29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
18.06.05 / Deutschland im Börsenwahn / Hans-Joachim Selenz über den "Neuen Markt" und andere Luftblasen

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Juni 2005

Deutschland im Börsenwahn
Hans-Joachim Selenz über den "Neuen Markt" und andere Luftblasen

Wer erinnert sich noch an die ,,Cash-Burning-Ratio"? Übersetzt: die ,,Geld-Verbrennungs-Geschwindigkeit"! Dieser Begriff wurde in der Hochphase des "Neuen Marktes" geboren. Er sollte der wahnsinnigen Veranstaltung an den Börsen einen tieferen Sinn unterlegen. So wollten "Analysten" erklären, warum ein Unternehmen einen irrsinnigen Wert habe, obwohl es doch nur Geld verbraucht beziehungsweise verbrennt. Und das in irren Mengen.

Je mehr Geld verbrannt wurde, desto "wertvoller" war die Firma. Man bezahlte bereits die geplante oder erhoffte Dividende des Jahres 2973. Natürlich wärmten sich einige Herrschaften ihre schmutzigen Finger an den Geld-Bränden. ,,Seriöse" Banken brachten Firmen an die Börse, von denen jedes Mitglied im Vorstand wußte, daß es sich um Blender handelte. "Unternehmer" mit einschlägiger Vergangenheit als willige Strohmänner gab es zur Genüge. Daß bei dieser Wahnsinnsveranstaltung Hunderttausende Kleinanleger Milliarden in den Börsen-Sand setzten, war der tiefere Sinn der Veranstaltung! Das Geld ist ja nicht verschwunden. Es befindet sich lediglich in anderen Händen. Kollateral-Schäden nennt man so etwas heute. Unvermeidbar also... Die Blase ,,Neuer Markt" machte nämlich letztlich das, was jede Blase final macht. Sie platzte.

Haben wir daraus gelernt? Offensichtlich nicht. Mit der "Blasenbildung" geht es munter weiter. Aktuell: Die Welt-Firma Siemens verkauft ihre Handy-Sparte, wegen Verlusten von zur Zeit 1,5 Millionen Euro pro Tag. Das Unternehmen trennt sich am Hochlohnstandort Deutschland von einer Hochtechnologie-Sparte mit enormen Wachstumschancen. Der Erwerber, die taiwanesische Firma BenQ, erhält als Morgengabe noch 350 Millionen Euro in bar dazu. Die Zukunft der Produktionsstandorte in Deutschland und die der 6.000 Mitarbeiter ist völlig offen. Der Käufer kündigt an, Kosten bei den Zulieferern zu drücken. Mit Infineon werde man weiter arbeiten - wenn der Chip-Hersteller gute Preise in die Partnerschaft einbringe. Zur Erinnerung: Infineon war am 13. Februar 2000 in der Hoch-Zeit des "Neuen Marktes" für 35 Euro pro Aktie an die Börse gebracht worden. Von Siemens! Der aktuelle Kurs liegt bei nur noch 7,31 Euro. Darüber hinaus schließt Bosch-Siemens zum Jahresende das Waschmaschinenwerk in Berlin-Spandau. Hunderte Mitarbeiter stehen dann auch dort auf der Straße.

Die Entscheidungsstrukturen im Hause Siemens seien zu schwerfällig für das schnellebige Konsumgeschäft, heißt es. Siemens hat kein Produktions-, sondern ein Marketing- und Vertriebsproblem. Hat Siemens die richtigen Manager? Siemens-Chef Kleinfeld kündigt auch für andere Problemfelder des Konzerns ,,schnelle Lösungen" an - wenn fertige Innovationen doch nur ebenso schnell in neue Siemens-Produkte umgesetzt würden! Parallel dazu kündigt Electrolux an, den Standort Nürnberg mit 1.750 Mitarbeitern zu schließen. Dort produzierte Hausgeräte seien auf dem deutschen Markt nicht mehr zu verkaufen. Einige deutsche Manager sägen gerade die Äste ab, auf denen wir und unsere Kinder auch in Zukunft sitzen und ernten wollen. An abgesägten Ästen wachsen keine Früchte mehr. Sie trocknen aus, taugen nur noch zum einmaligen Verbrennen.

Und was macht die Börse? Sie reagiert euphorisch. Der Dax steigt durch den Siemens-Schub auf ein neues Jahreshoch. Schnelles Geld und heiße Luft. Blasenbildung! Das Quartalsergebnis kann tatsächlich kurzfristig besser werden. Aber wovon will Siemens, wovon wollen wir in 40 Quartalen leben? Das sind nur 10 Jahre! Es ist ein Irrglaube, anzunehmen, wir könnten uns zu einer reinen Service-Gesellschaft entwickeln, weil Produktion bei uns zu teuer ist. Wovon - bitte schön - wollen wir Friseur und Bäcker bezahlen? Wir können uns schließlich zukünftig nicht nur gegenseitig die Haare schneiden oder Brötchen backen! Fit bleibt man im Weltmarkt nur, wenn man selbst produziert. Produktion im ständigen Dialog mit dem Kunden - das hält in Form und erhält die Arbeitsplätze. Die ,,alte" Stahlindustrie macht uns das seit langem vor. Und das ist keine Blase!

Der Autor dieses Beitrages, Professor Dr.-Ing. Hans-Joachim Selenz, war unter anderem Vorstandssprecher der Preussag Stahl AG und Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren