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18.06.05 / Rasselnde Wecker und schlanke Messer / Ein Besuch im Wiener Bestattungsmuseum erlaubt einen Blick auf Bräuche aus mehreren Jahrhunderten

© Preußische Allgemeine Zeitung / 18. Juni 2005

Rasselnde Wecker und schlanke Messer
Ein Besuch im Wiener Bestattungsmuseum erlaubt einen Blick auf Bräuche aus mehreren Jahrhunderten

Ein Mensch sieht ein, daß wer, der stirbt, den andern nur den Tag verdirbt ..." Derart herzerquikkend beginnt ein Gedicht von Eugen Roth. Doch im kaiserlichen Wien bereitete eine Beerdigung keineswegs nur Verdruß, viel eher bot sie den an der Feierlichkeit Teilnehmenden Anlaß zu erwartungsfreudiger Gemütsbewegtheit. Diese steigerte sich zu erhabener Ergriffenheit, wenn es sich um eine pompöse Bestattung handelte. Dann war es "a schöne Leich". Demzufolge hütet das 1967 gegründete Bestattungsmuseum kostbare Zeugnisse.

Wer das Haus betritt, verfällt der vielschichtigen Faszination ... Ob reich oder arm, stets begann die Trauerzeremonie mit der Aufbahrung des Verstorbenen im eigenen Heim. Der "Ausstatter" richtete das "Paradebett", plazierte die Kerzenleuchter, dekorierte Möbel und Türen mit Portieren. Zu sehen sind Trauergewänder, wallende Sargdecken, Prunksärge, Totenkronen, Windlichter auf schmalen Stäben. Silberne Laternen schmücken den mit Silber beschlagenen, gläsernen "Leichenwagen Super I. Classe" der "Ersten Wiener Leichenbestattungsanstalt Entreprise des pompes funèbres" von anno 1867.

Um den barock-pittoresken Geschmack der Wiener einträglich zu nutzen, hatten die Beerdigungsunternehmen sieben Ausstattungsklassen parat. Es gab Leichenwagen, die vor Samtbehängen und Seidenquasten kaum Platz für den Sarg boten. Unverschämte Preistreiberei fand statt. Die Machenschaften erbosten die Wiener, die ihre Freude an der "schönen Leich", aber einer bezahlbaren bitte, bedroht sahen. Der Wunsch nach einem "verstädtischten Bestattungswesen" wurde laut. Er ging 1907 in Erfüllung ...

Gegen Protzerei hatte schon Joseph II. anno 1784 gewettert. Der vom Geist der Aufklärung durchdrungene "Reformkaiser" mutete den Wienern zu, sich des von ihm per Hofdekret verordneten "Spar- und Plumpssarges" zu bedienen. Das Unikum ging als "josephinischer Retoursarg" in die Geschichte ein. Bediente man den Seilzug, klappte der Sargboden auf. Der Tote kippte in die Gruft. Ob dieses Vorgehens schäumten die Wiener. Und vielleicht wäre aus Trotz kein einziger von ihnen mehr gestorben, wenn die verhaßte "Plumpssarg"-Verordnung nicht fix zurück-genommen worden wäre ...

Mehr als den Tod fürchteten viele den Scheintod. Die "Totenbeschauer", die das Ableben feststellen mußten, durften nicht mit Vertrauen rechnen. Gerard van Swieten, Leibarzt der Kaiserin Maria Theresia, hielt die Prüfer alle-samt für "Ignoranten". Daraufhin bestimmte die Kaiserin 1755, daß Tote erst nach 48 Stunden begraben werden dürfen.

Mancher meinte, selbst nach dieser Zeit sei ein quicklebendiges Erwachen möglich. Um diese Ängste zu beiseitigen, wurde 1828 ein "Rettungswecker" in der Totenkapelle des Währinger Friedhofs installiert. Eine Schnur führte von der Hand des Aufgebahrten zum Wecker im Zimmer des Friedhofswärters. Regte sich der Scheintote, rasselte es Alarm. Beklommen verweilen Museumsbesucher vor dieser Rarität.

Ebenfalls nicht gerade Erbauliches zeigte das Illustrirte Wiener Extrablatt vom 5. Oktober 1874. Beharrlich prägt sich die "Provisorische Leichenkammer mit telegraphischen Weckapparaten zur Rettung Scheintoter" ins Gedächtnis. Der Zentralfriedhof verfügte über diese Neuheit. Wiener gab es, die alldem mißtrauten. Deshalb begehrten sie die Anwendung des sichersten Instruments für Todesgewißheit. Das war ein unauffälliges, schlankes Messer, eine Art Stilett. Schimmernd liegt es in der Vitrine. Mit ihm wurde auf Wunsch der "Herzstich" vor dem Einsargen ausgeführt. Die Dichter Johann Nestroy und Arthur Schnitzler hatten sich dieser Methode - sozusagen - anvertraut.

Das anrührendste Exponat im Hause ist ein Aquarell. Es zeigt einen würdigen, älteren Mann in Zeremonienkleidung: schwarzer Zweispitzhut mit Blütenstrauß auf der Krempe, schwarze Uniform, Stiefel. In seinem weiten, roten Mantel birgt er einen Kindersarg. Diese "Kindersargträger" hatte Maria Theresia zur letzten Ehrung ihrer jüngsten Bürger eingeführt. Dem Gedanken lag die "Schutzmantel-Symbolik" zugrunde ...

Wiens "schöner Leich", dem "Glanz- und Gloria-Begräbnis" war ein langes Leben beschieden gewesen. Im Barockzeitalter hatte es begonnen. 1955 wurde ein neues Trauerzeremoniell eingeführt, von dem es hieß, daß es modernen Vorstellungen entspreche. Seitdem ist die "schöne Leich" bei weitem nicht mehr ganz so schön, raunt es in Wien. Esther Knorr-Anders

Wiener Bestattungsmuseum, Goldeggasse 19, A - 1040 Wien; Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 12 bis 15 Uhr. Voranmeldung erforderlich

Besonders würdevoll: Kleiner Prachtwagen der Wiener Städtischen Bestattung (etwa 200 Jahre alt) Foto: Museum


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