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25.06.05 / Auf der Suche nach der verlorenen Mitte / "Anti-Heuschrecken-Forum" der SPD in Berlin

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Juni 2005

Auf der Suche nach der verlorenen Mitte
"Anti-Heuschrecken-Forum" der SPD in Berlin

Das Foyer im Willy-Brandt-Haus quillt geradezu über, so groß ist der Andrang der Journalisten zum SPD-Kongreß "Soziale Marktwirtschaft". Die ARD tituliert die Veranstaltung harmlos als Wirtschaftskongreß - intern reden die Genossen dagegen vom "Anti-Heuschrecken-Forum".

Eine blonde Sozialdemokratin eröffnet die nachmittägliche Tagung. Der Andrang sei so groß gewesen, daß ein Teil der Besucher oben im fünften Stock plaziert werden mußte, referiert sie. "Es ist eine solidarische Tat und eine soziale Tat, daß diese Teilnehmer darauf verzichten, hier unten sitzen zu dürfen", sagt sie. Den Begriff "solidarisch" hören wir noch oft an diesem Nachmittag.

"Hier unten" jedenfalls ist die Stimmung der SPD total im Keller. Deswegen hat Franz Müntefering diese Sitzung einberufen, bei der das Verhältnis der Partei zum Kapitalismus geklärt werden soll. Vor allem aber soll der Schulterschluß mit dem Kanzler hergestellt werden. Der Parteichef hat diesen Termin bereits im April festgelegt, als noch niemand an eine vorgezogene Neuwahl des Bundestages dachte. Inzwischen geht es für Schröder und Müntefering nicht mehr darum - wie ehedem mit der Ausbildungsplatzabgabe -, eine mißvergnügte Parteibasis zu besänftigen. Es geht darum, der neuen Linkspartei das Wasser abzugraben und die Partei vor dem ultimativen Zusammenbruch zu bewahren.

Müntefering beginnt mit einem geschönten Bericht zur Lage der Nation: "Unser Land hat sich einen hervorragenden Platz in der Weltwirtschaft erobert." Zu danken sei dies der Sozialen Marktwirtschaft, diese sei "älter als die CDU und nicht deren Patent", so der Nachfolger August Bebels - dessen SPD sich nunmehr als "Erbe Ludwig Erhards" sieht.

Es folgen ökonomische Sandkasten-Weisheiten wie "Wirtschaft ist für die Menschen da - und nicht umgekehrt" oder: "Es ist absurd, daß wir 15 Prozent unseres Bruttosozialproduktes in der Schwarzarbeit erwirtschaften." Darüber, daß zu hohe Lohn(neben)-Kosten die Arbeitnehmer und -geber in die Schwarzarbeit zwingen, spricht Müntefering nicht. Er wettert gegen die "Ökonomisierung als Meßlatte des Denkens" und warnt vor "blindem Vertrauen in die Märkte". Die unansehnliche Bilanz der eigenen Regierung kaschiert er hinter Superlativen: "Wir haben die größte Arbeitsmarktreform auf den Weg gebracht. Hunderttausende vergessene Sozialhilfeempfänger wurden dadurch in den Arbeitsmarkt und in die Statistik zurückgebracht." Botschaft: Die höheren Arbeitslosenzahlen sind geradezu ein Segen für die Betroffenen, weil wir sie jetzt nicht mehr "vergessen".

Kurz reißt "Münte" auch die Probleme der erweiterten EU und der Globalisierung an: Er spricht über Standortverlagerungen und Dumping-Löhne, über Fleischfabriken und den Fall "Friedrich Grohe". Die deutsche Sozialdemokratie stelle sich dieser Verantwortung, droht er mit ernster Miene an. Und weiter: "Wir werden die Herausforderung bestehen mit Gerd Schröder an der Spitze."

Der so Angekündigte ergreift nach seinem Parteivorsitzenden das Wort. Die beiden praktizieren eine Doppelstrategie: Der "Reformer" Schröder kommt von rechts, lobt den Kapitalismus, geißelt nur die Auswüchse. Er sagte Sätze wie: "Nur der schlanke Staat arbeitet effizient und bürgernah." Müntefering dagegen kommt von links. Beide treffen sich da, wo sie die "Neue Mitte" von 1998 vermuten.

Auch Schröder versteht sich darin, die Lage schönzureden: Deutschland sei Exportweltmeister, bevorzugtes Ziel bei ausländischen Direktinvestitionen und somit ein Gewinner der Globalisierung. Kaum hat er seine Rede beendet, entschwindet er auch wieder.

Der Kanzler muß nun wieder den Staatsmann mimen - mit dem extra aus London angereisten Tony Blair. Die SPD-Parteizentrale verläßt Schröder durch den Hinterausgang. Ronald Gläser

Konkurrenz belebt den Streit: Die Frage, was das Prädikat "sozialdemokratisch" zu bedeuten hat, wird durch das Auftreten der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG) zur Existenzfrage der Genossen. Foto: Gläser


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