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02.07.05 / Ein Film machte sie berühmt / vor 100 Jahren meuterten die Matrosen auf dem Panzerkreuzer "Potemkin"

© Preußische Allgemeine Zeitung / 02. Juli 2005

Ein Film machte sie berühmt
vor 100 Jahren meuterten die Matrosen auf dem Panzerkreuzer "Potemkin"

Das russische Zarenreich im Revolutionsjahr 1905 weist gewisse Parallelen zum französischen Königreich am Vorabend der Revolution von 1789 auf. Es herrschte mit der russischen Autokratie und dem französischen (unaufgeklärten) Absolutismus ein überkommenes, feudalistisches Regime, das auf die Person des Herrschers fokussiert war. Das Tragische in beiden Fällen ist, daß die jeweils letzten - erst entmachteten und dann getöteten - Repräsentanten des Systems, Zar Nikolaus II. in Rußland und Ludwig XVI. in Frankreich, warmherzige Familienmenschen waren und durchaus sympathische Charakterzüge trugen, aber nicht stark genug waren, die von Vorgängern geschaffene herausgehobene Rolle auszufüllen.

Das zaristische Regime suchte in dieser Situation Entlastung in einem imperialistischen Abenteuer. Der russisch-japanische Krieg entspricht in hohem Maße dem Klischee des imperialistischen Krieges. Es ging um Prestige- und Landgewinn. Die Aufmerksamkeit und die Aggression im eigenen Land sollten nach außen gelenkt und der angestachelte Nationalismus eine Form von Burgfrieden, Zusammenhalt und Solidarität mit der Führung erzeugen. Der Krieg entwickelte sich jedoch für Rußland zum Debakel. Es kam zu schmählichen Niederlagen gegen den unterschätzten und kleingeredeten gelbhäutigen Gegner und es offenbarte sich eine erschreckende Unfähigkeit des politischen Systems und seiner Repräsentanten.

Anfänglich richtete sich der Unmut der Bevölkerung jedoch noch nicht gegen den Zaren. Es herrschte vielmehr die Einstellung, Rußland sei groß und der Zar fern, und wenn der Zar um die Mißstände nur wüßte, dann wäre alles ganz anders. So entstand die Idee, dem Herrscher eine Petition zu übergeben. Es war ein Fehler und ein Verbrechen Nikolaus II., den durchaus friedlichen Petitionszug vom 22. Januar 1905, dem sogenannten Blutigen Sonntag, vom Militär zusammenschießen zu lassen. Dabei spielten vor allem Kosaken durch ihre Brutalität und Gnadenlosigkeit eine unrühmliche Rolle. Für viele Angehörige des russischen Volkes war das ein Schlüsselerlebnis. Mit dem Zaren wurden kaum noch Hoffnungen verbunden. Statt dessen begann sich der Unmut nun gegen den Herrscher selber zu richten. Es kam zu Streiks und Revolten im ganzen Land.

Auch die in Sewastopol stationierte Schwarzmeerflotte mit ihrem modernen Panzerschiff "Potemkin" erreichte diese erste russische Revolution. Zu dieser neben der Baltischen und der Pazifischen dritten russischen Flotte gehörte auch die "Knjaz' Potemkin Tavriceskij" (Fürst Potemkin von Taurien), ein modernes 16 Seemeilen schnelles 12.700-Tonnen-Panzerschiff mit vier 30,5-Zentimeter-, 16 15,2-Zentimeter, 14 7,5-Zentimeter und sechs 4,7-Zentimeter-Geschützen sowie 741 Mann Besatzung. Nach einer längeren Werftliegezeit, in der die Schiffsbesatzung ausgiebig Gelegenheit gehabt hatte, mit politisierten Arbeitern auch politische Fragen zu besprechen, verließ die "Potemkin" am 25. Juni in Begleitung des 100-Tonnen-Torpedobootes Nummer 267 ihren Stützpunkt, um in der 150 Meilen entfernten Tendra-Bucht die neuen Rohrfutter ihrer schweren Artillerie einzuschießen.

Nachdem die beiden Einheiten die Insel Tendra erreicht hatten, fuhr das Torpedoboot am Nachmittag des 26. Juni mit einem Kommando des Panzerschiffes nach Odessa, um dort Vorräte einzukaufen. Als es am Abend zurückkam, brachte es außer der Kunde, daß in der Stadt Generalstreik herrsche, auch Rindfleisch mit, das auf der "Potemkin" wegen der frischen Luft und der niedrigeren Temperaturen draußen aufgehängt wurde.

Am nächsten Morgen bemerkte einer der Matrosen einen üblen vom Fleisch ausgehenden Geruch. Schnell bildete sich eine mehr als 100 Matrosen zählende Traube um die Fleischstücke, die voller weißer Maden waren. Der Schiffsarzt wurde gerufen, doch der kam zu dem Ergebnis, das Fleisch sei nicht schlecht, man brauche es nur in ein wenig Salzwasser zu waschen und die wurmigen Teile wegzuschneiden. Diesen Worten wollten die Matrosen jedoch keinen Glauben schenken, und als zum Beginn der Mittagszeit um 12 Uhr ein Teil des aufgehängten Fleisches fehlte, weigerte sich die Besatzung, den hierauf gekochten Borschtsch zu essen. Der Kommandant ließ daraufhin die Mannschaft auf dem Achterdeck antreten und drohte mit dem Strick. Seine Worte mündeten in der Aufforderung, wer bereit sei, die Suppe zu essen, möge vortreten zum Turm. Nur wenige taten dies. Die Folge war der Ruf nach der Wache. Der Widerstand der Matrosen war gebrochen. Die Masse ging zum Turm.

Den letzten Zögernden beziehungsweise nur zögernd Vortretenden stellte sich jedoch der Erste Offizier mit den Worten gegenüber: "Nein, es ist gut, bleibt nur auf euren Plätzen!" Es folgte der Befehl an die Wache, diese 20 bis 30 Mann zu umstellen und eine Persenning herbeizuschaffen. Wohl jedem an Bord war der alte Brauch auf Kriegsschiffen bekannt, vor Exekutionen ein Segeltuch über die Todeskandidaten zu werfen, um dem Erschießungskommando den Anblick ihrer Opfer zu ersparen und es damit zu enthemmen. Das brachte das Faß zum Überlaufen. Der Sturm brach los, die Meuterei begann. Die Entschlossensten unter den Matrosen brachten die Waffenkammer in ihre Gewalt und der Kampf um die Herrschaft über das Schiff begann. Um 15 Uhr war alles vorbei. Die Meuterer hatten obsiegt. Von den 19 Offizieren waren der Kommandant, der Erste Offizier und fünf weitere tot. Die übrigen wurden eingesperrt, nachdem ihnen vorher die Schulterstücke von den Uniformjacken gerissen worden waren. Der Torpedobootkommandant versuchte zwar noch, mit seinem Boot zu fliehen, aber die Panzerschiffsartillerie zwang ihn zum Beidrehen und nun wurden auch hier die Offiziere entmachtet.

Nun ging es gemeinsam nach Odessa mit dem Ziel, dort aus dem Streik und den Unruhen eine Revolution zu machen. Am Abend des 27. Juni ankerte die weiterhin vom Torpedoboot begleitete "Potemkin" auf der äußeren Hafenreede einer brodelnden Stadt, die den Siedepunkt noch nicht erreicht hatte. Am Nachmittag des darauffolgenden 28. Juni kam es zu dem nicht zuletzt aus Sergej Eisensteins Filmklassiker "Panzerkreuzer Potemkin" bekannten Massaker auf der Richelieutreppe, als sich Schaulustige und Sympathisanten wegen des Meutererschiffes im Hafen versammelten und die Unglücklichen auf dieser Treppe durch vorrückende Kosaken vom oberen und unteren Treppenende in die Zange genommen wurden. Die Unruhen eskalierten und die folgende Nacht war die blutigste der gesamten Revolution. 6.000 Menschen fanden in der Stadt den Tod.

Bei alledem verhielt sich die "Potemkin"-Besatzung bemerkenswert passiv. Sie vermochte noch nicht einmal, ihre Vorräte im gewünschten Umfange aufzufüllen. Vor dem Eintreffen des Restes der Schwarzmeerflotte wollte sie nichts Entscheidendes unternehmen. Die Hoffnung der Meuterer war, daß die Nachricht von ihrer Meuterei auf der mächtigsten Einheit der Flotte von Odessa über den Landweg und Sewastopol die Mannschaften der anderen Flottenschiffe erreicht, diese es ihrem Vorbild gleichtun und sich dann die Eskader nach Odessa in Bewegung setzt, um sie zu unterstützen.

Als die Schwarzmeerflotte in Sewastopol von der Meuterei erfuhr, machte sie sich in der Tat auf den Weg zur "Potemkin" nach Odessa, aber nicht, um die Meuterer zu unterstützen. Nachdem auf der "Potemkin" dieses klar geworden war und die in Doppeldwarsformation herandampfenden fünf Panzerschiffe gesichtet worden waren, wurden die Anker gelichtet und der Eskader entgegengefahren. Nachdem sich beide Seiten gegenseitig zur Kapitulation aufgefordert hatten, steuerte die "Potemkin" auf die Mittellücke zwischen den beiden Dwarslinien und schnitt ein. Was dann passierte, hat einer der Matrosen auf den regierungstreuen Schiffen wie folgt beschrieben: "Die ,Knjaz' Potemkin' geht stolz und frei wie ein König zwischen uns hindurch. Ihre Kanonen sind immer noch gegen uns gerichtet ... kein Mensch zu sehen, als wäre sie verzaubert, als wäre sie ein Gespenst! Nur die Kanonen bewegen sich und lassen das gefaßte Ziel nicht aus ... Es war etwas Phantastisches, Märchenhaftes."

Anschließend schwenkten beide Seiten um 180 Grad und das Manöver wiederholte sich. Diesmal brach allerdings die "Georgij Pobedonosec" aus der Doppeldwarsformation aus und schloß sich der "Potemkin" an, die wieder nach Odessa zurückfuhr, während die vier anderen Panzerschiffe das Weite suchten. Mit diesem Höhepunkt des Aufstandes der Matrosen am 30. Juni 1905 endet bezeichnenderweise Sergej Einsteins sowjetischer Propagandaklassiker.

Die Besatzung der "Georgij Pobedonosec" quälte jedoch wohl schon bald Angst vor der eigenen Courage, denn bereits einen Tag später setzte sie ihr eigenes Schiff im Hafen von Odessa auf Grund, um sich von der städtischen Obrigkeit gefangennehmen zu lassen. Dieses Mißerfolgserlebnis löste auf dem verbliebenen Meutererschiff offenkundig Fluchtinstinkte aus, denn nun verließ es Odessa Richtung Ausland.

Am 2. Juli wurde das rumänische Konstanza erreicht. Hier bekam man statt der erhofften in Odessa verwehrten Vorräte nur das Angebot politischen Asyls. Noch war man jedoch nicht so weit, aufgeben zu wollen. So ging die Irrfahrt im Schwarzen Meer weiter. Der Morgen des 5. Juli sah die "Potemkin" im russischen Feodosija. Als dort der Versuch eines Kommandos, Kohle zu beschaffen, vor den Augen der übrigen Schiffsbesatzung im Kugelhagel zarentreuer Soldaten kläglich scheiterte, griff erneut der Fluchtinstinkt um sich, und diesmal war die Besatzung bereit, das rumänische Angebot anzunehmen.

Am 7. Juli gegen Mitternacht lief die "Potemkin" erneut in den Hafen von Konstanza ein, um nun aufzugeben. Am nächsten Tag erklärte sich eine Delegation der Schiffsbesatzung gegenüber dem rumänischen Hafenkapitän bereit, das Schiff gegen die Zusicherung persönlicher Freiheit für die Mannschaft den rumänischen Behörden zu übergeben. Um 14 Uhr begann die Ausschiffung der Russen. 60 Besatzungsmitglieder, die nicht in Rumänien bleiben wollten, fuhren mit dem Torpedoboot Nummer 267, das die Potemkin die ganze Zeit über begleitet hatte, zurück nach Sewastopol.

Rumänien hielt sich an seine Zusage, keines der Besatzungsmitglieder auszuliefern. So wurde das Zarenregime nur jener Männer habhaft, welche die Unklugheit begingen, in ihre Heimat zurückzukehren. An dem Schiff konnte der Zar jedoch seinen Zorn auslassen, denn am 10. Juli übergaben es die Rumänen einer aus zehn Offizieren und 200 Matrosen seiner Kriegsmarine bestehenden Besatzung, die es von Konstanza nach Sewastopol überführte. Es verlor den Fürstennamen "Potemkin" und erhielt statt dessen mit "Pantelejmon" einen einfachen Bauernnamen. M. Ruoff

Der Moment der Erhebung: Die Meuterer bringen das Schiff in ihre Gewalt.

Showdown vor Odessa: Das Meutererschiff stößt auf das Panzerschiffgeschwader - aber kein Schuß fällt. Fotos (2): Archiv


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