26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
11.06.05 / Republik ohne Kompaß

© Preußische Allgemeine Zeitung / 11. Juni 2005

Gedanken zur Zeit:
Republik ohne Kompaß
von Klaus Hornung

Der Verfasser und der Verlag hätten sich wohl kaum träumen lassen, daß dieses Buch "Republik ohne Kompaß - Anmerkungen zur deutschen Außenpolitik" durch die vorgezogene Bundestagswahl eine ebenso aktuelle wie prinzipielle Bedeutung gewinnen wird. Denn in der Tat: Deutschland ist heute ein Land, ein Staat "ohne Kompaß", nicht nur in der Außenpolitik, sondern auch historisch-politisch, gesellschaftlich, kulturell weithin ein "Volk ohne Kompaß". Der Autor Hans-Peter Schwarz wäre wohl imstande, auch darüber Erhellendes zu sagen, hatte er doch vor zehn Jahren schon den "Gezähmten Deutschen" den Spiegel vorgehalten mit ihrem großen Schwenk von (Hitlers) "Machtversessenheit" zur heutigen "Machtvergessenheit" (vieler unserer politischen, medialen, intellektuellen Kommandoinhaber).

Jetzt konzentriert sich Schwarz auf die Außenpolitik mit ihrer Bilanz nach sieben Jahren einer unsicheren rot-grünen Ära und 15 Jahre nach dem welthistorischen Umbruch von 1990/91. Ungeschminkt sagt der Autor gleich zu Beginn: Deutschland ist heute mit einer dreifachen Krise konfrontiert, mit der jedem deutlichen ökonomischen Krise, mit einer historisch-politischen Identitätskrise, wie sie eben wieder im Bewältigungs- und "Befreiungs"-Getöse zum 8. Mai zum Ausdruck kam, und mit dem "kritischen Zustand der deutschen Außenpolitik". Hier erhebt sich zum Beispiel nicht nur die Frage, wie sich unser Land "in der Völkerwanderung behaupten kann, an deren Anfängen wir heute stehen". Wir haben es nicht zuletzt mit der Auflösung bisher festgefügter Strukturen des Westens zu tun, der Nato, des Vertrauens zu Amerika, aber auch der Europäischen Union nach ihrer hybriden Osterweiterung. Von diesen Strukturen hatte Deutschland sich während der letzten 50 Jahre Sicherheit versprochen und sie auch erhalten. Nun ist das alles "aus dem Gleichgewicht geraten" und die Orientierungslosigkeit ist groß, nicht nur bei der Bundesregierung, sondern auch bei allen Parteien und in der Gesellschaft insgesamt.

Mit geübten Schnitten begegnet Schwarz dem heutigen "Herumtappen in den Korridoren des Chaos", indem er klare Kompaß-Weisungen erarbeitet. Da sind zunächst die Verflechtungen unserer Außenpolitik mit den schweren ökonomischen Problemen, in die wir geraten sind: "Zu besichtigen ist die Außenpolitik eines Landes, mit dem es bergab geht", sagt Schwarz beinhart. Das Land des Wirtschaftswunders nach dem Krieg ist zum Schlußlicht des Wachstums in Europa geworden, zum "deutschen Patienten". Der Autor stellt dann inmitten der bei uns üblich gewordenen vor allem gesinnungsethischen Diskussion durchweg inkorrekte Fragen und gibt entsprechende Antworten. Der Frage, wie gefährlich Amerika nach dem 11. September 2001 sei, stellt er die Frage entgegen, wie unentbehrlich es für uns dennoch bleibe. Im europäischen Machtgefüge ist seit dem Irakkrieg eine deutliche Teilung zwischen den traditionellen europäischen Integrationisten um den französisch-deutschen Kern auf der einen Seite und den "Atlantikern" von Großbritannien bis Osteuropa auf der anderen entstanden. In dieser Lage folgert Schwarz für die deutsche Außenpolitik: "Nur Narren legen sich ohne Not mit einer Weltmacht an." Ohnedies ist für Schwarz die Vorstellung einer europäischen "Weltmacht" mit einer militärischen Kapazität auf Augenhöhe mit den USA nichts als Utopie und Traum, und das bisherige französisch-deutsche Führungsduo in Europa habe ohnedies seine dominierende Kraft verloren.

Auf die beiden bilanzierenden Teile mit ihren inkorrekten Fragen folgt der konstruktive dritte Teil unter der provozierenden Überschrift "Deutsche Staatsräson". Hier knüpft Schwarz an eine große Tradition deutschen historisch-politischen Denkens an. Aus diesem Maßstab deutscher Staatsräson und der daraus abgeleiteten Definition deutscher "Interessen" am Beginn des dritten Jahrtausends ergeben sich für Schwarz einige grundlegende Konsequenzen. Zwar war es folgerichtig, nach der Katastrophe von 1945 die deutsche Staatsräson in den neuen Kontext europäischer Staatsräson und Interessendefinition einzuordnen, ohne indes das Prinzip der Selbstbestimmung im eigenen Staat aufzugeben. Später hat man jedoch, nicht zuletzt als "Preis" für die Wiedervereinigung, "weitreichende Souveränitätsrechte des eigenen Staates, teils wohlmeinend, teils unachtsam" zur europäischen Disposition gestellt und geriet damit "auf einen neuen deutschen Sonderweg in der EU, deren Partner größtenteils nicht bereit sind, ihre jeweilige Staatsräson an der Garderobe zum Europäischen Rat und zur EU-Kommission abzugeben". Ab 1998 haben dann insbesondere auch die rot-grüne Bundesregierung und ihr Außenminister diesen deutschen Sonderweg zum europäischen Bundesstaat mit besonderer Intensität verfolgt, um die eigenen Souveränitätsrechte und -pflichten hier endlagern zu können.

Schwarz begegnet dem Konzept des europäischen Bundesstaates mit Distanz und sieht die diesbezüglichen deutschen Hoffnungen aller Parteien heute schon weitgehend verweht. Er lehnt die Abgabe weiterer Souveränitätsrechte ebenso ab wie die europäische Verfassung und den Beitritt der Türkei. Die europäischen Institutionen sind schon schwer genug kontrollierbar und sie schwächen nur die Demokratie in den Mitgliedsländern. Die entscheidende und realistische Aufgabe ist für ihn nicht die Errichtung einer "Weltmacht Europa", sondern die Erhaltung des bestehenden Entwicklungsstandes der EU im Sinne eines "unverzichtbaren Korsetts integrierter und kooperativer Zusammenarbeit, aber nicht mehr - wie man das in Deutschland gerne gesehen hätte - als ‚unvollendeter Bundesstaat', den zu vollenden jedermann aufgerufen ist". Kurzum: Es gilt den verlorenen Kompaß einer wohlverstandenen deutschen Staatsräson wiederzuentdecken im Sinne einer Ellipse mit zwei Brennpunkten, des nationalstaatlichen und des europäischen, mit dem vorrangigen Fixpunkt des ersteren auch für Deutschland, nachdem deutlich geworden ist, daß die meisten unserer Partner in der EU immer noch die Interessen ihres eigenen Staates als primär betrachten. "Für sie alle ist der eigene Staat, pointiert formuliert, gleichzeitig eine Herzens- und eine Verstandessache, die EU vorwiegend eine Verstandessache." Dabei hätte diese wohlverstandene Staatsräson, wie bei den anderen auch, eher im Hintergrund wirksam zu sein, unprovozierend, europäisch orientiert und gegenüber der Staatengemeinschaft verbindlich.

Und daraus leitet Schwarz dann die Leitlinien, Maximen heutiger wohlverstandener deutscher Staatsräson ab: an erster Stelle die Wiederherstellung und Pflege guter Beziehungen zu den USA und zur atlantischen Gemeinschaft, mögen die Vereinigten Staaten auch ein ambivalenter Partner sein, jedenfalls unter nüchterner Einschätzung der globalen Machtverhältnisse; sodann die europäische Integration und Kooperation in dem skizzierten Sinn, jedoch nicht als Juniorpartner Frankreichs; an dritter Stelle als internationaler Handelsstaat und Exportnation par excellence die deutsche Mitwirkung in der Weltpolitik mit Maß und Zurückhaltung, die sich auch auf mögliche Auslandseinsätze der Bundeswehr beziehen, deren Umfang Grenzen zu setzen sind; schließlich die Sicherung und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unseres Landes, ohne die interessenwahrende Außenpolitik unter dem Maßstab der Staatsräson undenkbar ist.

Schwarz' Buch mit seiner klaren, eleganten Sprache, wie sie in vielen politikwissenschaftlichen Publikationen selten geworden ist, sieht die Orientierung an deutscher und europäischer Interessenlage und Staatsräson als Kompaß deutscher Außenpolitik in einem betonten Gegensatz zur schwankenden, gesinnungsethischen und vergangenheitsbewältigenden deutschen Politik der letzten sieben Jahre. Wer immer im Herbst in das Auswärtige Amt am Werderschen Markt in Berlin einziehen wird, wird gut beraten sein, Hans-Peter Schwarz' "road-map" gründlich zu studieren und als konstruktives Konzept deutscher Außenpolitik für die kommenden Jahre zu nützen.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren