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09.07.05 / Geschichtsstunde auf dem Friedhof / Etwa 30 deutsche Schwalgendorfer trafen sich vor Ort zum Austausch über die Geschichte ihres Dorfes

© Preußische Allgemeine Zeitung / 09. Juli 2005

Geschichtsstunde auf dem Friedhof
Etwa 30 deutsche Schwalgendorfer trafen sich vor Ort zum Austausch über die Geschichte ihres Dorfes

Erstmals seit 60 Jahren trafen sich Ende letzten Monats im oberländischen Schwalgendorf deutsche Einwohner, um sich mit der 300jährigen deutschen Geschichte des einstigen Schatull-Dorfes am Geserich-See vertraut zu machen. Etwa 30 Bewohner waren zusammengekommen, um die Spuren zu ihren Vorfahren und zu ihren ostpreußischen Wurzeln zurückzuverfolgen. 60 Jahre sind seit der Vertreibung der Mehrheit der Deutschen vergangen. Aber noch immer leben Deutsche hier, wollen die Geschichte ihres Ortes erfahren, von der man nur noch Bruchstücke kennt. Bruchstücke alter deutscher Gräber werden inzwischen auch wieder zusammengesetzt.

Die Schwalgendorfer hier in Ostpreußen und jene, die jetzt im Westen leben, haben ein kleines Projekt zur Pflege und Verschönerung ihres Friedhofs gestartet. Man kann schon viele der Namen und Inschriften wieder lesen. Ein beeindruckendes Gefühl, wenn man an diesen Grabstellen vorbei zur Kapelle geht, die seit 1996 auch von den Protestanten genutzt werden darf. Und zum ersten Mal auch für einen Geschichtsunterricht der besonderen Art, eine Exkursion zu den preußischen Wurzeln, die trotz ihres hohen Alters wieder kräftig ausschlagen.

Im Mittelpunkt der Begegnung in der kleinen Kapelle auf dem Schwalgendorfer Friedhof stand die Schilderung des Lebens der Einwohner über die Jahrhunderte. Dieses romantische Fleckchen Erde, 1700 als Schatullsiedlung vom preußischen Herzog Friedrich III. an die 20 deutschen Siedlerfamilien um Christoph Bieber zur Verfügung gestellt, hat in diesen 300 Jahren nicht nur einen harten Kampf gegen die Unbilden der Natur zu bestehen gehabt, sondern sich vielen Herausforderungen stellen müssen.

Besonders weitreichende Bedeutung hatte der Bau des oberländischen Kanals. Genial vom Königsberger Baumeister Georg Steenke entworfen und umgesetzt, brachte er dem Oberland einen wirtschaftlichen Aufschwung. Herzstück dieses Kanals sind die "geneigten Ebenen", die es den Schiffen auch heute noch ermöglichen, Berge zu überwinden. Durch dieses Projekt konnten landwirtschaftliche Produkte wie Getreide und Kartoffeln bis an die Ostseeküste nach Elbing oder sogar bis nach Königsberg transportiert werden. In umgekehrter Richtung nahmen Kunstdünger, aber auch Baumaterialien und selbst der weiße Ostseesand für das Eylauer Strandbad seinen Weg.

Der Kanal schuf auch einen neuen Wirtschaftszweig in Schwalgendorf - das Flößen von Holz. Bis nach Elbing, wo die Preise deutlich über denen in Gerswalde, Saalfeld oder Deutsch-Eylau für das Holz lagen. Das Wasser in Gestalt des Geserich-Sees war das Lebenselexier schlechthin.

Doch das Leben besteht nicht nur aus Arbeit und Widrigkeiten. So gab es auch vielfältige Informationen zu Bräuchen und besonderen Kunstfertigkeiten sowie die mitunter eigentümlich anmutende Sprache. Es klingt schon erheiternd, wenn ein schlanker Mensch als "trocken" (ohne Fett) oder das Fernlicht beim Auto als "langes Licht" bezeichnet wird.

Der Referent, der Historiker Kersten Radzimanowski aus Brandenburg, zitierte aus seinem neuen Buch "Oberländische Heimat" einige besonders prägnante Bespiele des hiesigen Humors und der Kraft, Treffsicherheit und Witzigkeit des oberländischen Dialekts.

Nach der sehr anschaulichen und lebendigen Präsentation von Schlaglichtern Schwalgendorfer Lebens über die Jahrhunderte folgte ein lebhaftes Gespräch zwischen den Teilnehmern. Mit Fug und Recht kann dies als eine wesentliche Bereicherung des zuvor Gehörten bezeichnet werden.

Zum Abschluß der Veranstaltung wurde um eine Spende für die Pflege des deutschen (evangelischen) Friedhofs gebeten. Das Ergebnis gibt Anlaß zur Zuversicht, daß der Schwalgendorfer Friedhof ein Zeugnis deutscher Kultur bleiben wird. Nach der Veranstaltung, die sehr emotional mit dem Ostpreußenlied endete, fanden sich noch eine Reihe der Zuhörer zusammen, um sich bei Kaffee und Kuchen im wunderschönen oberländischen Dialekt nicht nur über das zuvor Gehörte und das Alltagsleben auszutauschen, sondern auch darüber nachzudenken, wie die deutsche Gemeinschaft im Dorf, die etwa 20 bis 30 Prozent der heutigen Gesamtbevölkerung ausmachen dürfte, weiter gestärkt werden kann. K. R.


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