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25.06.05 / Ein Landei lernt fürs Leben

© Preußische Allgemeine Zeitung / 25. Juni 2005

Ein Landei lernt fürs Leben
von Eva Pultke-Sradnick

Drei Generationen wohnten in dem großen Giebelhaus mit dem Strohdach. Es war weit heruntergezogen, so daß man auch getrost einen Regenschauer darunter abwarten konnte. Lisa kam aus der Tür, den Henkelkorb am Arm. Sie ging zum Gemüsegarten, der hinter dem Haus lag. Bei der Großmutter hörte sie schon den Webstuhl klappen. Ohne anzuklopfen ging sie hinein, sie wollte nur schnell "Guten Morgen" sagen. Opa war sicher schon längst im Wald oder am See, der auch zum Grundstück gehörte. Er hatte zwei Fischteiche angelegt, die sein ganzer Stolz waren, ihm aber auch Unruhe bereiteten.

Den Küchengarten hatte Lisa unter sich, sie wollte Gemüse holen. So konnte sie das Angebaute auch gleich verziehen und kontrollieren. In den zu dicht aufgegangenen Reihen ließ sich manches schon für ihre Gemüsesuppe finden. Jede Woche brachte neuen Segen.

Großchen saß heute schon so früh am Webstuhl, weil Opa zu den Fischen wollte. "Meine Güte, Großchen, was ist das Muster schön", rief Lisa. "Und so akkurat." Lisa mußte ihrer Bewunderung Ausdruck geben, indem sie meinte, sie möchte auch mal so weben können. "Meinst nicht, Großchen, daß mich der Vater auf die Webschule gehen läßt? Kannst du ihm das nicht sagen? Mich brummelt er nur an und meint, für Bettbezüge und Wäsche reichte mein Wissen von dir. Aber ich habe neulich Teppiche und Kotzen in der Stadt gesehen, dazu Tischwäsche und Handtücher, unglaublich schön. Ich habe mich nur nicht reingetraut. Weberin, das könnt' ich mir als Beruf vorstellen", meinte sie begeistert.

"Ach, mien Duwke", sagte die Großmutter, "dien Voader ös e ol Dickkopp, oawer kannst di op mi verloate, öck krieg em schon röm, wie motte bloß dem röchtge Ogebleck awwachte."

Oma war eine erstklassige Weberin und freute sich über Lisas Liebe zur Volkskunst. Ihr war es ähnlich ergangen und darum wollte sie Lisa jetzt zum Glück verhelfen. Es vergingen noch viele Monate, bis Lisas und Omas Komplott gelang.

Jetzt wohnte die Marjell in einem möblierten Zimmer bei Frau Mattau in der Holdergasse. Nicht weit davon lag "Irene Wegeners Web- und Spinnstube". Zur Werkstätte gehörte auch ein Laden, der sogar zwei Schaufenster hatte. Im linken hing ein zauberhafter Teppich, auf dem Rehe und Hirsche sprangen. Tannenbäume, Vögel mit Herzen und Kronen vollendeten das Gewebe. Im rechten Fenster lagen Webstoffe für Kleider, Schürzen und Anzüge, Jostenbänder und bunte Taschen lokkerten die Strenge.

Die ersten Wochen, so weit weg vom Hof, waren schlimmer als Lisa gedacht hatte. Nach ihrem ersten Waldspaziergang hatte Frau Mattau sie gemustert und entsetzt gemeint, sie müsse zuerst ihre Schuhe ausziehen, sie führe ein sauberes Haus. In der Webschule fühlte sie sich schon wohler, die Webstühle drück-ten Bekanntes und Vertrautes aus. In den Augen von Frau Wegener konnte sie jedoch nichts, rein nichts. Einen kleinen Handrahmen hielt sie ihr hin, da sollte sie weben und zeigen, was sie könnte.

Pah, damit hatte sie doch schon als Sechsjährige gewebt. Leicht zornig nahm sie ihn entgegen und gab sich bei den Kanten besonders viel Mühe. Am liebsten wäre sie wieder nach Hause gefahren, aber ihr Stolz ließ dies doch nicht zu. Sie hatte es ja so gewollt.

In Ulla, dem ersten Lehrmädchen, fand sie bald eine echte Freundin, hier konnte sie sich auch mal ausheulen. Diese konnte lachen und trösten und sagte ihr eine große Zukunft voraus, dabei war sie kaum älter als Lisa.

Hubert war groß und schlank und hatte einen Wiener Dialekt. Er bat, sich auf ihre Bank setzen zu dürfen. Lisa hatte Mühe, seine Sprache zu verstehen. Ihr Jochen, der Lehrer und sogar Karl, der Knecht zu Hause, sprachen da doch verständlicher. Aber es lag ein geheimer Reiz in dem Tonfall. Schon am ersten Tag erzählte sie ihm alles von Kater Mirsch, von der Familie, dem Hengst Gladiator, dem Hund Mohrchen. Es sprudelte nur so aus ihr heraus. Sie war so froh, jemand getroffen zu haben mit dem sie sich unterhalten konnte.

Hubert war ein Charmeur, trug ein schmales Bärtchen und lange Koteletten. Sein Jackett war nicht der allerneuste Schnitt, dafür konnten seine Augen aber ganz treuherzig lächeln. Es verwirrte sie etwas, als er sie ins Café Stritzelhäuser einlud. Aber warum nicht, dachte Lisa, ich bin doch erwachsen.

Bald hielt Lisa ihn für einen echten Freund, während Ulla ihn als Stenz und Windhund bezeichnete. Was sollte man von einem halten, der am Tag Zeit hatte. Von dem sollte man die Finger lassen, schimpfte sie. Lisa war jedoch verliebt in ihn, und es war eine schöne Zeit.

Bald passierte es aber, daß Hubert seinen Geldbeutel vergessen und dann später sogar verloren hatte. Lisa half ohne Bedenken aus, sie hatte sowieso selbst für sich bezahlt. Leider vergaß er aber stets, das Geliehene zurückzugeben und Lisa wollte ihn nicht mahnen. Ihr Geldbeutel wurde schmaler und schmaler. Aber sie traute sich nicht, es Ulla zu sagen.

Wieder saß sie mit Hubert bei einer Limonade, als sie ihren Augen nicht trauen wollte. Das war doch Jochen, ihr Jochen aus Willuweitschen, da auf der anderen Straßenseite. Wie freute sie sich, denn sie waren schon halb und halb miteinander versprochen. Und genau deswegen war Jochen jetzt hier in der Stadt. Auch er hatte Lisa längst erspäht und seine Augen funkelten zornig. "Lackaffe", murmelte er. Es kam nicht gerade zur Schlägerei, aber auch nur deshalb, weil der Windhund blitzschnell ohne zu zahlen das Feld räumte.

Lisa war hin- und hergerissen. Jochen sah hier in der Stadt mit seiner Joppe, die doch aus feinstem Tuch war, so plump aus, so derb, dabei war der Stoff doch von Oma gewebt. Hubert dagegen war so lässig und elegant und seine Komplimente ließen sie erröten. Sie verglich die beiden Männer und das Pendel schlug bald nach rechts und dann wieder nach links aus. Jochen fuhr ziemlich unversöhnt zurück.

Lisa hatte sich erneut mit Hubert verabredet und sich für Jochen entschuldigt. Es war ein schöner Tag, und sie saßen wieder bei Stritzelhäuser; Hubert hatte sie zum Eis eingeladen. Doch plötzlich standen zwei Männer am Tisch. Hubert versuchte aufzuspringen, aber die Handschellen klickten schon und er wurde zum Mitkommen gebeten. "Es tut uns leid, Frollein", sagte einer der Polizisten nur.

Hubert wurde als Taschendieb und Hehler entlarvt. Er hatte bei Lisa das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden. Sie war eine kleine dumme Gans in seinen Augen. Für Lisa war es ein Lehrstück sondergleichen. Zum Glück konnte sie mit Ulla darüber reden. "Bist eben doch ein kleines Landei", meinte diese gutmütig. "Wart' nur auf deinen Jochen, der ist verliebt in dich bis über beide Ohren und du liebst ihn doch auch. Du hast dich doch bloß vom Gefasel dieses Gokkels einwickeln lassen. Was meinst, wollen wir einen Sonntagsausflug machen? Nimmst du mich mit nach Willuweitschen?"

Blick in eine alte Spinnstube: So wie hier in Springen, Kreis Gumbinnen, war es in Ostpreußen einst üblich, das alte Handwerk des Spinnens, Webens und Nähens im Haus auszuüben. Bettbezüge, Wäsche und auch Tischdecken entstanden auf diese Weise. Foto: Kreisarchiv Gumbinnen


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