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16.07.05 / Traumhafter Samlandsommer

© Preußische Allgemeine Zeitung / 16. Juli 2005

Traumhafter Samlandsommer
von Eva Pultke-Sradnick

Hilde träumte mit wachen Augen vor sich hin. Der Zug ratterte, zischte und rumpelte. Es war noch früh am Tag und die Morgenluft wehte durch das offene Fenster. Schnauferl hatte sie den Zug getauft, der von Königsberg über Fischhausen nach Sorgenau fuhr. Andere sagten Samland-Express dazu. Es war liebevoller Spott, der dem Verbot des Blumenpflükkens während der Fahrt gleichkam. Es ging an die Ostsee. Ab Fischhausen konnte man das Wasser riechen, meinten die Urlauber.

Der Zug war trotz der frühen Stunde voll besetzt, Wochenende. Die meisten Herren standen, sie hatten den Damen Platz gemacht, was diese mit einem kecken oder unschuldsvollen

Augenaufschlag dankend angenommen hatten. Hoffentlich hielt das Wetter, was es heute versprach, und hoffentlich war das Wasser nicht zu kalt. War man erst mal tief eingetaucht und ein Stück geschwommen, glaubte man sogar Wärme zu spüren.

Hilde war nicht das erste Mal hier, und Frau Lattke hatte ihr wieder das kleine Zimmerchen versprochen, was sie eigentlich für sich selbst benutzte. Es war fast nur eine Kammer, aber mehr brauchte sie ja auch nicht. Die Wohnungen der Hiesigen wurden in den Sommermonaten vermietet und die Besitzer schliefen auf der Lucht oder in der Laube, die in fast allen Gärten anzutreffen war. Hilde fühlte sich sorgenfrei und hätte am liebsten laut "Juhu" gerufen.

Ob sie den Studenten der Kunstwissenschaft, den sie am letzten Wochenende kennengelernt hatte, wiedersehen würde? Sie hatten sich verabredet, aber kommst mir aus den Augen, kommst mir aus dem Sinn. Der Gedanke an ihn ließ ihre Haut prickeln. Erst eine Stunde vor ihrer Abfahrt hatte er sich an sie herangepirscht. Viel zu kurz zum Kennenlernen. Er sah gar nicht wie ein Student und Stubenhocker aus. Sein Körper war muskulös ohne grob zu wirken. Hilde erschauerte leicht und begann sich zu freuen. Wenn das alles ihre Mutter wüßte!

"Na Frollleinche, Ihre Fahrkarte bitte." Entgeistert sah Hilde den gemütlichen Schaffner an, der lächelnd in seiner Uniform, die Knipszange in der Hand, vor ihr stand. Wo hatte sie denn um Himmels Willen die Fahrkarte? Rechte Jackentasche, linke Jackentasche, im Badebeutel, im Portemonnaie, sie wurde ganz fahrig. "Machen Se man langsamche, der Zug fährt ja noch e Weilche", beruhigte der Schaffner, der bestimmt Töchter gleichen Alters zu Hause hatte. Er kannte seine Pappenheimer, wußte meistens, wer mit oder ohne Fahrkarte unterwegs war. Ja, hier endlich, da war sie doch, sie steckte neben der Straßenbahnkarte, die sie morgen wieder brauchen würde. "Ach, nach Sorgenau wollen Sie", schmunzelte der Beamte, "haben Se denn schon e Bett? Da is am Wochenende überhaupt nuscht zu kriegen, da ist immer proppenvoll. Na, wenn nich", meinte er treuherzig, "im ‚Bieberau' und im Lokal ‚Sorgenlos' is ja lange Schrumm, danach bleibt dann nicht mehr viel vonne Nacht iebrig."

Abends ging man mit sonnenverbranntem Rücken auf der Dorfstraße flanieren oder ließ den Abend mit einem wunderschönen Sonnenuntergang ausklingen. Die Jungen gingen natürlich tanzen. Hilde hatte ein blumiges Sommerkleid mitgebracht, trug dazu leichte Opanken. Notfalls wurden sie ausgezogen und man ging barfuß. Aber erst einmal ankommen, sich freuen, egal ob mit oder ohne Georg, es fand sich am Strand immer ein Mann zum Flirten. Frau Lattke hatte ihr eine noch warme braune Räucherflunder hingestellt. Ja, das war der Sommer zuhause, das Jungsein, das Leben.

Georg war übrigens da, er breitete lachend seine Arme aus und sie warf mit gekonntem Schwung ihre Badetasche hinein. Er fing sie auf, warf sie in die Luft, grinste spitzbübisch: Man konnte ja nicht gleich alles haben.

An der Samlandküste: Der Badestrand in Sorgenau lockt zum unbeschwerten Vergnügen. Foto: Archiv


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