, versichert uns der Kanzler. Nein, sie ist nur ein wenig blaß und kalt geworden, atmet nicht mehr und ihr Puls steht seit Sonntag still. Ansonsten ist sie nicht minder dynamisch als die rot-grüne Koalition in Berlin. Dort geht "der Prozeß" (hier nicht der "Ratifizierungs-" sondern der "Reformprozeß) ja auch "unbeirrt weiter", wie Heuschrecken-Vertilger Franz Müntefering klargestellt hat, "und zwar über die Bundestagswahl hinaus". Man hat das Gefühl, die haben die Geisterstunde auf zwölf Uhr Mittags verlegt. Im hellen Tageslicht schwirren überall politische Leichen umher. Claudia Roth ähnelte ja schon immer ein wenig der gemarterten Jungfrau aus dem Horrorfilm, deren Empörung über das ihr Angetane unstillbar bleibt. Ja, jetzt feixen sie noch, die Wirtschaftsbosse, Christdemokraten, Arbeitsplatzinhaber und -sucher. "Aber wartet nur, wenn wir doch wiederkommen nach der Septemberwahl!" zischt es finster von den Grünen.

Verbraucherschutzministerin Renate Künast rasselt grimmig mit den Ketten und zeigt den Zufrühfreuern schon mal ihre Folterinstrumente: Die "Idee des qualitativen Wachstums", die uns bereits den Atomausstieg, die Windradwälder und den Niedergang der deutschen Genforschung eingebracht hat, will sie nach einem Wahlerfolg "auf andere Bereiche der Wirtschaft übertragen". Als Beispiel nannte sie laut Spiegel die Auto- und die chemische Industrie. Amerikanische Pharmakonzerne und japanische Autobauer würden grün wählen.

Habemus Mamam Zeichnung: Götz Wiedenroth


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren