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18.06.05 / Wenig Hoffnung an den Rändern / Fall Grohe: Die Herzberger Katastrophe droht vielen Kleinstädten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Juni 2005

Wenig Hoffnung an den Rändern
Fall Grohe: Die Herzberger Katastrophe droht vielen Kleinstädten
von Annegret Kühnel

Welches Lied ist angemessen? Die Schicksals-Arie über das unvermeidliche Sterben der brandenburgischen Provinz? Oder der Haßgesang auf die Heuschrecken der Globalisierung? Dem Anschein nach geht es in dem Städtchen Herzberg (Elbe-Elster-Kreis) zu wie in Rolf Hochhuths grauslich-realistischem Stück "McKinsey kommt": International agierende Plattmacher ohne nationale Bindung und soziales Gewissen machen ein florierendes Werk des Armaturen-Herstellers Grohe dicht. Aus Renditegründe stürzen sie eine ganze Region in den Abgrund.

Herzberg mit seinen 11.000 Einwohnern liegt 120 Kilometer südlich von Berlin nahe Sachsen und Sachsen-Anhalt. Von 1939 bis 1945 befand sich hier der Sendemast des Deutschlandsenders, ein 330 Meter hohes Wunderwerk der Technik, das am 21. April 1945 zerstört und danach von den Russen demontiert wurde. Der Armaturenhersteller Grohe, ein Traditionsunternehmen mit weiteren Niederlassungen in Lahr (Schwarzwald) und Hemer (NRW), ist hier wichtigster Arbeitgeber und Steuerzahler. 1999 verkaufte Familie Grohe ihr Unternehmen. Über einen Zwischenschritt gelangte es an zwei amerikanische Finanzfonds, die den Kauf mit Krediten finanzierten, für die das gekaufte Unternehmen nun selber geradestehen muß. Selbst die wirtschaftsfreundliche FAZ nennt diese Geschäftspolitik "fatal". Da Grohe unter den Zinsen zusammenzubrechen drohte, wurden Beraterfirmen mit dem Aufspüren überflüssiger Kosten beauftragt. Ergebnis: radikaler Personalabbau, Einschränkung der Produktpalette und Verlagerung ins billigere Ausland.

Die Finanzfonds haben es abgelehnt, sich mit den Bürgermeistern der betroffenen Städte zu treffen. Umstrukturierungen und Sozialpläne seien Aufgaben der Direktion, in die man sich als Kapitaleigner nicht einmischen wolle, hieß es. Am härtesten trifft es Herzberg, das zum Jahresende geschlossen wird. Die 300 Angestellten haben ihre Kündigungen bereits erhalten. Jetzt geht es nur noch um die Sozialpläne und um die Auffanggesellschaft zur Umschulung der Belegschaft.

Verzweiflung und Zorn in Herzberg: "Kriege, Russen und die Stasi überlebt - Amis machen uns kaputt", hieß es auf einem Plakat. Die Auswirkungen für die Kommune sind katastrophal. Die Arbeitslosigkeit wird von 22 bis auf 30 Prozent steigen, Steuerausfall: 500.000 Euro. Bibliothek, Schwimmbad und der kleine Tierpark sind nicht mehr zu halten. Bürgermeister Michael Oecknigk (CDU) spricht von einer "Situation der Ohnmacht". Die Kaufkraft wird sinken, mit bösen Folgen für Gewerbe, Dienstleistungen und Handwerk. Irgendwelche neuen Arbeitsmöglichkeiten gibt es weder in der näheren noch ferneren Umgebung. Die Landesregierung will die Stadt bei der Suche nach neuen Investoren unterstützen, doch was heißt das schon?

Weder Direktion noch Belegschaft wollten den Betrieb in eigene Regie übernehmen. Könnte das nicht ein Hinweis darauf sein, daß die amerikanische Heuschrecken-Invasion ein strukturelles Problem vielleicht nur sichtbar gemacht und eine Zeitbombe zur Explosion gebracht hat? Bereits im September 2004, als Ministerpräsident Matthias Platzeck im Wahlkampf die Grohe-Werke besuchte, gab es Hinweise auf Schwierigkeiten. Der Geschäftsführung fielen damals mehr Nach- als Vorteile des Standorts Herzberg ein.

Nachteilig seien die "katastrophale Zuwegung", die weite Entfernung von der Autobahn und die geringe Betriebsgröße. Auf der Internetseite der Stadt heißt es: "Herzberg als lebendiges Zentrum des Elbe-Elster-Landes erwartet seine Gäste inmitten ausgedehnter Wälder." Eine dünnbesiedelte, strukturschwache Gegend also. Das könnte noch anderen kleinen Städten zum Verhängnis werden: Meinhard Miegel, Direktor des Godesberger Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft, sagt den meisten Randregionen ein kaum aufzuhaltendes Ausbluten voraus.


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