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16.07.05 / "Kein Dreisatz, kein Biß, keine Perspektiven" / Die PAZ im Gespräch mit Giovanni Sciurba, Geschäftsführer von GSConsult, über die Probleme vieler Schulabgänger

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Juli 2005

"Kein Dreisatz, kein Biß, keine Perspektiven"
Die PAZ im Gespräch mit Giovanni Sciurba, Geschäftsführer von GSConsult, über die Probleme vieler Schulabgänger

In Ihrer Studie stellen Sie den Azubis ein schlechtes Zeugnis aus. Ihr provokantes, als Frage formuliertes Ergebnis lautet: "Kein Dreisatz, kein Biß, keine Perspektiven?" - verdienen die Azubis die Note "ungenügend"?

Sciurba: In unserer Umfrage haben wir 1.000 Unternehmen angeschrieben - 250 haben geantwortet. Dabei haben wir nicht nach Noten gefragt, aber wir haben die Frage gestellt, in welchen Bereichen die Leistungen der Azubis besser, gleich geblieben oder schlechter geworden sind. Über 80 Prozent der 250 an der Umfrage beteiligten Unternehmen antworteten, daß die Leistungen in Mathematik und Deutsch in den letzten Jahren deutlich schlechter geworden sind.

Wie bewerten Sie die alljährlich wiederholten Klagen der Politik über die angeblich bevorstehende Ausbildungsplatz-Katastrophe?

Sciurba: Generell gibt es neben dem zahlenmäßigen Problem, daß insgesamt weniger Ausbildungsplätze vorhanden sind als Schulabgänger, die auf den Arbeitsmarkt drängen, ein Problem der "Passung". Zum Beispiel gibt es Berufe wie Bäcker oder Gas- und Wasserinstallateur, die zum Teil erhebliche Probleme haben, geeignete Auszubildende zu finden. Das liegt nicht immer daran, daß sich dort nicht genügend junge Leute bewerben, sondern vor allen Dingen auch daran, daß die Bewerber nicht die notwendigen fachlichen und sozialen Kompetenzen mitbringen. Konnte man in der Vergangenheit davon ausgehen, daß ein Absolvent der Hauptschule die notwendigen mathematischen Kenntnisse für den Beruf zum Beispiel des Gas- und Wasserinstallateurs mitbrachte, so hat sich dies heute gravierend verändert. Unsere Umfrage bestätigte noch einmal die Erfahrung aus vielen Unternehmen, daß die Hauptschule anscheinend nur noch unzureichend in der Lage ist, berufsfähige Absolventen hervorzubringen. Gleichzeitig haben Berufe wie Bäcker oder Gas- und Wasserinstallateur bei vielen Jugendlichen, die über einen höheren Schulabschluß verfügen, kein besonders gutes Image. So entsteht trotz einer großen Gruppe an Ausbildungsplatzsuchenden die Situation, daß viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können.

Wo liegt Ihrer Meinung nach das größte Problem - bei den Azubis selbst, beim Ausbildungsbetrieb, beim Elternhaus oder bei der Schule?

Sciurba: Unsere Umfrage hat gezeigt, daß eines der Kernprobleme Mängel im Sozialverhalten der jungen Leute sind. Höflichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin oder die Entscheidung für eine angemessene Kleidung lernen wir im Elternhaus und in der Schule. Es hat sich leider eine Kultur der Beliebigkeit in Deutschland eingeschlichen. In vielen Familien, aber auch in der Schule glaubt man, daß es auf die oben genannten Fähigkeiten nicht mehr ankommt. Das ist grundfalsch - hier muß es sowohl in den Familien wie auch in der Schule ein generelles Umdenken geben. Für die Schulen könnte ein erster Schritt sein, eine Kleidervorschrift für Lehrer und Schüler einzuführen. Es sind nicht nur die gepiercten Schüler, sondern häufig auch gepiercte Lehrer, die zu einer allgemeinen Verwahrlosung geführt haben.

Ist das Schulsystem ein Problem - oder anders: Hat die Hauptschule überhaupt eine Zukunft?

Sciurba: Jedes Unternehmen und jede Behörde, also auch die öffentlichen Unternehmen, können nur nach Ergebnissen beurteilt werden. Für das deutsche Schulsystem gilt das genauso. Wenn es die Schulen nur noch teilweise schaffen, jungen Menschen die Grundlagen für eine Berufsausbildung zu geben, so stimmt etwas an dem System nicht. Dies wird noch gravierender dadurch, daß die beruflichen Anforderungen in allen Berufen eher steigen als sinken. Denken Sie nur an Umweltschutzauflagen, die sich zum Beispiel in der Berufsausbildung eines Heizungsbauers oder eines Gärtners widerspiegeln.

Es ist eine Katastrophe, daß die Verantwortung ständig von einer Institution zur nächsten abgeschoben wird. Schule und Politik machen es sich dabei zu einfach.

Die Schule hat eine Dienstleistung am Schüler zu erbringen; wenn diese nicht mehr in der Qualität erbracht wird, die notwendig ist, um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern, dann sind nicht die Schüler allein verantwortlich, sondern die Schule. So wie die Hauptschule in großen Teilen zur Zeit aufgestellt ist, ist es eine Schule der Verlierer, die in der jetzigen Form nicht beibehalten werden sollte.

Was machen die Unternehmen falsch?

Sciurba: Viele Unternehmen geben sich große Mühe bei der Ausbildung junger Menschen und organisieren zum Beispiel innerbetrieblichen Unterricht, um schulische Defizite während der Ausbildung aufzuarbeiten. Die Anforderungen bestimmen die Unternehmen nicht alleine, sondern der Markt. Trotzdem wäre eine Debatte über den Erziehungsauftrag von Unternehmen sinnvoll. In der Tat ist es so, daß viele Unternehmen vergessen haben, daß das Ausbildungsverhältnis auch einen erzieherischen Auftrag enthält.

Warum haben selbst die üblicherweise nicht als Problemgruppe eingestuften Schulabgänger mit Mittlerer Reife oft solche Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche?

Sciurba: Ich habe ja schon dargestellt, daß neben den fachlichen Problemen, die sich insbesondere bei Absolventen der Hauptschule niederschlagen, auch das Verhalten beziehungsweise das Auftreten der jungen Leute eine große Rolle bei der Ausbildungsplatzsuche spielt. Das gilt natürlich auch für Schulabgänger mit Mittlerer Reife.

Sie schlagen quasi als Lösungsbeitrag den Unternehmen vor, Qualitätszirkel zu bilden - was heißt das?

Sciurba: Auf lange Sicht wird es für viele Unternehmen überlebensnotwendig sein, sich noch stärker um den Nachwuchs zu kümmern. Schule und Elternhaus können nur bedingt durch die Unternehmen beeinflußt werden. Daher ist es sinnvoll, mit Qualitätszirkeln über die Ideen und Möglichkeiten, die Unternehmen selber gestalten können, einen Austausch zu organisieren. SV


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